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D E R P R O Z E S S B E G I N N T Tag 01: Auftakt nach Maß ins juristische Neuland

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Mittwoch, 24. Juli 2013

Er war ein heißer Sommertag, dieser 24. Juli. Schon in den Morgenstunden zeigte das Thermometer über 30 Grad. In dieser Hitze begann also das jahrelang vorbereitete Strafverfahren gegen die sechs früheren Vorstände der HSH Nordbank AG - wegen schwerer Untreue beziehungsweise Bilanzfälschung. Ich hielt einige von ihnen für schuldig. Schuldig, die Landesbank der norddeutschen Länder Hamburg und Schleswig-Holstein mit ins Verderben gewirtschaftet zu haben, ohne Zweifel zu kultivieren, ohne innezuhalten und ohne Selbstreflexion - dafür großspurig, selbstgefällig, opportunistisch. Das hatten meine Recherchen für den Radiosender NDR Info ergeben. Jetzt wurde den Bankern der Prozess gemacht. Ob aber auch für das, wofür ich sie für schuldig hielt? Die Anklageschrift knüpfte ihren Vorwurf nur an ein einziges Finanzgeschäft, das die Vorstände Ende 2007 genehmigt und die HSH kurze Zeit später mit an den Rand des Ruins manövriert hatte. Es wurde unter dem Codenamen Omega55 bekannt.

Geduldsprobe

Ich war jedenfalls nervös. Nach Jahren würde ich die Vorstände wiedersehen und ich war dabei, mich auf ungewohntes Terrain zu begeben. Als Wirtschaftsjournalistin berichte ich gewöhnlich nicht aus Gerichtssälen. Weil ich aber durch meine Recherchen soviel über die HSH wusste, wollte ich mit eigenen Ohren hören, was vor Gericht zur Sprache kommt und selbst sehen, wie das ist, mittendrin in einem Strafprozess zu sein. Ich wollte mir eine eigene Meinung bilden und nicht auf sporadische Presseerzeugnisse und magere Gerichtsmitteilungen angewiesen sein. Also berichtete ich vom Prozessauftakt für die Hörfunkwellen der ARD. Für 9 Uhr hatte ich mich mit zwei Kollegen vom NDR vor dem Eingang des Hamburger Landgerichts verabredet, eine Stunde vor Beginn des Spektakels. Ich wollte nichts und niemanden verpassen.

Die Kontrolle an der Sicherheitsschleuse dauerte mir deshalb viel zu lang. Ohne Schleuse aber kein Zutritt zum Gericht. Alle Journalisten, Besucher, Anwälte und auch die Angeklagten mussten sich einzeln scannen lassen wie am Flughafen. Eine umständliche Prozedur. Entsprechender Rückstau. Endlich, gegen halb zehn, stand ich im zweiten Stock vor dem Großen Sitzungssaal 300 - dem Ort des wichtigsten Wirtschaftsprozesses des Jahres.

Große Anspannung

Immer mehr Journalisten fanden sich ein. Die Anspannung stieg minütlich. Ich schätzte, mehr als 40 Kollegen, Kameraleute und Fotografen waren gekommen. Sie fingen zusehends an, sich vor der Tür zum Zuschauerraum zu drängeln. Zwar waren extra Presse-Plätze reserviert worden und jeder hatte sich namentlich anmelden müssen. Aber würden diese Plätze reichen?

Ich wollte auf jeden Fall sehen, wer von den sechs Ex-Bankern wann kam, wollte aus ihren Gesichtern lesen und beobachten, wie sie sich geben, ob sie sich grüßten oder wegsahen oder versuchten, Anzeichen von Stress zu verbergen. Also stellte ich mich mit in die Schlange vor dem Presseeingang und saß als eine der ersten ganz vorn auf den reservierten Stühlen.

Sie sehen sich kaum an

Der bekannteste unter den sechs Angeklagten traf als erster im Gerichtssaal ein: Ex-Finanzvorstand Dirk Jens Nonnenmacher. Betont ruhig bahnte sich der hochgewachsene, schlaksige Mann mit dem gegelten Schopf einen Weg durch die auf ihn gerichteten Kamera-Objektive, vor und hinter ihm schützend ein Anwalt. Hochmütig sah er über die Journalisten hinweg. Im Gerichtssaal schritt er sofort mit einem aufgesetzten Lächeln lässig zum Fenster, maß mit jedem Schritt das Terrain ab. Er nahm sich Zeit. Für was eigentlich? Immer noch lächelnd ging er dann zu seinem Platz in der ersten Reihe, setzte sich aber nicht hin, sondern blieb stehen. Ein typischer Nonnenmacher-Auftritt.

Bernhard Visker, Ex-Vorstand für Firmenkunden, erschien als Nächster. Ein attraktiver, sportlicher Mann mit Glatze und Sinn für modische Details. Eine Anwältin begleitete ihn. Er grüßte Nonnenmacher kurz, strebte zu seinem Platz in der zweiten Reihe und setzte sich sofort hin; blickte ernst und konzentriert. Peter Rieck, Ex-Vorstand Immobiliensparte, folgte auf Visker. Rieck nahm wie Visker sofort Platz. Dann tröpfelten Joachim Friedrich, Ex-Vorstand Kapitalmarkt, und Hans Berger, Ex-Vorstandschef, in den Gerichtssaal. Berger wirkte schmaler als zu seinen Vorstandszeiten, gealtert, dabei ist er erst Anfang 60. Friedrich schien sich wegducken zu wollen, so zurückhaltend ließ er sich auf seinem Stuhl nieder - ein Mann um die 50, elegant gekleidet, sympathische Erscheinung.

Sie alle redeten kaum ein Wort miteinander, manche grüßten sich kurz per Handschlag, keiner wandte sich an Nonnenmacher für einen kurzen Plausch. Als Letzter erschien Hartmut Strauß, Ex-Risikovorstand. Strauß hatte seinen Posten wegen gesundheitlicher Probleme aufgegeben. Zwar wirkte der Ex-Banker zart und klein, krank sah er aber nicht aus. Stracks ging auch er zu seinem Stuhl in der zweiten Reihe. Insgesamt wirkte die Stimmung unter den einstigen Kollegen frostig. Sie schienen sich nicht viel zu sagen zu haben, wechselten nur wenige Blicke. Erst als die Richter und Schöffen den Saal betraten, standen alle sitzenden Angeklagten auf.

Hochkarätige Strafverteidiger

Vertreten werden die Ex-Bankvorstände von erfahrenen und bundesweit bekannten Strafverteidigern. Hans Berger setzt auf den Hamburger Juristen Otmar Kury, derzeit Präsident der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Hamburg. Peter Rieck und Bernhard Visker greifen auf dieselbe Kölner Kanzlei zurück, das Ehepaar Gatzweiler und Münchhalffen. Und für Dirk Jens Nonnenmacher streitet der emeritierte Rechtsprofessor Heinz Wagner.

Und dann war es so weit. Die Vertreter der Anklage, die Staatsanwälte Karsten Wegerich und Maximilian Fink, betraten den Saal und nahmen links vom Gerichtspodest Platz. Die 8. Große Strafkammer folgte kurz darauf pünktlich 10 Uhr. Mit dabei eine Protokollantin, ein Ersatzrichter und ein Ersatzschöffe. Beinah geräuschlos sortierte sich das Gericht auf seine Plätze. Und auch die Gerichtszeichnerin positionierte sich strategisch günstig schräg gegenüber den sechs Angeklagten, um sie gut sehen zu können. Fotografen und Kameramänner durften noch rasch den Moment festhalten. Und dann eröffnete der Vorsitzende Richter den Strafprozess.


Die Angeklagten stehen in den beiden vorderen Reihen. ©Christian Carisius/dpa

10:00 Uhr

Drei Berufs-, zwei Laienrichter, eine Frau und ein Mann, bilden die 8. Große Strafkammer des Landgerichts Hamburg. Den Vorsitz führt Dr. Marc Tully. Der promovierte Richter gilt als versierter und kenntnisreicher Fachmann, wenn es um Wirtschaftsdelikte geht; er selbst absolvierte eine Banklehre. Zu seiner Richtervita zählen Urteile über die Hamburger Osmani-Brüder wegen Beihilfe zur Untreue und Betrugs und über die Millionen von Alexander Falk, Erbe des gleichnamigen Stadtplan-Imperiums. Tully spricht zu einem vollen Saal, viel Presse, wenige Bürger, unter ihnen der frühere Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, Dr. Werner Marnette. Und auch die HSH Nordbank ist vor Ort; sie hat zwei Rechtsanwälte als Beobachter geschickt: einen aus der Bank, einen externen Anwalt. Sie werden den gesamten Prozess begleiten.

10:05 Uhr

Richter Tully nimmt die persönlichen Daten der Angeklagten auf und will gerade das Wort an sie geben, als sich die Strafverteidigerin von Bernhard Visker, Gaby Münchhalffen, meldet und beantragt, die 15-seitige Kurzfassung der Anklageschrift nicht zu verlesen. Sie enthalte wertende Adjektive wie offensichtlich, erkennbar mangelhaft und unangemessen.

10:18 Uhr

Tully unterbricht die Sitzung und berät sich mit seinen vier Richterkollegen etwa zehn Minuten lang. Die Richter lehnen anschließend den Antrag ab. Tully ordnet an: Die Kurzfassung der Klageschrift wird verlesen, wie sie ist.

10:35 Uhr

Daraufhin steht Staatsanwalt Karsten Wegerich energisch auf und verliest kraftvoll eine halbe Stunde lang die kurz gefasste Klage.


Die Staatsanwälte Maximilian Fink und Karsten Wegerich (r.)

Die Schrift ist gespickt mit Begriffen der Bankerwelt wie value-at-risk, Liquiditätsfazilität, Single Tranche Collateralized Debt Obligation STCDO, SPV, side letter ... Wegerich rattert Zahlenkolonnen herunter, die wohl kaum jemand im Saal nachvollziehen kann. Die gesamte Anklageschrift umfasst 606 Seiten, hinzu kommt eine Sammlung mit Zeugenaussagen, Dokumenten, eMails und Vernehmungsprotokollen. Zusammen ergibt das mehr als 260 Ordner.

Die Staatsanwälte werfen den sechs Angeklagten im Fall des Finanzgeschäftes Omega55 vor, in der Zeit zwischen dem 17. Dezember 2007 und dem 20. Juni 2008:

„gemeinschaftlich die ihnen kraft Gesetzes und Rechtsgeschäfts obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen sie zu betreuen hatten, Nachteil zugefügt zu haben, wobei sie einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführten, [...]“

Dirk Jens Nonnenmacher und Joachim Friedrich wird zudem Bilanzfälschung nach § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG angelastet:

„gemeinschaftlich als Mitglieder des Vorstandes die Verhältnisse der Gesellschaft einschließlich ihrer Beziehungen zu verbundenen Unternehmen in Darstellungen oder Übersichten über den Vermögensstand unrichtig wiedergegeben zu haben.“

11:15 Uhr

Richter Tully erklärt, dass die Beklagten zunächst keine Angaben zur Sache machen wollen. Es meldet sich der Anwalt von Peter Rieck, Norbert Gatzweiler, und propagiert eine Stunde lang eine Besetzungsrüge. Er findet, die 8. Große Strafkammer des Landgerichtes sei nicht zuständig für dieses Verfahren. Wegen des Rotationsprinzips hätte eine andere Kammer das Verfahren übernehmen müssen. Alle anderen Verteidiger schließen sich der Rüge an. Der Saal überhitzt immer mehr. Wir Zuschauer stöhnen.

12:32 Uhr

Der Vorsitzende Richter bleibt ruhig, trotz gefühlter 40 Grad im Saal. Besetzungsrügen gehören zu solchen Verfahren wie Pöbeleien zu Bundestagsdebatten. Keck fragt Tully zurück, ob Verteidiger Gatzweiler „herausbekommen hat, welche Kammer zuständig ist“, wenn nicht die Achte, also seine? Gatzweiler antwortet irritiert: „Nein“. Der Saal quittiert das mit Lachen.

Mittagspause. Richter Tully hat Hunger.

13:35 Uhr

Tully setzt den Prozess fort. Die Besetzungsrüge soll unter den Kollegen beraten und dann das Ergebnis allen bekanntgegeben werden. Die meisten Journalisten sind tatsächlich geblieben. Ich sauge alles auf.

13:50 Uhr

Strafverteidiger Gatzweiler möchte jetzt, dass ihm die Laienrichter, also die Schöffen, 14 Fragen beantworten. Er will damit testen, ob sie für diesen Prozess unbefangen sind. Gatzweiler will zum Beispiel wissen, ob die Schöffen für die HSH gearbeitet haben, ob sie dort Konten hatten oder sie schon spekulative Geldgeschäfte getätigt und dadurch Geld verloren haben. Richter Tully nimmt die Fragen auf und sagt, die Schöffen werden die beantworten, die sie beantworten müssen. Das werde nachgereicht.

14:00 Uhr

Richter Tully macht jetzt grundsätzliche Anmerkungen zum Fall, zu seiner Rechtsauffassung und wie es im Prozess weitergeht. Tully stellt unumwunden klar, was er von der Welt der Banker mit ihren Milliardentransaktionen und schnellen Entscheidungen hält. Der Prozess werde sich im „Ameisentempo fortbewegen“, sagt er. „Daran werden Sie sich gewöhnen müssen. Im Eiltempo geht hier nichts.“ Ironie wird diesen Prozess also begleiten. Das hat er nötig. Und weiter: Dass der Straftatbestand der Untreue nicht eigennütziger Natur sein muss, sondern auch bei uneigennützig getroffenen Entscheidungen greife, und dass er finde, dass bei komplexen Finanzgeschäften die Risiken umfänglich geprüft werden müssten auf Grundlage von Tatsachen und Informationen. Fahrlässigkeit könne hier schon Untreue bedeuten.

Der Vorsitzende Richter erklärt den Angeklagten auch, dass für den Vorwurf der Untreue der Zeitpunkt der Entscheidungsverfügung durch die Vorstände entscheidend sei und nicht der Zeitpunkt, an dem der Bank ein Vermögensschaden entstanden sei. Er gibt zudem zwei Dinge bei diesem Verfahren zu bedenken: Dass es erstens bisher keine gesicherte gerichtliche Rechtsprechung zu einem solchen Fall gebe, zur Kredituntreue bei Finanzgeschäften. Er betrete hier mit seiner Kammer „juristisches Neuland“. Und zweitens, dass in einer sozialen Marktwirtschaft auch unternehmerische Risiken eingegangen werden müssten; das dürfe nicht kriminalisiert werden.

14:45 Uhr

Der beherrscht auftretende Richter möchte jetzt die Angeklagten näher kennen lernen, genauer ihren beruflichen Werdegang, um sie besser einschätzen zu können. Privates interessiere ihn dabei nur am Rande, sagt Tully lächelnd, wie Verdienst und Freizeitinteressen. Und wenn er das wisse, wolle er als nächstes das Finanzgeschäft Omega55 von „hinten her“ aufarbeiten, auf Grundlage der schriftlichen Vorlage, die die Vorstände unterschrieben haben.

gg. 15:30 Uhr

Der Vorsitzende Richter beendet den ersten, schweißtreibenden Prozesstag. Die Journalisten strömen in ihre Redaktionen und ich eile zum Ü-Wagen des NDR und zu meinen beiden Kollegen, um den nächsten Radio-Bericht über die Eindrücke vom - wie wir ihn ab jetzt nennen werden - HSH Prozess zu texten, aufzunehmen und an die Rundfunkanstalten zu schicken.

Mammut-Prozess

Für die Suche nach der Wahrheit hat die 8. Große Strafkammer des Landgerichts Hamburg erst einmal 40 Verhandlungstage angesetzt, bis Ende des Jahres. Die Zeit wird nicht reichen. In ihrer Anklageschrift schlug die Staatsanwaltschaft allein 46 einfache Zeugen vor, dazu 6 sachverständige Zeugen. An Beweismitteln waren Verträge, Protokolle, Geschäftsberichte, Dokumente der Bankenaufsicht und vieles mehr zu sichten - wie auch mehr als eintausend eMails.

DR. NO und die Unschuldigen

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