Читать книгу Der ultimative Schlankheitscode - Dr. med. Matthias Riedl - Страница 29
ОглавлениеMEINE KNIFFLIGSTEN FÄLLE – TEIL 1: DICK VOR SORGE
Lange verliert Michael S. erfolgreich Gewicht, doch irgendwann bewegt sich der Zeiger auf der Waage kaum noch. Was dahintersteckt, ist zunächst schwer zu erkennen – denn am Essen liegt es nicht.
Mein Patient Michael war einer dieser Menschen, die man auf Anhieb mag: Typ Teddybär, 45 Jahre alt, 1,90 Meter groß, Autobahnpolizist, dazu verheiratet, dreifacher Vater, das neu gebaute Haus vor wenigen Wochen bezogen. Liebstes Hobby? Sein Ehrenamt als Vorleser in einer Kita. Beim Erstgespräch schlug er mir direkt einen Deal vor: »Herr Riedl, wenn Sie mir helfen, jetzt wirklich richtig abzunehmen, lade ich Sie danach auf einen Linsenburger ein.« Haha, alles klar!
Wegen erhöhter Blutdruckwerte hatte Michaels Hausarzt ihm schon öfter geraten abzunehmen. Doch ernsthaft motivieren konnte ihn erst sein fünfjähriger Sohn. »Der hat mich neulich gefragt, warum ich immer so schnaufe, wenn wir toben«, erklärte Michael. »Das muss sich ändern – ich will ein fitter Vater sein!«
Ein Dreivierteljahr danach saß Michael erneut vor mir. Wie ein Häufchen Elend diesmal – und das, obwohl er 21 Kilo leichter war als bei unserem ersten Treffen, also »nur« noch 119 auf die Waage brachte. »Ich nehme seit drei Monaten einfach nicht weiter ab«, sagte er. »Ich halte mich an fast alle Vorgaben, aber das Einzige, was sinkt, ist meine Laune!«
Ich stutzte. Den sogenannten Kurvenknick (siehe >) hatte Michael längst hinter sich – diese typische kurze Gewichtsstagnation, die etwa zwei bis drei Monate nach Beginn einer Abnahme einsetzt und jedem Abnehmwilligen gehörig Rätsel aufgibt.
Wir nahmen seinen Alltag unter die Lupe. Doch abgesehen davon, dass Michael ab und an zur Schokolade griff, fand sich nichts Auffälliges.
Hmh … wie bei allen rätselhaften Fällen untersuchte ich meinen Patienten anschließend noch einmal sehr gründlich. Ergebnis: beschleunigter Puls und ein weiterhin stark erhöhter Blutdruck. Letzteres war seltsam – aufgrund des Gewichtsverlustes hätte dieser Wert eigentlich gesunken sein müssen. Ein umfangreiches Blutbild brachte den am Ende entscheidenden Hinweis: Michaels Cortisolwert war extrem erhöht!
Zu viel Cortisol macht dick
Cortisol ist ein Hormon, das unser Körper in großer Menge bei außergewöhnlichen Belastungen produziert. Es sorgt für eine schnellere Herzfrequenz, erhöht den Blutdruck und bremst die Insulinwirkung. Zugleich regelt es andere, kurzfristig nicht lebenswichtige Prozesse herunter, etwa die Verdauung und das Immunsystem. All das macht uns reaktionsschneller und leistungsfähiger – so konnten unsere Ahnen dem berühmten Säbelzahntiger entfliehen.
Werden die Stressreaktionen jedoch chronisch, nimmt der Körper Schaden. Beispielsweise haben wir durch die abgeschwächte Wirkung des Insulins permanent zu viel davon im Blut: Dies verursacht Heißhunger auf Hochkalorisches, außerdem lagern wir Fett leichter ein. Der Cortisolüberschuss erklärte also Michaels Gewichtsstagnation nur zu gut!
Doch woher kam der Stress? Als wir sein Blutbild besprachen, fragte ich meinen Patienten noch einmal nach außergewöhnlichen Ereignissen. Ein paar Minuten Schweigen – dann brach es aus Michael heraus: »Vor etwa drei Monaten hat man bei uns eingebrochen. Nachts.« Er sei mit einer Waffe bedroht und gefesselt worden. Zum Glück sei niemandem etwas passiert, aber seither hätte er dauernd Angst um seine Frau, die Kinder und sich selbst.
Er würde leicht ausflippen und könnte nicht mehr schlafen. Zugleich flackerten unschöne Bilder aus seiner Kindheit auf – wie früher schon öfter mal. Genauer sprechen wollte er über diese Bilder nicht. Die Tränen, die ihm angesichts seiner Erinnerungen kamen, sagten aber bereits genug!
Jetzt lag der Fall offen vor mir: Michael litt an einer »Posttraumatischen Belastungsstörung« (PTBS) infolge des Einbruchs – und war möglicherweise durch ein älteres, noch schlimmeres Trauma zusätzlich belastet, das er bislang nicht verarbeitet hatte.
Erhöhte Cortisolspiegel sind bei PTBS-Patienten nichts Ungewöhnliches – ebenso wenig wie Heißhungerattacken, insbesondere auf Süßes: Diese beruhen dann neben dem erhöhten Insulinspiegel auf der Tatsache, dass Hochkalorisches durch den hohen Dopamin-Ausstoß die Stimmung kurzzeitig hebt.
All das erklärte ich Michael. Doch von einer PTBS wollte er nichts hören. »So ein Quatsch, bei mir ist alles in Ordnung.« Ich bat ihn, sich die nächsten zwei Wochen möglichst konsequent an den Ernährungsplan zu halten – und dann wiederzukommen. Als er erneut vor mir saß, hatte er zwei Kilo zu- statt abgenommen. »Ich brauche die Schokolade grad irgendwie, es ist seltsam.« Ich fragte, ob er sich vorstellen könnte, zumindest fünf Minuten mit einem unserer Psychologen zu sprechen, die bei mir im medicum Hamburg arbeiten. Michael nickte.
Eineinhalb Jahre und eine ebenso lange Psychotherapie später wog Michael nur noch 101 Kilo, hatte also einen beinahe gesunden BMI. Außerdem war sein Blutdruck auf Normalwert gesunken, der Cortisolspiegel ebenso. Das Wichtigste aber, so sagte er es mir im Abschlussgespräch: »Ich bin jetzt nicht nur ein richtig fitter Papa. Sondern ein glücklicher dazu!«
PSYCHISCHE KRANKHEITEN
Menschen mit dauerhaften psychischen Belastungen haben ein deutlich erhöhtes Risiko für krankhaftes Übergewicht. Besonders gefährdet sind PTBS-Patienten, wie Studien zeigen: Von den Frauen, die eine starke PTBS-Symptomatik zeigten, etwa infolge von Missbrauch, war knapp jede Fünfte esssüchtig. Besonders hoch war das Risiko, wenn die Symptome eine Reaktion auf körperliche Misshandlungen in der Kindheit darstellten. Auch Depressionen fördern Übergewicht. Patienten mit solchen – meist gut behandelbaren – Krankheiten sollten diese vor einer Ernährungsumstellung therapieren lassen.