Читать книгу Ausstieg / Glücksspieler / Gefährliche Erben - Drei Romane in einem Band - Elfi Hartenstein - Страница 28
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ОглавлениеAm nächsten Morgen verließ Lou Feldmann zu noch ziemlich früher Stunde übermüdet und unrasiert das Haus in der Langenscheidtstraße, wo er seit Jahren wohnte, um sich auf den Weg nach Moabit zu machen. Gewohnheitsmäßig wandte er den Kopf nach links und rechts, als wittere er nach allen Seiten, bevor er in seinen am Straßenrand zwischen den Bäumen geparkten Wagen stieg. Dabei stellte er beruhigt fest, dass ihn auch nach einer schlechten Nacht und zu früher Stunde seine Warnlampen nicht im Stich ließen: In dem dunkelblauen BMW, der sich auf der anderen Straßenseite in die Lücke zwischen einem Ahornbaum und einer schlanken Platane gequetscht hatte, saßen trotz der getönten Scheiben unverkennbar zwei Männer. Sie hatten die Seitenscheiben einen Spalt geöffnet und ließen den Rauch ihrer Zigaretten ins Freie ziehen. Jeder vernünftige Mensch würde bei diesem Sommerwetter aussteigen und, wenn er schon auf jemanden warten muss, sich beim Rauchen die Füße vertreten, dachte Lou Feldmann, als er den Motor anließ und ausparkte. Im Rückspiegel beobachtete er im Anfahren, dass der BMW ebenfalls startete, auf der engen Straße wendete und hinter ihm herkam. Er folgte ihm bis zum Alten Kriminalgericht Moabit, fuhr jedoch, als Feldmann seinen Wagen auf der der JVA zugewandten Seite in der Nähe des Besuchereingangs abstellte, an ihm vorbei weiter die Straße entlang. Feldmann stieg aus, ging um das Gelände herum und betrat das Gebäude durch den Haupteingang in der Turmstraße, wo er dem Pförtner seinen Dienstausweis vorlegte, durch die Schleuse eingelassen wurde und geradewegs das Büro von Staatsanwalt Roth ansteuerte, das er nach kurzem, energischem Anklopfen betrat.
Roth schlüpfte gerade aus seinem Jogginganzug und zog seinen Berufsanzug an. Armani, dachte Feldmann, als er ihm beim Anziehen zusah und nicht ohne Neid den Waschbrettbauch des Staatsanwalts betrachtete. Aber, dachte er weiter, ein durchtrainierter Körper und ein faltenloses Oberschülergesicht machen noch keinen Charakter. Der Staatsanwalt hatte nichts dagegen, dass ihn jemand beim Anziehen beobachtete. Er war stolz auf seinen Körper.
„Haben Sie heute Nacht nicht geschlafen?“, fragte er, „Sie sehen aus, als hätten Sie in einer Kneipe übernachtet.“
„Ich habe die Akte Remy Straub gelesen“, sagte Feldmann. „Da fehlen ein paar Teile.“
„Und?“, fragte Roth und band sich die Krawatte.
„Wäre vielleicht hilfreich, sie ganz zu kennen“, sagte Feldmann.
„Ist irgendetwas passiert, dass sich Ihre Einstellung geändert hat? Sagten Sie nicht, Sie wollten nicht gegen sie ermitteln?“
„Remy Straub sollte vorletzte Nacht umgebracht werden“, erwiderte Lou kalt.
„Sie hat schon immer gerne gelogen“, sagte Roth ohne das geringste Anzeichen von Verwunderung oder gar Erschrecken.
„Ich wollte die Beamtin, die Remy Straub in der Zelle aufhängen wollte, am Morgen danach befragen“, sagte Lou.
„Und?“, fragte Roth. „Hinter Remy Straubs Lügen gekommen?“
„Nein. Die Tatsachen gesehen. Diese Beamtin wurde gestern Vormittag tot aus dem Wasser gezogen. Remy Straub hatte ihr zwar die Nase gebrochen. Aber nicht das Genick.“
Staatsanwalt Roth wirkte etwas dämlich mit seinem halb geöffneten Mund, in dem sich die Zunge ein wenig vorne über die Zähne schob. „Wenn das stimmt ... was ich nicht glaube. Oder vielleicht doch. Remy Straub hatte gefährlichen Umgang ...”
Lou Feldmann sah ihn unbewegt an. „Ich will, dass sie in ein anderes Gefängnis verlegt wird. Und nur wir beide wissen davon.“
Der Staatsanwalt lachte trocken auf. „Wie stellen Sie sich das vor: nur wir beide? Da muss ich einen Antrag stellen, den jemand liest, den ein anderer bewilligen muss, einen Ort finden, der bereit sein muss, sie aufzunehmen, Polizisten, die sie transportieren ...” Er schüttelte den Kopf. „Immer noch vorausgesetzt, dass sie nicht lügt. Da brauche ich schon etwas mehr. Eine Aussage, die mich das glauben lässt. Eine Aussage über das organisierte Verbrechen, in das sie verwickelt ist. Eine Aussage über diese Leute, die – wenn es denn stimmt – ihr nach dem Leben trachten.“ Der Staatsanwalt hatte sein Jackett angezogen, nahm eine Akte vom Tisch, sah wieder auf seine Armbanduhr, nahm seine Robe aus dem Schrank, legte sie über seinen Arm. „Holen Sie nach, was Sie am Anfang verweigert haben. Vernehmen Sie sie. Ich will etwas Schriftliches. Dann sehen wir weiter.“
Feldmann frühstückte in der Kantine des Kriminalgerichts. Ein paar der hier anwesenden Touristen hatten wohl im Fremdenführer gelesen, dass die Kantine gut war, und aßen und tranken, während sie die Anwälte, Justizangestellten und ihn beobachteten. Manche hofften auf Sensationen, die hier vermutlich nie eintreten würden, und manche waren einfach mit dem preisgünstigen und subventionierten Essen zufrieden. Feldmann verstand zu viel vom Kochen, um die Meinung über die gute Qualität der hier angebotenen Speisen zu teilen.