Читать книгу Ausstieg / Glücksspieler / Gefährliche Erben - Drei Romane in einem Band - Elfi Hartenstein - Страница 24

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Vorschriftsmäßig gab Lou Feldmann an der Pforte der Moabiter Haftanstalt seine Pistole ab, bevor er sich von einer Vollzugsbeamtin durch die Gänge führen ließ.

Remy Straub saß, mit dem Rücken zur Wand, in der Vernehmungszelle auf dem Boden, den Blick auf die Tür gerichtet, als Feldmann hereinkam. Er musterte sie prüfend, nahm sich einen Stuhl, stellte ihn vor sie hin, setzte sich aber noch nicht. „Warum?“, fragte er.

Remy Straub schaute ihn verständnislos an. „Warum was?“

Feldmann blickte auf ihren Hals, der Abschürfungen und Druckstellen über dem Rand ihres T-Shirts zeigte. „Lassen Sie mich das ansehen?“ Remy blieb hocken. Feldmann beugte sich zu ihr, betrachtete ihre Halspartie genau, richtete sich wieder auf. „Das war aber kein zusammengerolltes Bettlaken. Das war ein Seil. Wo hatten Sie das denn her?“

Remy Straub lachte trocken auf. „Das müssen Sie die Schließerin fragen. Die hat es mitgebracht. Sie war es, die mich aufhängen wollte, nicht ich.“

Feldmann musterte sie eine Weile schweigend.

Offenbar spürte Remy Straub seine Zweifel. „Wie heißt die offizielle Version?“, fragte sie. „Etwa: Sie wollte mich abschneiden und dabei habe ich ihr die Nase gebrochen?“

„Dass Sie in so kurzer Zeit eine Schließerin so auf die Palme gebracht haben, dass die Sie aufhängen will, kann ich mir irgendwie nicht vorstellen.“

Remy schwieg.

Feldmann ließ sie nicht aus den Augen. Er fragte sich, was sie für Gründe haben konnte, ihn anzulügen.

„Sie glauben mir nicht“, stellte Remy trocken fest. „Aber ich sage Ihnen, wenn Sie jetzt gehen, lebe ich nicht mehr lange. Dabei hätte ich den Zeitpunkt meines Abgangs gerne selbst bestimmt.“

„Was ich glaube oder nicht, ist unwesentlich“, sagte Feldmann, „aber meine Warnlampen sind an. Ich frage mich nur, warum jemand Sie dazu bringen will, den Mund zu halten?“

„Das war keine Drohung. Das war ein Mordversuch.“

„Vielleicht wissen Sie etwas, was Sie lieber nicht ausplaudern sollen?“

„Bringen Sie mich hier raus. Dann sage ich es Ihnen.

Lou Feldmann sah sie an, wie sie da hockte, die Arme um ihre Knie geschlungen und stur vor sich hin starrte. Er sah die Spuren auf ihrem Hals, er sah, dass sie Angst hatte. Und er wusste, dass sie trotzdem nichts sagen würde. Er stand auf und ging zur Tür. „Wenn Sie mir nichts erzählen wollen, dann müssen Sie wohl oder übel erst mal allein weiter mit Ihrer Angst überleben.“

Remy Straub blieb scheinbar ungerührt sitzen, den Blick weiterhin stur geradeaus gerichtet.

Feldmann schlug gegen die Tür. Eine Schließerin ließ ihn hinaus.

Die Anstaltsleiterin Friederike Brettschneider war eine schöne Frau. Etwa fünfzig, schmales Gesicht mit viel Erlebtem drin, ohne resigniert oder verbittert zu wirken, lebhafte graugrüne Augen, kurzes, gut geschnittenes rotbraunes Haar, elegantes Kostüm. Sie streckte Lou Feldmann irritiert einen Schnellhefter entgegen.

„Lesen Sie das Protokoll“, sagte sie. „Frau Hanke ist eine zuverlässige Mitarbeiterin. Es gibt keine Beschwerde von Gefangenen über sie. Mir ist keine Verfehlung bekannt. Ich habe keine Veranlassung, an ihrer Darstellung des Vorfalls zu zweifeln.“

„Was mich irritiert“, sagte Feldmann, „ist Folgendes: Gefangene drehen sich in der Regel einen Strick aus einem zerrissenen Kleid oder einem Bettlaken oder einem Matratzenbezug. Woher hatte Remy Straub ein Seil?“

„Das wüsste ich auch gerne“, sagte die Anstaltsleiterin bekümmert. „Hier wird alles Mögliche geschmuggelt. Handys, Dildos, Drogen, Tauchsieder ... Nur selten finden wir einen Kanal.“

„Ich möchte diese Frau Hanke trotzdem sprechen.“

Die Anstaltsleiterin nickte. „Ich verstehe Sie nur zu gut. Aber Frau Hanke sah so übel aus mit ihrer gebrochenen Nase, dass ich ihr eine Woche frei gegeben habe.“

„Unter diesen Umständen“, sagte Lou Feldmann, „muss ich Sie um ihre Privatadresse bitten.“

Wenn ich hier einfahren müsste, würde ich mir auch einen Strick nehmen, dachte Kriminalhauptkommissar Lou Feldmann, als er auf dem Weg zu seinem Wagen, den er in der Nähe des Besuchereingangs abgestellt hatte, seinen Blick über die ausbruchssicheren Fenster und die hohen Mauern mit dem Natodraht darüber schweifen ließ. Er setzte sich hinter das Steuer und fuhr durch die Stadt hinaus nach Friedrichshagen. In den Straßen mit den älteren Einfamilienhäusern suchte er nach der Adresse und fand schließlich ein heruntergekommenes Haus, vor dem sich Bauschutt türmte. Daneben eine Ladung neuer Ziegelsteine und ein Betonmischer.

Feldmann klingelte an der Wohnungstür, wartete, klingelte erneut, als sich nichts rührte. Nach langen Minuten öffnete ein etwa fünf Jahre alter Junge. Er sah Feldmann neugierig an.

„Was ist?“

„Ist deine Mama zu Hause?“, fragte Feldmann ihn. „Ich würde gern mit ihr sprechen.“

Der Junge drehte sich um und rief ins Haus hinein: „Papa! Da ist ein Mann, der will mit Mama sprechen.“ Es dauerte eine Weile, bis ein übermüdet wirkender Mann, ein Baby auf dem Arm, dem er vorsichtig die Flasche gab, zur Tür kam. „Ja, bitte? Was wollen Sie?“, fragte er.

„Herr Hanke?“, sagte Lou Feldmann und hielt ihm den Ausweis hin. „Kriminalhauptkommissar Feldmann. Ich hätte ein paar Fragen an Ihre Frau.“

„Ist etwas passiert?“ Hanke stand zwischen Tür und Angel, das hungrige Baby auf dem Arm. Er schien sich nicht eben wohl zu fühlen. In seinem Kopf arbeitete es. Der kleine Fünfjährige hielt sich an Papas Bein fest.

Feldmanns Handy klingelte. Er ignorierte es. „Ihre Frau hatte Nachtschicht“, sagte er. „Schläft sie noch?“

Hanke schüttelte den Kopf. „Sie ist noch nicht heimgekommen“, sagte er. „Weil sie doch noch den anderen Job hat. Weil wir sonst die Raten für das Haus nicht zahlen könnten.“

„Und wo arbeitet sie jetzt?“, fragte Feldmann. „Kann ich sie da erreichen?“

Hanke hob die Schultern. „Weiß ich nicht. Bei einer Putzkolonne. Keine Ahnung, wo die heute sind.“

Feldmanns Handy klingelte immer noch. Jetzt nahm er ab, meldete sich, hörte kurz zu. Dabei warf er einen Blick auf seine Armbanduhr. „Knappe zehn Minuten“, sagte er dann. „Vielleicht auch zwanzig.“ Er klappte das Handy zu, steckte es wieder ein und zog aus seiner Tasche eine Visitenkarte, die er Hanke reichte. „Sagen Sie ihr bitte, sie soll mich anrufen, sobald sie da ist.“

Als Lou Feldmann im Wagen den Motor anließ, dachte er: Eine Altbau-Schrottimmobilie. Wie es aussieht, sind die Handwerker weggelaufen, Schulden, ein fünfjähriger Junge, ein Baby, ein Mann ohne Arbeit, eine Frau mit zwei Jobs. Wenn einem da ein Angebot zur Verbesserung der Lage gemacht wird, fragt man nicht lang, ob man Ja oder Nein sagen soll. Man ist im wahrsten Sinne des Wortes alternativlos. Feldmann lachte grimmig in sich hinein. Ja, kein Zweifel, er musste sie sich vorknöpfen. Denn unter diesen Umständen war es gut möglich, dass Remy Straub doch nicht gelogen hatte. Und dass sie tatsächlich etwas wusste, was brisant genug war, jemanden einen solchen Anschlag auf sie ausführen zu lassen. Sie sollte aus dem Weg geräumt werden. Die Spuren um ihren Hals zeigten deutlich, dass man sie nicht nur hatte einschüchtern wollen. Die sahen eindeutig nach Mordversuch aus.

Es war nicht weit zum Müggelsee. Feldmann musste auf die gegenüberliegende Seite. Er fuhr über die Müggelspree hinüber auf den Müggelseedamm. An der Bushaltestelle bog er links zur Fähranlegestelle Rübezahl ab. Bei den am Straßenrand geparkten Fahrzeugen der Feuerwehr und den beiden Streifenwagen stellte er seinen Wagen ab und ging, vorbei am Wagen des Rechtsmediziners Joe Becker und dem von Eva Hennings, bis zu der Stelle, wo Hennings sich über eine weibliche Leiche bückte, die offenbar gerade von der Feuerwehr aus dem Schilf neben dem Steg gezogen worden war. Hennings durchsuchte sie nach Papieren, fand aber keine. Der Polizeifotograf Michael Klein machte Aufnahmen, der Rechtsmediziner betrachtete sie von allen Seiten. „Nase gebrochen, ziemlich frisch, heute – würde ich sagen.“

Feldmann warf nur einen kurzen Blick auf sie. „Ich denke, ich weiß, wer das ist“, sagte er. „Jedenfalls der gebrochenen Nase und dem Alter nach zu urteilen, müsste es Irene Hanke sein. Schließerin in der Frauenhaftanstalt. Die hat heute Nacht nämlich was auf die Nase bekommen.“

„Davon abgesehen, hat sie auch ein gebrochenes Genick“, stellte Joe Becker fest.

Feldmann sah ihn fragend an. „Todeszeitpunkt heute früh gegen sechs oder sieben, gleich nach ihrem Dienstende?“

„Dürfte hinkommen“, nickte der Arzt.

„Wäre nett, wenn du mich ein wenig aufklären könntest“, sagte Eva Hennings.

Feldmann nickte. „Später, in Ruhe. Sag du mir jetzt erst mal, wann und von wem sie gefunden wurde.“

Hennings zeigte auf einen zwischen den Beamten stehenden Jungen in T-Shirt und kurzen Turnhosen. „Ist vor einer halben Stunde hier vorbeigelaufen und hat zum Glück nicht nur auf den Weg vor seinen Füßen geschaut.“

Feldmann verkniff sich ein Lächeln. Hennings’ Abneigung gegen Jogger kannte er. „Lässt sich schon sagen, wo sie ermordet wurde?“

„Wir suchen noch das Gelände ab. Außerdem sind die Kollegen dabei, von dem einzigen Auto vorne auf dem Parkplatz zum Restaurant das Kennzeichen überprüfen zu lassen.“

Sie hatte noch nicht ausgesprochen, als einer der Assistenten auf sie zusteuerte. „Chef, der rote Corolla dort ist auf einen Philipp Hanke zugelassen.“

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