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Tag 08: Das Kreuz mit den Fragen
ОглавлениеMittwoch, 21. August 2013
Schon die Fragen des zweiten Richters Bruns an den ersten Zeugen im HSH Prozess führten bei den Verteidigern manches Mal zu Groll, auch zu großem. Der Vorsitzende Richter Tully fühlte sich deshalb am 7. Verhandlungstag dazu genötigt, sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft aufzufordern, stringentere Fragen zu stellen. Tully sagte außerdem gleich zur Tageseinstimmung: Er werde bei den Fragen an den Zeugen Marc S. weiterhin großzügig verfahren, großzügig in dem Sinne, dass er auch manipulative Fragen zulasse, ungeschickt gestellte Fragen, Mutmaßungen und Fragen, die möglicherweise unzulässig wären. Denn, so Tully, der Zeuge lasse sich nach seiner Wahrnehmung nicht davon beeinflussen oder verwirren.
Alle reden durcheinander
Diese richterliche Großzügigkeit war auch an diesem 8. Prozesstag nötig und gipfelte darin, dass Tully einmal ausrief: „Bitte nicht alle durcheinander reden!“ Auslöser des Ordnungsausrufes war Staatsanwalt Wegerich, der dem Zeugen Fragen stellen durfte. Und Karsten Wegerich wählte in den Augen der Verteidiger häufig nicht den richtigen Zungenschlag. Sie beanstandeten seine Fragetechnik. Sie sei bewertend und stelle Meinungen als Tatsachen hin. Trotz dieser Zänkerei konnte der Staatsanwalt die Umstände weiter konkretisieren, unter denen Omega55 abgeschlossen wurde.
Mangelnde Gesprächskultur in der HSH?
So erzählte Zeuge Marc S., dass sein Vorgesetzter in London, Luis Marti Sanchez, ihm nicht erzählt hätte, warum die Investmentbank Lehman Brothers die monatelang vorbereitete Entlastungstransaktion „Ruby“ plötzlich im November 2007 fallen ließ. Wegerich zitierte daraufhin aus der staatsanwaltschaftlichen Vernehmung von Marti Sanchez, in der er sinngemäß erklärt haben soll, dass „Ruby“ von Lehman Brothers abgelehnt worden sei, weil es Bedenken zum regulatorischen Teil gegeben habe. Daran könne er sich nicht erinnern, antwortete Zeuge S. Er hat wohl auch nicht nachgefragt, denn S. erinnerte sich auch an kein Gespräch mit Sanchez über die Absage von „Ruby“.
(Ist das glaubhaft? Da arbeiten viele Mitarbeiter an einem Milliardengeschäft, und derjenige, der es koordiniert, fragt nicht nach den Gründen, warum das Geschäft plötzlich nicht zustande kommt - obwohl sein Chef nur geschätzte fünf Meter von seinem Schreibtisch entfernt sitzt? Gab es in der Bank keine Nachbesprechungen auch im Sinne des Qualitätsmanagements und keine offenen Worte? Drückten die Hierarchien so stark auf die Gesprächskultur? Verstand sich die Abteilung nicht als Team?
Festhalten lässt sich jedenfalls: Marc S. arbeitete in London seine Aufgaben ab, die anderen Kollegen in London, Kiel und Hamburg offenbar ihre, ohne regelmäßig alle wesentlichen Details und Unstimmigkeiten zu klären, sich abzustimmen. So stellt es sich jedenfalls dar.)
BNP Paribas diktierte Konditionen - oder doch nicht?
Staatsanwalt Wegerich beließ es dabei und interessierte sich für die Kosten und Erträge, die für die HSH Nordbank mit dem Abschluss von Omega55 verbunden waren. Selbst habe er Daten dazu nicht in die Vorstandsvorlage eingetragen, erklärte der Zeuge. Vielmehr habe einer seiner Kollegen die Zahlen nachgeliefert. Deshalb stand in der Vorstandsvorlage für Omega55 auch nichts Konkretes dazu, wie viel die Transaktion letztlich kosten würde. Für Teil-A war lediglich zu lesen, die Kosten für die CDS-Absicherung des 2 Milliarden Kreditpools würde die Margen aus diesen Krediten übersteigen. Und bei Teil-B hieß es vage: Es sei damit zu rechnen, dass die HSH einen zusätzlichen Ertrag von 3 Millionen Euro pro Jahr erzielen werde.[19] Als es in der Befragung um diesen Aspekt ging, merkte Staatsanwalt Wegerich an: „In der Tat ist in der Vorstandsvorlage selten von Kosten und Erträgen die Rede.“
Dass die BNP Paribas der HSH die Vertragskonditionen diktieren konnte, so, wie es der Niederlassungsleiter London Marti Sanchez gegenüber der Staatsanwaltschaft ausgesagt haben soll, bestätigte der Zeuge dem Staatsanwalt aber nicht. Er habe eine andere Wahrnehmung gehabt, die aus Gesprächen mit der Controlling-Abteilung resultierten, erklärte er.
(Hätte sich der Zeuge aber nicht selbst bei anderen Banken informieren müssen um abzuschätzen, ob eine Bank Konditionen diktiert, sie also zu hohe Preise verlangt? Wuchs den Londoner Mitarbeitern die Arbeit über den Kopf?
Marc S. damaliger Vorgesetzter, der schon mehrfach erwähnte Luis Marti Sanchez, zweifelte jedenfalls vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur HSH Nordbank in Kiel das Fachwissen der HSH-Mitarbeiter an:
„Vielleicht das Wichtigste für mich war damals 2006, dass man schon bemerkt hat, man hat Deals gemacht, die einfach nicht verstanden wurden.“
(Abschlussbericht Schleswig-Holsteinischer Landtag, DS 17/1675, S. 317)
Ein gewichtiger Vorwurf des früheren Niederlassungsleiters. Ungeachtet dessen aber hat ausgerechnet Marti Sanchez von London aus komplizierteste Geschäfte für die HSH eingefädelt, darunter Omega55, „Ruby“ und „St. Pancras“. Und er hat die Geschäftspolitik der Bank mitgetragen, die er im Kieler Untersuchungsausschuss dann anprangerte.)
Ein verärgerter Zeuge
Nach eineinhalb Stunden Befragung durch die Staatsanwaltschaft wirkte der bis dahin geduldig antwortende Zeuge Marc S. angeschlagen und müde. Er rieb sich mit geschlossenen Augen die Stirn, schüttelte manchmal ungläubig den Kopf. „Ich musste viel Kritik aushalten, glauben Sie mir“, sagt er Richtung Staatsanwaltschaft, als die ihm vorhielt, ob es nicht wünschenswert gewesen wäre, in die Vorstandsvorlage mit aufzunehmen, wie viel „ökonomisches Eigenkapital“ für Omega55 zur Verfügung gestellt werden musste, und ob interne Grenzen dafür einzuhalten waren.
(Das ökonomische Eigenkapital kann als Verlustpuffer für ein Geschäft verstanden werden, das die Bank intern aus Umsichtigkeit und Risikobewusstsein für das jeweilige Geschäft „reserviert“.)
S. konnte die Fragen dazu nicht beantworten. Er kenne keine „einzuhaltenden Grenzen“. Die Befragung durch Staatsanwalt Wegerich nagte so sehr am Zeugen, dass er Wegerich mit deutlich verärgerter Stimme unterbrach, als dieser hartnäckig nachbohrte, wer denn entschieden habe, wie Omega55 zu bilanzieren sei, die Rechts- oder Kreditabteilung oder NPNM? Eine Antwort gab der Zeuge nicht wirklich, S. wiederholte, dass die Rechtsabteilung sich dazu geäußert habe er aber nicht mehr wisse, wie es zur Bilanzierung gekommen sei.
Staatsanwalt Wegerich machte unbeirrt weiter, las dem Zeugen eMails vor, um S. Aussage gegenüber dem Gericht vor fünf Tagen zu präzisieren, warum es für die Liquiditätsfazilität in Teil-B keinen eigenen NPNM-Prozess gegeben habe. NPNM habe entschieden, sich auf Teil-A zu konzentrieren, erklärte dazu der Zeuge. Denn für Teil-B sei kein NPNM-Prüfprozess erforderlich gewesen, weil eine Liquiditätsfazilität kein neues Produkt für die HSH war.
So ähnlich hatte sich S. am 3. Verhandlungstag auch geäußert.
Ex-Niederlassungsleiter London entzieht sich Zeugenaussage
Der damalige Vorgesetzte des Zeugen, der Spanier Luis Marti Sanchez, gehörte im Grunde zu den Kronzeugen der Staatsanwaltschaft. Sein Name wird in diesem Untreue-Verfahren noch öfter fallen. Selbst aussagen vor Gericht wollte er nicht. Er lebt im Ausland und hat über seine Anwältin erklären lassen, dass er nicht zur Befragung „kommen brauche“, so formulierte es Richter Tully gleich am 3. Prozesstag vorsichtig.
Vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des Kieler Landtags zur Aufklärung der HSH-Beinahpleite hatte Marti Sanchez allerdings einmal persönlich Stellung genommen - nach mehrfacher Terminverschiebung. Vor dem Untersuchungsausschuss in Hamburg erschien er nicht. Im Abschlussbericht des Kieler Untersuchungsausschusses[20] heißt es auf S. 251:
„Angesichts des milliardenschweren Volumens der Omega-Transaktion dürfte allein der verantwortliche Niederlassungsleiter, Luis Marti Sanchez, mit einem sechsstelligen Erfolgsbonus von der Durchführung des Omega 55 Geschäfts persönlich profitiert haben. Einer direkten Befragung zu den Omega-Geschäften und seiner diesbezüglichen Rolle hat sich Luis Marti Sanchez durch zahlreiche Terminabsagen und Krankmeldungen geschickt entzogen. Seinen einzigen Auftritt vor dem HSH Untersuchungsausschuss nutzte er zudem dafür, um der Bank sogenannte „Steuerdeals“ vorzuwerfen, ohne hierfür jedoch nähere Einzelheiten oder stichhaltige Beweise liefern zu können. Insgesamt sind wir deshalb zu der Einschätzung gelangt, dass die Aussagen von Luis Marti Sanchez in sich zweifelhaft waren und ihnen somit keine weitere Bedeutung beizumessen ist.“
Berichterstattung raus aus Google
Ende August 2014 erhielt ich eine Anfrage des Assistenten von Luis Marti Sanchez. Er schrieb mich höflich per eMail an, ob ich den Blogeintrag „Das Kreuz mit den Fragen“ aus der Indexierung durch Google herausnehmen könne. Der Bericht würde die Geschäfte der Firma in Hamburg, für die Sanchez neuerdings arbeitet, erheblich erschweren. Ich habe dieses Ansinnen abgelehnt aber angeboten, eine Gegendarstellung zu veröffentlichen. Diese steht auf der Website zum Buch: http://drnounddieunschuldigen.de
Blog-Kommentare
21. August 2013 @ 19:57 von: bescheidwisser
Sehr interessant ! Danke für das Update.
Die Staatsanwaltschaft scheint tiefer nachbohren zu wollen - zu den genannten Punkten werden die übrigen Zeugen sicher noch etwas sagen können. Nach dem Geschäftsbericht 2007 erhielt die HSH Nordbank im November 2007 von der BaFin die Zulassung für den IRB Advanced Approach zur Ermittlung der Eigenkapitalunterlegung von Ausfallrisiken ab dem 01. Januar 2008 - und hätte damit mit der Steuerungsgröße „ökonomisches Eigenkapital“ auch in Bezug auf Omega 55 arbeiten müssen.
Zum ökonomischen und regulatorischen Eigenkapital der HSH im Vgl. zu anderen deutschen Instituten finden sich Angaben auf S.9 dieser Studie der Universität Augsburg: http://www.fim-rc.de/Paperbibliothek/Veroeffentlicht/228/wi-228.pdf
22. August 2013 @ 7:40 von: Dani
Davon hat der Zeuge nichts erzählt. Die Staatsanwaltschaft „belehrte“ ihn aber, dass es sehr wohl Grenzen in der Bank gegeben habe hinsichtlich des ökonomischen Eigenkapitals, die wohl andere Entscheidungswege verlangt hätten als im Eilbeschluss ein 2,4 Milliarden Euro Geschäft in Kraft zu setzen.
Anmerkungen:
[19] siehe Urteil LG Hamburg, vom 9.7.2014, S. 202ff
[20] Schleswig-Holsteinischer Landtag, Drucksache 17/1675 vom 15.8.2011