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Prolog

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Alles fing mit einer Strafanzeige des Hamburger Rechtsanwalts Gerhard Strate im März 2009 an. Darin warf er Verantwortlichen der HSH Nordbank Untreue in einem besonders schweren Fall vor. Mehr als vier Jahre später, am 24. Juli 2013, standen tatsächlich sechs frühere Vorstände der Landesbank von Hamburg und Schleswig-Holstein, der HSH Nordbank AG, in Hamburg vor dem Strafgericht - wegen schwerer Untreue und Bilanzfälschung. Sie arbeiteten zu dieser Zeit längst nicht mehr für die Landesbank, die seit 2008 mit Steuer-Milliarden am Leben gehalten wird; sie waren zurückgetreten, entlassen worden oder hatten gekündigt.

Die Vorwürfe, die die Staatsanwaltschaft Hamburg gegen die Ex-Banker erhob, konzentrierten sich auf ein einziges Finanzgeschäft zwischen der HSH und der französischen Investmentbank BNP Paribas, genehmigt Ende 2007: Omega55. Es fiel in eine unübersichtliche und für die HSH sehr ambitionierte Zeit. Die Vorstandsriege sollte im Auftrag der Mehrheitseigentümerinnen Hamburg und Schleswig-Holstein die Landesbank 2008 als erste ihrer Art an die Börse bringen. Die Ausläufer der Finanzkrise aber zogen seit Anfang 2007 Milliardenverluste in den Banken nach sich, auch in der HSH. Diese Verluste zehrten am Eigenkapital. Eine fatale Entwicklung kurz vor dem Börsendebüt. Denn Ratingagenturen und Investoren lieben finanzkräftige Firmen, nicht strauchelnde. Die Vorstände suchten deshalb nach Lösungen, die sich häufenden Verluste zumindest optisch am Jahresende 2007 zu glätten. Eine Lösung sollte Omega55 sein. Dieser Bankdeal war insgesamt 2,4 Milliarden Euro schwer und vermeintlich so konstruiert, dass über einen legalen Bilanztrick das Eigenkapital der HSH zum Jahreswechsel 2007 um etwa 128 Millionen Euro höher ausfiel. Geld war mit Omega55 dagegen kaum zu verdienen.

Und obwohl dieses Finanzkonstrukt sehr umfangreich und komplex war, allein der Hauptvertrag soll 700 Seiten umfasst haben, unterschrieben es die sechs erfahrenen Banker nacheinander und im „Eilverfahren“. Jeder Vorstand für sich, ohne darüber miteinander gesprochen zu haben. Und, so stellte es sich für die Staatsanwaltschaft Hamburg dar, ohne angemessen geprüft und ohne Warnungen von Mitarbeitern wahrgenommen zu haben. Schwere Untreue sei das, durch vorsätzliches, grob pflichtwidriges Verhalten, befanden die Staatsanwälte. Zudem sollen zwei der Ex-Vorstände einen Teil des Geschäftes bewusst falsch bewertet haben. Das führte dazu, dass die HSH im ersten Halbjahr 2008 einen Gewinn auswies, obwohl längst ein Verlust aufgelaufen war. Der Vorwurf: Bilanzfälschung.

Die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelte zwei Jahre. Ihre Ermittlungsgruppe „091“ tauschte sie sogar einmal aus. Im Januar 2012 erhob sie Anklage. Die 8. Große Strafkammer des Landgerichts Hamburg ließ die Klage nach einjähriger Prüfung am 23. April 2013 zu (AZ 608 KLs 12/11). Sie erachtete die Angeklagten einer „gemeinschaftlich begangenen Untreue für hinreichend verdächtig“[1]: Eine falsche Darstellung in der Quartalsbilanz zum 31. März 2008 wurde zumindest für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen, schrieb die Strafkammer. Den ersten Verhandlungstag[2] datierte sie auf den 24. Juli 2013.

Das auf juristisch hohem Niveau geführte Verfahren endete ein Jahr später, nach 62 Prozesstagen. Am 9. Juli 2014 sprach die 8. Große Strafkammer die sechs Männer frei. Eine Überraschung. Denn die durchaus begangenen Pflichtverletzungen der Angeklagten seien „nicht evident“ beziehungsweise „nicht gravierend“ und die Bilanzfälschung „nicht schwerwiegend“ genug für eine Verurteilung, würdigten die Richter die Sachlage. Ein zweifelhaftes Urteil, denn das rechtliche Konstrukt der gravierenden Pflichtverletzung ist umstritten und die Strafkammer begründete am Urteilstag ihre Argumente für die Freisprüche seltsam realitätsfern und teils lapidar. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft legte umgehend Revision ein.

Die vorliegende Dokumentation ist eine Schilderung meiner persönlichen Eindrücke vom Verfahren. Damit können Sie sich selbst eine Meinung über die Verhandlung und das Urteil bilden und wie Landesbanken im Jahr 2007 agierten. Ich war an fast jedem Verhandlungstag im Gericht und habe darüber auf www.diedeutschenbadbanks.de geblogged. Im Buch werden sie 19 Protagonisten und 32 Zeugen begegnen, sich mit kompliziertem Bankervokabular konfrontiert sehen, schwieriges Juristendeutsch ertragen und verwirrende Ausführungen sortieren müssen. Die Plackerei aber lohnt sich:

Sie tauchen im Strafprozess in das Innere einer Landesbank ein - in das Chaos, das Ende 2007 dort herrschte. Sie lernen die Leichtfertigkeit kennen, mit dem Milliardengeschäfte eingegangen und eine wirksame Aufsicht vernachlässigt wurde, und unter welchem extremen Zeitdruck die Mitarbeiter schufteten. Sie erhalten Einblicke in die Arbeitsweise und Qualifikation des seinerzeitigen Vorstands und werden begreifen: Die HSH ist nicht einfach ein Opfer der Finanzkrise, auch wenn die Angeklagten nicht müde wurden, sich in dieser Weise zu rechtfertigen. Die HSH ist vor allem ein Opfer ihrer Führungskräfte, der Vorstände und regierenden Politiker in den Aufsichtsräten. Sie folgten fromm dem Zeitgeist und einer fiktionalen Finanzmathematik, ignorierten Fakten und bank-kaufmännische Erfahrungen, begegneten warnenden Mitarbeitern mit Desinteresse; sie glaubten wohl mehr als sie verstanden und die Vorstände kassierten hohe Gehälter und wohl auch Millionen-Boni, ohne für ihr Tun bisher zu haften.

Die Dokumentation wirft aber auch ein Schlaglicht auf einen Gerichtsbetrieb, der wenig daran interessiert zu sein scheint, die Allgemeinheit am Aufarbeiten von - für die Gemeinschaft bedeutenden - Straftaten teilhaben zu lassen, obwohl die Öffentlichkeit eines Strafverfahrens zu den Grundfunktionen des deutschen Rechtsprinzips gehört. Die Bedingungen der Berichterstattung waren journalistisch kaum vertretbar. Ich musste mich für die Berichterstattung auf meinem Blog sogar vor einem Pressegericht verantworten, berichtete dennoch weiter.

Eine vitale Eigenheit von Weblogs ist, dass Leser ihre Meinung kundtun können. Einige dieser Kommentare möchte ich Ihnen im Buch nicht vorenthalten. Sie stammen vor allem von zwei Bloglesern. Der eine ist mir bekannt; er saß selbst ab und zu im Gerichtsaal. Der andere Meinungsfreudige gab sich leider nicht zu erkennen. Ich habe die Kommentare ausgesucht, die meine Beobachtungen und Schilderungen ergänzen und das Thema weiterbringen.

Es fing mit einer Strafanzeige an, endete mit Freisprüchen und mündete nicht in einer öffentlichen Debatte darüber, welche Aufgaben (Landes)Banken in unserer Volkswirtschaft eigentlich haben sollten, womit sie ihr Geld verdienen und ob die Milliardengewinne der Geldhäuser gesellschaftlich überhaupt erwünscht sein können. Wir als soziale Gemeinschaft müssen dafür Sorge tragen, dass Banken nicht weiter eine Spielwiese machtversessener Manager, einflussreicher Kapitaleigner und manipulierbarer Politiker sind - auf unser aller Kosten. Banken erfüllen eine elementare Funktion in unserer Wirtschaftsordnung und sollten dem Wohle der Allgemeinheit dienen, nicht dem Wohle weniger.

Die Erkenntnisse aus diesem Untreue-Prozess um das wirtschaftlich völlig sinnlose Risiko-Kreislaufgeschäft Omega55 sind ungeachtet des Urteils und seiner juristischen Bewertung wie Aufarbeitung ein wichtiger Baustein, um die degenerierte Banken- und Finanzwelt zu begreifen, die Ursachen der Finanzkrise vor der eigenen Haustür zu erkennen und das bestehende Finanzsystem grundlegend zu erneuern. Das geht uns alle an.

„Das Problem des demokratischen Kapitalismus besteht darin, dass er Kritik braucht, dass er von ihr lebt. Wenn er nicht der Kritik ausgesetzt ist, zerfällt er.“

(Tomáš Sedláček)

Dani Parthum

Hamburg, April 2015

Anmerkungen:

[1] Pressemitteilungen des Oberlandesgerichts unter http://drnounddieunschuldigen.de

[2] Das Verfahren erhielt das Aktenzeichen 608 KLs 12/11.

DR. NO und die Unschuldigen

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