Читать книгу Ausstieg / Glücksspieler / Gefährliche Erben - Drei Romane in einem Band - Elfi Hartenstein - Страница 37
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ОглавлениеDr. Sylvie Westphal hatte sich draußen vor dem Zwiebelfisch an einen der Tische gesetzt. Lou Feldmann bemerkte sie sofort, blieb jedoch in einiger Entfernung stehen. Erst wollte er sich einen Überblick verschaffen, wer außer Sylvie Westphal noch hier Platz genommen hatte. Er war nicht verwundert, unter den anderen Gästen ein paar Tische weiter einen Fahnder, der intensiv mit einer Frau mittleren Alters ins Gespräch vertieft zu sein schien, zu entdecken. Als hätte Sylvie Westphal seinen Blick gefühlt, blickte sie auf und sah zu Lou Feldmann hinüber, der wenige Meter von ihr entfernt auf dem Gehsteig stand und, als ihre Blicke sich kreuzten, eine Kopfbewegung zur anderen Seite des Savignyplatzes machte.
Dann überquerte er die Straße und setzte sich an einen leeren Tisch vor dem Café Savigny. Er ließ seinen prüfenden Polizistenblick über die Leute an den anderen Tischen gleiten, und als er nichts bemerkte, was ihm gefährlich erschien, bestellte er bei der jungen Bedienung ein Glas Riesling und ein Bier. Feldmann beobachtete die andere Straßenseite, sah, wie Dr. Westphal zahlte, ihre Tasche nahm, aufstand, die Straße überquerte. Der Fahnder, den er an einem der Tische entdeckt hatte, zeigte keine Reaktion. Offensichtlich war er doch nicht auf Dr. Westphal programmiert, sondern auf die Frau, mit der er am Tisch saß und sich jetzt eine wütende Auseinandersetzung lieferte.
Lou Feldmann beobachtete Dr. Westphals selbstbewussten Gang, als sie auf ihn zuging. Eine schlanke, aufregende Frau, dachte er, nicht ohne dabei zu bemerken, dass sich eine gewisse Resignation in ihm breitmachte. Sylvie Westphal setzte sich auf den Stuhl neben ihn, hängte ihre dunkelgrüne Ledertasche über die Stuhllehne und sah ihn fragend an. Ihre Augenfarbe schien durch das Grün ihres Seidentops zusätzlich intensiviert. Da die Bedienung im selben Moment vor ihnen auftauchte und Bier und Wein auf den Tisch stellte, verkniff Feldmann sich eine Erklärung. Westphal nippte an dem Wein. „Riesling“, stellte sie fest. „Woher wissen Sie ...?”
„Geraten“, sagte Feldmann. „Sie saßen mit einem Weißwein da drüben.“
„Warum hat es Ihnen da nicht gefallen?“
„Da hockt ein Fahnder, der mich kennt. Und vielleicht ... man kann nie wissen, ob ...” Er brach ab und nahm einen Schluck von seinem Bier.
„Was steht in meiner Akte?“, fragte Sylvie. „Ich denke, Sie haben nachgesehen?“
Feldmann schüttelte den Kopf. „Noch haben Sie keine“, sagte er. „Wie geht es meinem Neffen?“
„In ein paar Wochen ist er wieder okay. Seinem Handgelenk ist zum Glück nichts passiert.“ Sie sah Feldmann eine Weile an, dann gab sie sich einen Ruck. „Wie kommen Sie an einen Neffen, der Sie als einzigen Verwandten und als Adresse für Benachrichtigungen angibt?“, fragte sie.
Lou Feldmann beugte sich vor und lächelte. „Man könnte sagen, wie die Jungfrau zum Kind. Tatsache ist aber, seine Eltern sind bei einem Unfall gestorben. Zuerst der Vater, mein Bruder, dann die Mutter. Ich habe ihr versprochen, mich um ihren Jungen zu kümmern.“
„Er ist schon lange erwachsen.“
Feldmann lächelte erneut. „Was halten Sie von ihm?“
„Ein charmanter Windhund. Lebenstüchtig. Auch ohne seinen Onkel.“
Feldmann schaute hinüber auf die andere Seite des Savignyplatzes. Dort zerrte soeben die Frau den Fahnder vom Stuhl hoch. Sie warf Geld auf den Tisch. Die Leute an den anderen Tischen rückten zur Seite. Die Frau schob ihren Begleiter unter wütendem Geschimpfe Richtung S-Bahn.
„Ist das der Fahnder?“, fragte Sylvie Westphal.
Feldmann nickte.
„Der hat andere Probleme“, stellte sie fest.
„Die können inszeniert sein“, sagte er. Er schaute ihr direkt ins Gesicht. In die Augen. Sie wich dem Blick nicht aus, lächelte ihn an. Sie war schön, aber Feldmann blieb unbeeindruckt. „Sie spielen mit dem Feuer, Frau Dr. Westphal“, sagte er kühl.
„Welche Frau hat Sie denn verbrannt?“ In ihrer Stimme lag ein verstecktes Lachen.
Ohne darauf einzugehen, fragte Feldmann: „Warum setzen Sie Ihre Zulassung als Ärztin aufs Spiel?“
Sylvie Westphal rückte sich auf ihrem Stuhl zurecht und streckte den Rücken. „Das kann ich Ihnen genau sagen. Es hat mit der Art von Erziehung zu tun, die mich schon als Kind dazu gebracht hat, gegen alles anzustinken, was nach Wohlverhaltensregeln roch. Meine Freunde, die ich mir in der Schule und dann auf dem Gymnasium gesucht habe, waren mehr oder weniger alle Außenseiter. Später habe ich gelernt, dass die politisch Korrekten meistens einfach nur feige Säcke sind, die sich nicht einmal die Möglichkeit geben, irgendetwas zu probieren, bei dem sie scheitern könnten. Mit solchen angepassten Spießern, die die offizielle Moral gepachtet haben, habe ich nichts am Hut. Meine Solidarität gehört denen, die unter die Räder gekommen sind. Viele von ihnen sind im kriminellen Milieu gelandet, weil sie keine anderen Chancen hatten. Aber davon wollen die sogenannten anständigen Menschen ja nichts hören ...”
Sylvie Westphal war lauter geworden. Feldmann legte ihr die Hand auf den Arm. Sie sackte in sich zusammen, griff nach ihrem Glas, trank es leer.
„Ich muss wissen, wie es steht“, sagte sie leise. „Dass Sie Andersen versteckt haben ... war das ebenso inszeniert wie dieses Schauspiel da drüben?“
Feldmann sah sie an, versuchte im Kopf zu formulieren. Wischte dabei seine Vorsicht und sein Misstrauen weg. „Nein“, sagte er schließlich, „war es nicht. Ich war nur einfach seit langem mal wieder ein Mensch. Und habe gehandelt wie ein Mensch.“
Sie schwiegen beide. Nach einer Weile fügte er hinzu: „Meine Leute erfahren nichts von Ihnen und Sie sagen nichts von mir, wenn Sie irgendwann mal auffliegen. Okay?“
„Okay“, nickte sie. „Das war es, was ich von Ihnen hören wollte.“
Feldmann stand auf, legte einen Schein auf den Tisch.
„Fahren Sie mich nach Hause?“, fragte Sylvie Westphal.
Als Lou Feldmann den Kopf schüttelte, winkte sie der Kellnerin und deutete auf ihr Glas zur Nachbestellung. Dabei sah sie ihn an. „Diese Frau, die Sie vermissen, hat Sie nicht verbrannt. Nur angesengt.“
Sekundenlang schaute Lou ihr fest in die Augen. Sie hatte schöne Augen. Und ein verdammt schönes Gesicht. Aber da war etwas, was er mit niemandem bereden konnte. Er drehte sich um und ging langsam die Straße hinunter in die Richtung, aus der er gekommen war.