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Tag 11: „Omega55 war intellektuell interessant.“
ОглавлениеFreitag, 30. September
Endlich der zweite Zeuge. Es geht voran beim Sammeln der Puzzleteile.
Geladen war Dr. Michael S., ein ehemaliger Jurist der HSH. 2007 arbeitete Dr. S. als Gruppenleiter in der Immobiliensparte in Hamburg und war damit dem Angeklagten Rieck unterstellt. Michael S., um die 40, sah jungenhaft aus, lächelte oft leicht unsicher und stockte bei manchen Fragen. Im Schlepptau hatte auch dieser Zeuge einen Anwalt, einen so genannten Zeugenbeistand.
Die Immobiliensparte hatte 2007 enorm viele Kredite neu vergeben. Damit beanspruchte die Sparte einen großen Teil des Eigenkapitals der HSH für sich, einen zu großen Teil mit Blick auf den Börsengang. Denn das hieß auch: Die Sparte hatte zuviel Risiko in die Bücher gepackt. Also erhielt Michael S. den Auftrag, „London“ anzusprechen, wie man die Kredite und die damit verbundenen Verlustrisiken zum Jahreswechsel 2008 loswerden könnte.
London mit Kontakten in die Zockerbanken
Am 10. und 11. Prozesstag wollten die Richter von Dr. S. unter anderem wissen, wer ihm in der Bank gesagt habe, dass er sich an die Londoner Niederlassung wenden solle? Für Kapitalmarktgeschäfte a la Omega55 seien doch die Mitarbeiter in Kiel zuständig gewesen? Wer ihm das gesagt habe, daran erinnerte sich der Zeuge nicht mehr; er meinte aber, es wäre sein unmittelbarer Vorgesetzter gewesen, sowie Spartenvorstand Peter Rieck. Zu Rieck hatte der Zeuge wohl einen kurzen Draht, weil sie an anderer Stelle in der HSH schon zusammengearbeitet hatten. Ohne die Auslagerung von Verlustrisiken zum Beispiel aus der Immobiliensparte wäre die HSH in eine problematische Situation gekommen, meinte der Zeuge, weil das auf das Rating der Bank gedrückt hätte. Und ein niedrigeres Rating wäre für die HSH ein teureres Problem gewesen als eine Transaktion wie Omega55.
Was die Londoner denn besser konnten als Michael S., fragte Richter Tully. Er habe Erfahrung mit Syndizieren von Krediten, auch habe er schon mal eine einfache Verbriefung strukturiert, berichtete der Zeuge, damit aber seien seine „persönlichen Erfahrungen zu Ende“. Für ihn saß mit Niederlassungsleiter Luis Marti Sanchez ein Mann in London, der sich auskannte, ein kreatives Team und entsprechende Kontakte zu Investmentbanken hatte, was damals keine einfache Sache war, so der Zeuge.
Weil Verbriefungen wegen der platzenden Immobilienblase in den USA Ende 2007 nicht mehr liefen, musste man über anderes nachdenken, zum Beispiel über Kreditausfallversicherungen wie in Teil-A von Omega55.
Das interessante Omega
Der Zeuge war jedenfalls darüber informiert, dass Omega55 aus zwei Teilen bestehe. Mit Teil-A sollten die Verlustrisiken in der HSH-Immobiliensparte sinken, weil die BNP Paribas einen Teil davon absicherte. Für diesen Teil-A stellte Michael S. mit seinem Team passende Immobilienkredite im Volumen von rund 2 Milliarden Euro zusammen. Der Zeuge erklärte ehrlicherweise, dass er zuvor keine Ahnung von solchen Finanzgeschäften hatte, als er die Vorstandsvorlage zu Omega55 las. Es sei für ihn „intellektuell interessant“ gewesen zu sehen, wie so etwas funktionierte.
Für ihn stellte sich auch nicht die Frage, ob Omega55 tatsächlich wirksam sei. So viele Fachleute hätten daran gearbeitet, Kapitalmarktleute, Juristen, Wirtschaftsprüfer etc. Auf Nachfrage von Richter Tully, was an Omega55 „intellektuell interessant“ gewesen sei, wich der Zeuge leicht fahrig aus.
Komplex gleich effizient. Oder doch nicht?
Für ihn war auch nicht die Frage, warum es einen zweiten Teil gebe, basierend auf einer verschachtelten Zweckgesellschafterstruktur, erklärte Michael S. Daraufhin warf Richter Tully ein, dass bei der Durchsicht der Unterlagen die erste Frage gewesen sei, die er sich gestellt habe, warum die HSH auf so eine komplizierte Struktur für Teil-B setzte, wenn es auch einfacher ginge? Ich dachte, es gehe um Effizienz, antwortete der Zeuge, dass Teil-B die Effizienz des Geschäfts für die HSH erhöhe. Viele Gedanken habe er sich darüber aber nicht gemacht, so der Zeuge. Und: Dass er nicht sagen könne, warum London den Teil-B „effizient“ fand.
Den anderen vertraut
Er habe jedenfalls wahrgenommen, dass Omega55 letztlich ein ganz anderes „Produkt“ gewesen sei als die ursprünglich angestrebte Entlastung des Eigenkapitals durch Teil-A. Ob ihn interessiert habe, wo die Risiken geblieben seien, fühlte Richter Tully dem Zeugen auf den Zahn. Er habe sich unter anderem auf die Meinung der HSH-Rechtsabteilung verlassen, sagte S., und auf die Arbeit externer Anwälte, die die Verträge geprüft haben.
eMails um Mitternacht
Der Jurist schilderte ebenfalls wie der erste Zeuge Marc S. den großen Druck, der auf den Mitarbeitern und ihm um die Jahreswende 2007 lastete. Alle hätten extrem hart gearbeitet. Es habe ein „Übergewicht an Arbeit“ gegeben, weil es bei solchen Deals ja vor allem Rechtsfragen seien, die geklärt werden müssten. Die für Omega55 zuständigen Juristen Vera S. und Sascha E. wirkten auf den Zeugen in dieser Zeit „sehr gestresst“. Trotz der Zeitenge sei erwartet worden, dass eine Lösung her müsse, man seine Sachen abarbeitete; ob um jeden Preis, wisse er aber nicht, so der Zeuge.
Am Donnerstag, den 20. Dezember 2007, um Mitternacht, schrieb Zeuge Michael S. selbst noch eMails und fragte nach, ob die Vorstände Omega55 unterschrieben haben, er wolle loslegen … Von seinem unmittelbaren Vorgesetzten habe er sich zu dieser Zeit eine stärkere Führung und mehr Präsenz erwartet, räumte S. auf eine Frage von Richter Bruns ein. Er sei unzufrieden gewesen, die Situation war anspruchsvoll, auch in organisatorischer Hinsicht.
Emotionale Ausbrüche und fehlende Führung
Richter Bruns griff an dieser Stelle ein und deutete einen Konflikt zwischen dem Zeugen und Kapitalmarktvorstand Friedrich an, die der Zeuge bei seiner staatsanwaltschaftlichen Vernehmung zu Protokoll gegeben hatte. Welcher Konflikt das gewesen sei? Er habe 2009 die Bank per Aufhebungsvertrag verlassen, erzählte Zeuge Michael S., weil er den Eindruck hatte, dass er mit seiner Karriere nicht vorankam. S. war 2008 von der Immobiliensparte in die Kapitalmarktabteilung gewechselt und unterstand damit Friedrich als neuen Vorgesetzten. Er habe auch mit Menschen, die sehr emotional seien, Schwierigkeiten zusammenzuarbeiten, erklärte Michael S. weiter. (Ihm war dabei ein gewisses Unbehagen anzumerken.) Und solche Situationen habe es gegeben. Friedrich sei zudem von außen gekommen und hatte keine starke ressortübergreifende Erfahrung, was aber notwendig gewesen wäre, so der Zeuge.
Selbst sei er aber auch einmal emotional geworden gegenüber der bei Omega55 zuständigen Kollegin der Rechtsabteilung; er habe sich im Ton vergriffen, weil seiner Meinung nach einmal so und dann wieder gegenteilig entschieden wurde, wodurch sein Team viel Zeit verlor. Das habe ihn aufgeregt, wofür er sich später zwar telefonisch entschuldigte, er sich dafür aber noch heute zu schämen schien, weil, wie gesagt, er emotionale Ausbrüche im professionellen Umgang nicht mag. Es ging bei diesem Hin und Her um die Frage, wie der Finanzdeal zu strukturieren sei, damit die regulatorische Wirkung entsteht.
US-Subprime-Krise als Zyklus
Richter Bruns wollte von Michael S. noch wissen, wie in der HSH auf die Subprime-Krise in den USA reagiert wurde. An bestimmte Beschlüsse dazu erinnerte sich der Zeuge aber nicht. Wohl habe es Gespräche mit Vorständen gegeben zum Beispiel mit Spartenvorstand Rieck. Es habe aber die Stimmung vorgeherrscht, es sei ein vorübergehendes Phänomen. Dass ein fundamentaler Schock komme, darüber habe man in der Bank nicht gesprochen.
10 Millionen Euro Prämie für BNPP?
Überraschenderweise formulierte der Zeuge später auf den Punkt, was ein Geschäft wie Omega55 kosten dürfe, wie die Prämie für Teil-A, die die HSH an die BNPP zu zahlen hatte für ihre geleistete Absicherung. Und wie sich so etwas berechnen lasse.
Wenn ein Kredit 120 Basispunkte Zins im Jahr einbringe (100 Basispunkte entsprechen einem Prozent) dann sollte eine Absicherung unter diesen 120 Punkten liegen, so der Jurist. Dann bliebe für die Bank noch etwas übrig. Das sei aus seiner persönlichen Sicht die Daumenregel: Die Zinsen eines Kredits müssten die Kosten einer möglichen Versicherung tragen. Für Teil-A von Omega55 sollte die HSH zehn Millionen Euro an die BNP Paribas überweisen, damit diese das 2 Milliarden Euro Immobilienportfolio versichert. Stichwort: Kreditausfallversicherung.
Was für ein Preis! Zehn Millionen Euro als Verlustabsicherungs-Prämie wären unglaublich teuer gewesen wegen der kurzen Laufzeit von Teil-A von Omega55. In der Vorstandsvorlage stand im Votum der NPNM-Abteilung, dass Teil-A wohl Mitte April 2008 gekündigt werden sollte - das wäre drei Monate nach der Genehmigung gewesen. Bei der Kostenkalkulation für Omega55 hatte der Hauptzeuge im Prozess, Marc S., immer herumgeeiert. Nicht so dieser Zeuge.
Und er sagte auch klipp und klar, sie hätten dann darauf gedrängt, dass diese Prämie an die BNP Paribas neu verhandelt werde und geringer ausfalle. Selbst war er an den Preisverhandlungen aber nicht beteiligt.
Von der Schwierigkeit, Zeuge zu sein
Michael S. wirkte im Zeugenstand weniger souverän als zuvor der Londoner HSH-Analyst Marc S. Er verwies immer wieder darauf, was er jetzt darüber denke, und was er in der Presse gelesen habe. Auf manche Fragen antwortete er nicht, obwohl er etwas sagte. Auch schien er sich von den Rangeleien der Verteidigung mit den Staatsanwälten beeinflussen zu lassen, die wie an den Tagen zuvor immer wieder aufbrachen.
Sie haben sich bemüht
Gegen Ende des 11. Verhandlungstages bat Richter Bruns den Zeugen überraschend um eine persönliche Erkenntnis. Ob ihn etwas bewege? Das sei eine schwierige Frage, versuchte der Zeuge Zeit zu gewinnen. Sagte aber dann: Wir haben uns bemüht, die Bank zu stabilisieren.