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Geschichten aus Blauvelt, New York City, frühe 70er CLARENCE
ОглавлениеAls ich aufwachte, hatte ich keine Ahnung, wo ich war.
Ich kapierte, dass ich mich in einem Zelt befand, aber ich konnte mich nicht erinnern, warum. Mit dem Campen habe ich es eigentlich nicht so. Dann hörte ich dieses schreckliche Geräusch und rollte mich auf die linke Seite, und da lag Danny, fürchterlich schnarchend, mit offenem Mund. Jetzt fiel es mir wieder ein. Wir hatten das Zelt hinter dem Studio 914 in Blauvelt, New York, aufgebaut, um nicht den ganzen Weg nach Jersey zurückfahren zu müssen. Mike Appel hatte das Studio ausgesucht, weil er glaubte, es sei für uns besonders geeignet. Vor allem war es aber wohl billig. Wir arbeiteten an The Wild, the Innocent & the E Street Shuffle und zu der Zeit saß noch Mad Dog an den Drums. Ich bin ziemlich sicher, dass es sein Zelt war. Er nahm es mit, als er Anfang 1974 die Band verließ.
Vinnie „Mad Dog“ Lopez hatte Schwierigkeiten, den Takt zu halten. Es kam verdammt häufig vor, aber Bruce ist ein so loyaler Typ, dass er es nicht über sich brachte, ihn zu feuern. Allmählich entwickelte es sich zu einem echten Problem. Und Vinnie mochte mich überhaupt nicht. Er sah, dass Bruce und ich gut miteinander konnten, und ich denke, das kotzte ihn an. Allerdings gab er mir Dope und ich nahm es eine Zeit lang.
Ich wohnte mit Vinnie, Danny und drei Schlangen in diesem kleinen Haus. Es waren Riesenschlangen. Ich hasse Schlangen. Ich fürchtete mich vor diesen Viechern. Jede Nacht, bevor ich schlafen ging, zählte ich sie. Ich musste wissen, wo jede Einzelne von ihnen war. Eines Tages machte Vinnie etwas, das mir endgültig den Rest gab. Ich weiß nicht genau, worum es ging, wahrscheinlich eine Kleinigkeit. Aber ich hatte genug von seinen Eskapaden und rastete total aus. Ich schlug den Scheißkerl nicht, aber ich drückte ihn gegen die Wand, sein Dope flog durch die ganze Wohnung; ich glaube, ich trat auch die Haustür ein. Vinnie lag auf dem Boden, und ich packte einen von seinen Lautsprechern und zerschlug ihn blind vor Wut direkt neben seinem Kopf. Ich war groß und stark und schwarz und ich hatte ihn zu Tode erschreckt. Er rannte von Neptune nach Belmar, wo Bruce wohnte, und stellte ihm ein Ultimatum: „Entweder er oder ich.“
Das wurde der beste Tag im Leben von Max Weinberg.
Aber Max schloss sich uns nicht sofort an. Er und unser Pianist, Roy Bittan, stießen gegen Ende des Sommers zu uns. Mad Dog ging im Februar 1974 und Ernest „Boom“ Carter ersetzte ihn. Ich weiß noch, dass er uns im Haus von Garry Tallents Eltern vorspielte. Boom war bei uns, als wir den Titeltrack „Born to Run“ aufnahmen. Es war der letzte Song, den wir im 914 aufnahmen.
Danach gab es innerhalb kurzer Zeit eine Reihe großer Veränderungen.
Das war, als Bruce und sein zukünftiger Produzent und Manager, Jon Landau, zusammenkamen. Jon fand das 914 nicht gut genug und verlagerte unsere Sessions zum Record Plant in Manhattan. Boom und David Sancious waren nicht mehr dabei und Max und Roy kamen dazu. David wollte sich im Jazz verwirklichen, wir aber machten ausschließlich Rock’n’Roll. Mit den Aufnahmen für dieses Album verbrachten wir eine Ewigkeit. Ich glaubte, wir würden niemals fertig werden und den Rest unseres Lebens damit verbringen.
Die Anspannung war hoch. Die ersten beiden Alben waren gefloppt, und uns war klar, dass dies unsere allerletzte Chance war. Auf Bruce lastete der enorme Druck, nicht nur einen Hit, sondern ein komplettes Meisterwerk abzuliefern. Und je mehr Zeit wir im Studio verbrachten, desto größer wurde der Druck.
Zu Beginn dachte ich, dass Bruce vorhabe, eine Rockoper zu schreiben, etwa über diese Figur namens Magic Rat. Er hatte eine Menge Songs und Geschichten, die sich um diese Figur drehten, im Kopf. Irgendwann ließ er aber davon ab. Ich weiß, wie ihn das frus-trierte, wir alle kennen die Geschichten darüber, wie unzufrieden er mit dem Endprodukt war.
Natürlich zahlte sich am Ende alles aus. Aber jenes Jahr war ein gewaltiger musikalischer Kampf für uns alle. Das Ganze war wie ein riesiges Puzzle, in dem wichtige Stücke fehlten. Steve Van Zandt war eine große Hilfe. Er schrieb das Saxofonarrangement für „Tenth Avenue Freeze-Out“ und den Backgroundgesang für „Thunder Road“. Außerdem war er ein guter Sparringspartner für Bruce. Mit Steve kann man diesbezüglich hervorragend zusammenarbeiten.
Zu der Zeit hatten wir die erste Frau in der Band, Suki Lahav. Sie spielte Violine bei „Jungleland“, und ich glaube, bei „Sandy“ sang sie auch Background. Sukis Ehemann Louis arbeitete für uns als Techniker, so war Suki immer dabei. Als Israelin, die gerade aus der Armee entlassen worden war, spielte sie immer Kibbuz-Erntedanklieder auf der Geige. Wir alle liebten sie, besonders Bruce. Eine fast mystische Aura umgab sie. Sie trug diese fließenden weißen Kleider auf der Bühne – wie ein Engel. Wir waren traurig mitzuerleben, wie sie und Louis sich scheiden ließen und sie zurück nach Israel ging, wo sie allerdings eine großartige Karriere machte. Max erzählte mir, dass sie später Romane auf Hebräisch veröffentlichte.
Etwa sechs Monate war sie bei uns, im Studio und für eine Weile auch auf Tour. Wenn man sich eine Liveaufnahme von „Incident on 57th Street“ aus jener Zeit anhört, kann man das Eingangsmotiv der Violine und das Pianointro hören, das auch für „Jungleland“ verwendet wurde. So liefen die Dinge. Als wir den Song im Studio aufnehmen wollten, sagte Bruce, wir sollten ihn so wie bei den Liveauftritten spielen. Es passte perfekt.
Zu der Zeit, als wir Born to Run machten, kam zum ersten Mal der Begriff CD auf. Allerdings in einer etwas anderen Bedeutung. Zum einen stand CD für Carnegie Deli, weil wir dort jeden Tag unser Essen bestellten, dann im Speziellen auch für Chicken Dinner. Das war ein halbes Brathähnchen mit Füllung, kandierter Süßkartoffel und Gemüse. Es gab eine Menge CDs.
Nach einer Weile rief uns Bruce nur noch ins Studio, wenn er uns für spezielle Aufgaben brauchte. Er arbeitet heute noch so. So pendelten Max und ich den Winter über zwischen New Jersey und New York hin und her. Max war stolzer Besitzer eines Autos von American Motors, eines gelben Gremlins – Babykackegelb. Das verdammte Ding fiel schon auseinander, als er es gekauft hatte. Die Scheibenwischer führten ein Eigenleben. Na ja, eines Tages rief uns Bruce an, wir sollten rüberkommen. Max holte mich ab, und wir machten uns auf den Weg durch einen Schneesturm, der schon am Tag zuvor begonnen hatte. Es ging mühsam voran, der Wagen hustete und spuckte. Es klang, als ob alles, was in der Maschine steckte, herauskommen wollte. Gerade hatten wir die Mautstelle am Garden State Parkway passiert, als das Scheißding seinen Geist aufgab. Autos, die in meiner Gegenwart verreckten, waren lange Zeit in meinem Leben ein Thema.
Jedenfalls, der Gelbe war hinüber, rollte am Straßenrand im Schnee aus. Wir steckten im Schnee fest, in sehr viel Schnee. Dabei schneite es immer noch höllisch. Wir überlegten, ob wir einfach an Ort und Stelle bleiben und auf Hilfe warten oder aussteigen und zurück zur Mautstelle laufen sollten. Aber zumindest mussten wir Bruce Bescheid sagen, der Zuspätkommen nicht duldete. Er war immer der Boss, auch wenn wir nicht anwesend waren, und es gab bei ihm zwei Regeln: Keine Drogen und keine Unpünktlichkeit. Da ich regelmäßig die erste verletzte, war es für mich besonders wichtig, die zweite zu befolgen.
Während wir über unser weiteres Vorgehen grübelten, sahen wir in den Außenspiegeln eine riesige Walze aus Schnee und Eis auf uns zukommen. Wir sprangen aus dem Auto und schmissen uns in die Schneewehe auf der anderen Straßenseite. Erst in letzter Sekunde wich der gigantische Schneepflug dem Gelben aus, begrub ihn aber unter Tonnen Schnee. Ich übertreibe nicht, der ganze Wagen war verschwunden.
Wir setzten unseren Weg in die Stadt per Anhalter fort und kamen sogar noch rechtzeitig an. Den Gremlin habe ich nie wieder gesehen.
Ich bin schon oft gebeten worden, etwas über die wilden Zeiten des frühen Tourlebens zu erzählen, und ich habe es bis jetzt immer abgelehnt. Die Wahrheit sieht aber so aus: Die Frauen auf der Tour damals waren unglaublich.
Es war wirklich das Allertollste. Ich hatte mein ganzes Leben damit verbracht, Frauen hinterherzurennen, meistens vergeblich, und nun verfolgten sie mich. Man konnte alle fünf Minuten eine andere Frau haben. Eigentlich war es zu viel des Guten. Ich weiß, es klingt blöd, aber es war nicht zu schaffen. Ich meine, zunächst habe ich meine neue Position voll ausgenutzt. Wer hätte das nicht? Später wählte ich gründlicher aus, wurde ich anspruchsvoller.
Ich habe wirklich einige erstaunliche Frauen kennengelernt, zu bereuen habe ich nichts und ich liebe sie noch alle.
1978 hatten wir einen Gig in Indianapolis. Nach dem Soundcheck erzählte mir Danny von einem Club auf der anderen Seite der Straße namens Red Garter Lounge. Also gingen ein paar von uns rüber, ich glaube, Steve war auch dabei. Ich mochte Stripperinnen, und Stripperinnen mochten mich. Wir waren wie füreinander gemacht. Wir luden einige von ihnen zum Konzert am Abend ein. Wir trafen uns in meiner Garderobe, Temple of Soul genannt, sie hatten sich aufgebrezelt und sahen sexy aus, und dann war Showtime.
Wir gingen raus und legten los. Die Mädels standen seitlich der Bühne. Nun, sie waren von Natur aus ungezwungen und hatten auch schon ein paar Drinks intus. Wir spielten „Tenth Avenue Freeze-Out“, Bruce stand ganz vorn und machte sein Ding, die Menge fing an zu toben und Bruce sang und lachte. Und als ich mich nach links drehte, sah ich plötzlich die Mädels auf der Bühne tanzen und sich ausziehen. Das war ein Volltreffer. Sie waren erstklassige Stripperinnen, perfektes Timing. Sie tanzten, bis der Song endete, und zogen sich dabei bis zur Unterwäsche aus. Jeder hätte sich gewünscht, dass der Song niemals aufhörte – auch die Band.
Wenn ich an diese Zeit denke, vermisse ich Danny. Er war es, der immer diese besonders verrückten Sachen auf Lager hatte. Die Leute hielten ihn für den ruhigen Typen an der Orgel, aber er machte den krassesten Blödsinn.
Eines Abends klopfte es an die Tür meines Hotelzimmers. Ich öffnete und Danny stand im Gang, völlig nackt. Er kriegte sich gar nicht mehr ein: „Das musst du auch probieren, das gibt einen unglaublichen Kick. Zieh deine Sachen aus und renne nackt den Flur runter. Du glaubst nicht, wie high das macht. Komm schon, probiers einfach!“ Und schon rannte er zurück in sein Zimmer.
Ich war auch so schon ein bisschen high und die Sache hörte sich lustig an. Also zog ich meine Sachen aus, öffnete die Tür und schaute den Gang hinunter. Ich war völlig nackt, versteht ihr? Niemand war zu sehen. Dannys Zimmer befand sich am Ende des Gangs in der Nähe der Fahrstühle. Ich trat auf den Flur, schloss die Tür hinter mir und raste den Gang hinunter. Danny hatte recht, es war großartig. Ich geriet in diesen unglaublichen, albernen Rausch, einfach, indem ich splitterfasernackt in einem Hotel den Gang entlangrannte.
Als ich Dannys Zimmer erreichte, war die Tür zu. Meine Zimmertür war ebenfalls geschlossen, und ich hatte vergessen, den Schlüssel mitzunehmen. Also klopfte ich. „Reingelegt!“, schrie Danny von drinnen. Es war ein abgekartetes Spiel. Ich stand draußen, bis auf die Knochen blamiert. In dem Augenblick, ich schwöre es, öffneten sich die Türen des Fahrstuhls, und als ich mich umdrehte, blickte ich direkt in die Augen der Nonnen.