Читать книгу Gestrandet in der Unendlichkeit: Paket 15 Science Fiction Abenteuer - Conrad Shepherd - Страница 30
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ОглавлениеDann kam der erste Sonnenstrahl.
Noch bevor Krut den Rand des weißen Balles am Horizont aufsteigen sah, glänzte die Spitze des Berges plötzlich in strahlendem Gold. Zuerst wie ein Punkt. Dann länger werdend, spitz wie eine Nadel. Dann ein Kegel. Der Berg und ein paar Wolken nahmen Gestalt an.
Krut machte sich auf den Weg ins Tal. Abwärts war es nicht sehr schwierig, trotz des verwundeten Ballens. Als er dann gar schweben konnte, vergaß er seine Furcht. Seine einzige Sorge war, dass er den Weg verfehlen konnte, und deshalb machte er sich sehr bald die Mühe, auf einen großen Lederbaum hinaufzuschweben, um das unübersichtliche Talgelände zu rekognoszieren.
Das Ergebnis dieses gescheiten Abstechers verblüffte ihn.
Aus dem sich langsam lichtenden Frühnebel schälte sich eine hohe symmetrische Gestalt. Er konnte nur einen grauen Schatten und keine Einzelheiten erkennen. Lediglich der Umriss des Fremden war klar und deutlich. Und man konnte seine Größe ahnen.
Seine Größe – fast wie ein Berg. Aber runder. Vielleicht wie der obere Teil eines Tropakopfes. Wie eine Sonne, die über den Wiesen aufgeht und erst zur Hälfte hinter dem Horizont erscheint. Aber die Sonne war es natürlich nicht. Denn dieser bucklige Berg war grau und neblig. Er leuchtete auch nicht und schien zum Greifen nahe.
Krut wartete einen Augenblick, ob sich das Ding bewegen würde. Sehr schnell verlor er die Geduld und schwebte vom Baum herab, holte am Boden tief Luft, pumpte mit den Vaku-Lungen und startete erneut zu einem Schwebeflug dicht über der Erde.
Der Wald war licht. Er brauchte nur wenigen Bäumen auszuweichen und konnte fast geradeaus schweben.
Schließlich wurde der Wald dichter. Ausgerechnet hier hatte sich das Ding niedergelassen, das er für Tsou hielt. Oder wenigstens für eine Sache, die Tsou inszeniert hatte.
Je näher er kam, um so unruhiger wurde er.
Er sah verbrannte Erde und umgestürzte Bäume. Tsou schien zornig gewesen zu sein. Wahrscheinlich über ihn und seinen Besuch. Aber jetzt lag er still und friedlich.
Die Neugier war größer als die Furcht.
Das letzte Stück ging Krut auf den Armen. Die Äste der umgestürzten Bäume waren zu dicht, als dass er noch hätte schweben können.
Dann stand er auf der Lichtung, die das Feuer gebrannt haben musste, als es in der Nacht vom Himmel kam. Hier und da war noch Glut im feuchten Unterholz. Doch die Nässe verhinderte, dass sie sich entzündete. Es stieg nur viel dichter Dampf auf, der die Sicht behinderte.
Krut erkannte trotzdem genau, dass das Ding eine Kugel war. Aus der unmittelbaren Nähe gab es keinen Zweifel mehr daran.
„Ich bin dein Diener“, hauchte Krut ehrfürchtig. Nach einer Pause wiederholte er seine Versicherung, ohne dass das Ding reagierte. Daraufhin ging er noch näher heran, bis er genau unter der Kugel stand. Vom Boden aus konnte er sie nicht erreichen. Aber wenn er etwas hinaufschwebte, würde er sie anfassen können.
Er wollte einatmen, als ihn eine Bewegung an der Kugel erstarren ließ. Die glatte Wand hatte plötzlich ein rundes Loch bekommen. Ein Loch – schwarz wie die Nacht.
Dann tauchte ein Tier auf, wie er es noch nie gesehen hatte. Es war lang und dünn wie eine Spindelschrecke. Aber wesentlich größer. Größer als Krut selbst.
Sofort ließ er alle Luft fahren, die er bereits angesaugt hatte, und drückte sich tief ins Gras.
Das Tier schwebte zu ihm herab.
Wenn es nun kein Tier war?
Niemand hatte ihm bisher sagen können, wie Tsou aussah. Keine Erfahrung widersprach der Annahme, dass Tsou genau wie eine riesige Spindelschrecke aussehen mochte.
„Ich bin dein Diener, Tsou!“, schrie Krut. „Sage mir, was ich tun soll! Ich bin dein Diener am Berg und in den Wiesen.“
Er drehte das Gesicht nach oben und schob die Augen über das Gras hinaus. Dicht über ihm schwebte ein blasses Gesicht. Wie zum Angriff hatte sich die Spindelschrecke senkrecht aufgerichtet und streckte zwei Arme nach ihm aus.
Krut gab es auf, die tausend Fragen und Vermutungen zu ordnen. Ob Tsou oder nicht, ob eine Riesenschrecke oder ein Alptraum. Was hier geschah, war so fremd, dass er sich nur noch fürchten konnte.
Schweben und fliehen war sein letzter Gedanke. Dann fühlte er den harten Griff der beiden Arme, fühlte, wie sie ihn hochhoben. Aber sie erdrückten ihn nicht. Sie hielten ihn fest und warm und ließen ihn plötzlich schweben, ohne dass er seine Blase bewegte.
Das schwarze Loch in der Kugel kam näher. Sie tauchten hinein. Und dann war es plötzlich hell.
Die Arme ließen ihn fahren. Er spürte festen, glatten Boden unter sich, so glatt, wie ihn noch kein Tropa gesehen hatte. Genauso glatt waren die Wände rechts und links. Und der Himmel über ihm. Es war ein schmaler, langer Himmel. Niedrig zum Greifen und mit vielen kleinen Sonnen, die geradlinig hintereinander lagen. Wenn es dunkel gewesen wäre, hätte er meinen können, in einer Höhle zu sein, wie sie die Tropas unter den Wiesen bewohnen.
Aber natürlich! Tsou als Gott der Götter konnte sich unter Umständen viele kleine Sonnen leisten, die er in seiner Wohnhöhle aufhängte, um auch dort Licht zu haben.
Krut streckte die vier Arme von sich, um seine Demut auszudrücken.
„Ich bin dein Diener, Tsou.“
Er wollte nicht müde werden, diese Versicherung zu geben. Denn wenn es eine Rettung für ihn gab, dann nur auf diese Weise. Doch sofort verließ ihn wieder sein unerschütterlicher Glaube, als neben der hohen, schlanken Gestalt eine zweite auftauchte, die ihr genau glich.
Nicht genug damit!
Eine dritte und vierte kam, und alle verbreiteten einen heftigen Lärm um sich. Krut ließ die Hoffnung fahren, dass er es mit Tsou zu tun hatte. So viele Tsous konnte es gar nicht geben. Je mehr aufrechte Gestalten sich in der erleuchteten Höhle blicken ließen, um so überzeugender machten sie auch den Eindruck, dass sie ein Schwarm Spindelschrecken waren. Und Schrecken von dieser Größe waren keine angenehme Mahlzeit, sondern schienen eher geeignet, einen Tropa verspeisen zu können.
Dann aber kam ein Wesen heran, dessen Fluidum ein angenehmes Rieseln in seinem Körper verursachte. Es war auf den ersten Blick schön und absolut ästhetisch. Wohlgeformt wie eine Kugel, mit einer transparenten, leuchtenden Haut. Es war auch nicht so unverschämt groß wie die abscheulichen Schrecken.
„Ich bin dein Diener, Tsou!“, schnatterte Krut aufgeregt, sprang auf das Kugelwesen zu und warf sich wieder zu Boden. „Schicke deine Knechte weg, Tsou! Diese Spindeln sind es nicht wert, dir zu dienen. Ich werde alles für dich tun, was du willst. Schicke sie weg, ehe sie mich fressen!“
Tsou hatte drei Arme, was für einen Gott eigentlich sehr wenig war. Aber diese Arme waren lang. Und das imponierte Krut wiederum. Sie waren weich und elastisch. Die Hand, die nach ihm griff, hatte nichts Bedrohliches an sich. Nur diese Geräusche, die zu laut und zu fremd klangen, als dass man sie als „Sprache“ erkennen konnte, hinderten ihn daran, volles Vertrauen zu fassen.
Eine von den Spindelschrecken – es waren inzwischen mindestens neun oder zehn geworden – reichte dem Kugelwesen einen kleinen Kasten. Tsou nahm ihn an, woraus Krut schloss, dass der Gott seinen Vorschlag, die Diener zu wechseln, wenigstens noch nicht sofort angenommen hatte.
Die Geräusche der Fremden nahmen wieder an Heftigkeit zu. Sowohl Tsou als auch seine Diener schienen heftig auf ihn einzureden. Tsou nahm den Kasten und schob ihn langsam näher. Krut hätte ihn mit seinem kurzen Arm bequem erreichen können. Doch vor einer solchen Reaktion fürchtete er sich noch.
„Ich bin dein Diener, Tsou!“, wiederholte er verzweifelt. Und für sich dachte er: „Wenn du ein Gott bist, musst du mich doch wenigstens begreifen.“
Dann sagte Tsou plötzlich klar und verständlich: „Wir dir helfen – du uns helfen.“
Das war zu viel für Kruts Horizont. Anstatt sich zu freuen, dass er die anderen verstehen konnte, ergriff ihn eine große Enttäuschung. Ein Gott, dem er helfen sollte, konnte kein Gott sein. Und Fremde, die keine Götter waren und obendrein aussahen wie überdimensionale Spindelschrecken, hatten gewiss nichts Gutes im Sinn.
Er sammelte Luft in der Schwebeblase, spannte die Muskeln der Vaku-Lunge und stieg blitzschnell auf. Dabei hatte er allerdings die geringe Höhe des „Höhlenhimmels“ nicht richtig eingeschätzt und stieß kräftig gegen eine Metallschiene. Sein Aufschrei erstarb in einer wohltuenden Ohnmacht. Steif wie ein Stein stürzte er auf den Boden zurück und blieb regungslos liegen.