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D I E W I C H T I G S T E N Z E U G E N Tag 03: Erster Zeuge sagt aus

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Mittwoch, 31. Juli 2013

Als ersten Zeugen hat das Gericht den Mann geladen, der in der Londoner HSH-Niederlassung die Vorstandsvorlage für das im Zentrum der Anklage stehende Geschäft Omega55 federführend koordiniert hat. Es ist der Bankkaufmann Marc S., 37 Jahre alt. Richter Tully betonte, dass gegen S. nicht ermittelt werde, und er die Wahrheit zu sagen habe.

Marc S. erschien in Bankermontur - dunkler Anzug, randlose Brille, blau-grün gestreifte Krawatte; ein Mann mit früh ergrauten Haaren und weichen Gesichtszügen. S. antwortete zögernd, wog seine Worte ab, sprach leise. Er hatte sich einen Rechtsbeistand mitgebracht, einen Anwalt. Mit seinen früheren Vorgesetzten vermied er Blickkontakt, obwohl er seitlich zu ihnen saß. Ein Verteidiger hatte das angeregt, dass die Zeugen den Angeklagten und Verteidigern nicht den Rücken zukehren, wenn sie der 8. Großen Strafkammer gegenüber sitzen, sondern dass sie seitlich Platz von ihnen nehmen.


Die Berufsrichter der Strafkammer: Volker Bruns, Marc Tully, Malte Wellhausen (v.l.)

Der Zeuge S. gab an, er habe 1998 bei der HSH eine Banklehre absolviert und sei im April 2006 zum Gruppenleiter der Niederlassung London befördert worden, der Financial Institutional Group FIG. Die erste Befragung von Marc S. führte der Vorsitzende Richter Marc Tully, unterstützt von Richter Volker Bruns. Ich gebe die Befragung im Folgenden nur in Auszügen, sinngemäß und zusammengefasst wieder:

Richter Marc Tully: An was erinnern Sie sich bei Omega55?

Marc S: Omega55 war artverwandt mit einem Geschäft, das wir vorher gemacht hatten. Außerdem habe ich es als Neugeschäft eingestuft. Ungewöhnlich war, dass ich in London damit beauftragt wurde - von meinem Vorgesetzten Luis Marti Sanchez -, weil für Geschäfte, die das Eigenkapital der Bank entlasten sollten, eigentlich eine andere Abteilung zuständig war. (Eine Abteilung der HSH in Kiel.) Mit solchen Transaktionen hatte ich selten zu tun. Meine Aufgabe bei Omega55 war die Vorlage für den Vorstand zu koordinieren und gemeinsam mit meinen drei Mitarbeitern den Analyse- und Bewertungsprozess zu steuern.

Omega55 war 2007 auch nicht das einzige Eigenkapitalentlastende Geschäft. Wir hatten mehrere abzuarbeiten, wie „Ruby“, eine Transaktion mit der Investmentbank Lehman Brothers und „St. Pancras“ mit der Hypo Real Estate. Eigenkapital-Entlastungen waren ein sehr prominentes Thema zu dieser Zeit, und sie wurden regelmäßig am Ende eines Jahres vorgenommen.

Tully: Gab es allgemein die Aufgabe, nach Kapitalentlastungen zu suchen?

Marc S: Der Niederlassungsleiter in London, Sanchez, sollte Ausschau halten, wie man das Eigenkapital von Risiken entlasten könnte. Ich sollte mit meinem Team dabei helfen.

Tully: An wen hatte Marti Sanchez direkt zu berichten?

Marc S: Ich glaube an Kapitalmarktvorstand Friedrich, ich vermute das.

Tully: Wann ist Omega55 ins Gespräch gebracht worden und wem oblag das Projektmanagement?

Marc S: Oktober 2007 war das. Es war aber keine Abteilung federführend. Es wurde bei uns verwaltet. Ich habe am Ende viel koordiniert, aber ohne offizielle Anweisung, das zu tun.

Tully: Omega55 bestand aus zwei Teilen, Teil-A und Teil-B. Mit Teil-A hat die HSH Risiken an die BNP Paribas abgegeben und damit ihr Eigenkapital entlastet. In Teil-B wiederum hat die HSH Risiken von der BNP in die eigene Bilanz aufgenommen, ihr Eigenkapital also belastet. Worin liegt da die wirtschaftliche Sinnhaftigkeit?

Marc S: Wenn die BNP Paribas Risiken abnimmt, zahlt die HSH dafür an sie eine Prämie (für Teil-A). Bei Teil-B ist es umgekehrt. Da zahlt Paribas eine Prämie an die HSH. Als Risikoversicherer ist die HSH aber Verlustrisiken ausgesetzt.

Bruns: Warum wurde Teil-A mit Teil-B verknüpft?

Marc S: Weil dieses Geschäft eine günstigere Risikoentlastung für die HSH war als andere Maßnahmen.

Tully: Haben die Vorstände während der Planungsphase über Omega gesprochen?

Marc S: Soviel ich weiß, gab es viele Telefonate zwischen meinem Vorgesetzten Marti Sanchez und Kapitalmarktvorstand Friedrich. Besonders besprochen wurde die Risikoentlastung, wie sie aufsichtsrechtlich zu bewerten sei. Das wurde in der Rechtsabteilung bearbeitet. Omega55 war ein prominentes, ambitioniertes Projekt in der HSH und es wurde immer wieder diskutiert, ob die Entlastung des Eigenkapital aus aufsichtsrechtlicher Sicht wirklich funktioniert. Wurde kontrovers diskutiert. Die Rechtsabteilung hat letztlich gesagt: Ja, es ist aufsichtsrechtlich eine Entlastung.

Tully: Wieso wurde die Abteilung Neue-Produkte-Neue-Märkte (NPNM) eingeschaltet?

Marc S: Das habe ich angestoßen, damit Omega55 abgebildet werden kann. Und es war auch immer von beiden Teilen die Rede, von Teil-A und Teil-B. Der Fokus von NPNM lag aber auf dem A-Teil, weil die Liquiditätsfazilität in Teil-B nichts Neues für die HSH war, kein neues Produkt.

Tully: Wann hat die Rechtsabteilung Omega55 beurteilt?

Marc S: Soweit ich mich erinnere - Mitte Dezember. Wir haben immer kommuniziert, dass es bei Omega55 Teil-A und Teil-B gibt. Für die Rechtsabteilung war das eine wesentliche Frage, ob das Rückholen von Risiken aufsichtsrechtlich okay ist. Das hat die zuständige Juristin Vera S. geprüft. Für mich war aber klar, dass Omega nicht nur die Bilanz entlastet, sondern auch belastet.

Tully: Ist das nicht ein inhärenter Widerspruch? Erst Entlastung von Risiken dann Belastung mit Risiken?

Marc S: Für mich ist das kein Widerspruch. Weil die Entlastung des Kapitals in der Immobiliensparte anfällt (über Teil-A) und die Belastung in der Sparte Kapitalmarkt (Teil-B) und jeder seine eigenen Budgets und Zielvorgaben hat.

Tully: Schaut keiner auf das Gesamtbild der Bank?

Marc S: Die BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) erhält von uns eine Gesamtquote. Die Steuerung der verschiedenen Abteilungen und Sparten wie Immobilien, Kapitalmarkt oder Financial Institutional Group korrespondiert zu den vereinbarten Zielvorgaben, Geld zu verdienen. Nicht jedes Geschäft wird geprüft, ob es aufsichtsrechtlich okay ist und ob es die Bank als Ganzes im Eigenkapital beeinflusst.

Tully: Hat die zuständige Mitarbeiterin der Rechtsabteilung auch Teil-B geprüft?

Marc S: Ja, die Rechtsabteilung hat gegensätzliche Wirkungen von Omega55 geprüft. Und dann sagte die zuständige Juristin Vera S.: Die Eigenkapital-Entlastung kann vorgenommen werden.

(An dieser Stelle fragte Richter Tully leider nicht nach, ob das „Ja“ aus der Rechtsabteilung auch bedeutet habe, dass Omega insgesamt aufsichtsrechtlich in Ordnung und günstig für die HSH war, oder nur Teil-A. Würde die Rechtsabteilung Omega55 als Ganzes so bewertet haben, hätte das den Vorstand entlastet. Die genannte Juristin Vera S. verneinte die Version von Marc S. später bei ihrer Zeugenbefragung, siehe 17. Tag.)

Tully: Hielten Sie das, was die Rechtsabteilung gesagt hat, für sinnvoll; war es plausibel für Sie?

Marc S: Ich habe die Einschätzung zur Kenntnis genommen. Die Frage habe ich mir aber auch mit meinem gesunden Menschenverstand gestellt.

Tully: Wurde mit der Rechtsabteilung auch erörtert, wie Omega55 zu bilanzieren ist?

Marc S: Das war ein wesentlicher Punkt der Analyse und es wurde entschieden, dass Teil-B wie eine Art Kredit behandelt werden soll. Die BNP Paribas meinte, Teil-B wäre wie ein Kredit zu verbuchen, und die HSH sah das genauso.

(Der Zeuge meint hier mit „Teil-B“ vermutlich die 400-Millionen-Liquiditätsfazilität für die STCDO. Wird ein Geschäft als Kredit erfasst, werden nur tatsächliche und wahrscheinliche Verluste in der Gewinn- und Verlustrechnung GuV sichtbar. Kreditderivate wie Verbriefungen werden anders behandelt. Bei ihnen müssen Wert- beziehungsweise Preisschwankungen in der GuV sofort erfasst werden. Diese hängen von Angebot und Nachfrage ab.)

Tully: Wurden die Vorstände vorab über Omega55 informiert?

Marc S: Kapitalmarktvorstand Friedrich wurde informiert, zu anderen kann ich nichts sagen.

Für Marc S. war damit der erste Tag vor Gericht gegen 14 Uhr zu Ende. Er wurde mit dem Hinweis, man sehe sich am nächsten Verhandlungstag wieder, entlassen.

Der Seitenwechsler

Marc S. ist ein Zeuge von herausragender Bedeutung. Er hatte bei der HSH 1998 seine Lehre als Bankkaufmann absolviert, wurde 2006 Gruppenleiter in der Niederlassung London. Gruppenleiter war damals die unterste Führungsebene in der HSH, genannt auch M3-Leiter. Darüber rangierten die Bereichsleiter M2, die Abteilungsleiter M1, zu guter Letzt der Vorstand.

S. hat inzwischen beruflich die Seiten gewechselt und die HSH 2011 per Aufhebungsvertrag verlassen. Er arbeitet inzwischen bei der Nachfolgerin des Bankenrettungsfonds Soffin, der FMSA. Das birgt eine gewisse Ironie, weil die HSH ohne die rettenden 30 Milliarden Euro Soforthilfe des Soffin Ende 2008 nicht überlebt hätte.

Handschriftliches im Gerichtssaal

Im Gerichtssaal ist es uns Journalisten - und auch dem Publikum - übrigens nicht erlaubt, Laptops zu benutzen. Nur die Strafkammer, Staatsanwaltschaft und Verteidigung dürfen technisch voll ausgerüstet sein. Wir Beobachter sind gezwungen, per Hand mitzuschreiben. Erstaunlicherweise fertigen aber auch die meisten Verteidiger und auch die Richter ihre Notizen handschriftlich an; nur Staatsanwalt Fink tippte unermüdlich auf seiner Laptop-Tastatur, was ihm wichtig erscheint.

Blog-Kommentare

1. August 2013 @ 17:38 von: bescheidwisser

Danke für die Zusammenfassung, das ist sehr interessant !

Schade, dass der Richter nicht danach gefragt hat, ob die Prämien bei diesem Geschäft aus der Sicht von Herrn S. im marktüblichen Rahmen gelegen haben.

1. August 2013 @ 20:44 von: Dani

Doch das hat er! Ich staune. Marc S. aber hat darauf ausweichend und für mich nicht eindeutig nachvollziehbar geantwortet. Das hänge von zu vielen Dingen ab wie Marktstimmung, Volumen, Rating der Bank etc. S. hat manchmal nur ein, zwei Sätze auf Fragen gesagt. Für meinen Geschmack zu wenig. Als Journalist in so einem Prozess nicht selbst Fragen stellen zu dürfen, ist eine besondere Art der Geduldsprobe.

DR. NO und die Unschuldigen

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