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Der Eingang zum Untersuchungsgefängnis war nicht weit entfernt. Feldmann zeigte seinen Dienstausweis, unterzog sich der üblichen Personenkontrolle, entleerte den Inhalt seiner Taschen vor den aufmerksamen Augen des Uniformierten, steckte alles wieder ein und bestätigte auf Nachfrage, dass er heute wirklich keine Pistole bei sich hatte. Er vergaß sie in letzter Zeit immer häufiger. Unbewaffnet brachte er wenigstens niemanden in Panik. Fürs Schießen waren Leute wie Ricardo da. Die konnten das. Hatten einen Instinkt zu treffen oder nur zu verletzen oder bewusst daneben zu schießen.

Als er den Gefängnisgang entlangging, lauschte er. Zu genau hatte sich ihm eingeprägt, wie es geklungen hatte, als einmal eine Gefangene über das Geländer gesprungen und unten aufgeschlagen war. Wie ein Sack Kartoffeln, hatte er damals gedacht. Und seither hatte er, sobald er sich in diesem Gebäude befand, das Geräusch wieder in seinem Ohr. Vielleicht war es ja auch die Seele der toten Gefangenen, die sich in Erinnerung bringen wollte.

Eine Schließerin begleitete ihn zu einer Zelle. Herrgott, dachte er, als er ihre Art zu gehen und ihre Figur betrachtete, ordentlich, dienstbeflissen und durch und durch durchschnittlich. Finden denn solche Frauen keine anderen Jobs mehr, als Menschen in Käfige zu schließen, in denen diese nicht mehr Platz haben als Hühner in Legebatterien? Und keiner wundert sich über die Eier, die diese Gesellschaft hier ausbrütet.

Die adrette Schließerin klopfte an die Zellentür, schloss auf. Die Tür ging nach außen auf. Ein von innen dagegen gelehnter Stuhl fiel um. Geschirr schepperte auf den Boden.

Remy Straub, die zusammengerollt auf ihrem Bett gelegen hatte, sprang auf und ging in Angriffsstellung. Als sie Lou Feldmann sah, entspannte sie sich etwas.

Feldmann schob das Geschirr mit einem Fuß zur Seite und nahm sich den umgekippten Stuhl. „Darf ich mich setzen?“ Er warf ihr eine Schachtel Zigaretten und ein Feuerzeug aufs Bett.

„Ich bin nicht käuflich“, sagte sie.

„Es kam aber schon vor, dass Sie sich verkauft haben“, stellte Feldmann sachlich fest.

Remy Straub sah ihn lange an. Zunächst war sie wütend, aber je länger sie nachdachte, desto stärker wurden ihre Zweifel an sich selbst. Sie schluckte die Flüche hinunter, die sie hatte ausspucken wollen. „Manchmal“, stimmte sie Feldmann zu. Sie zündete sich eine Zigarette an. „Verlegen Sie mich trotzdem in einen anderen Knast?“

„Ich brauche eine Aussage von Ihnen. Sonst werden Sie nicht verlegt. Der Staatsanwalt will das so.“

„Welcher Staatsanwalt ist das? Wie heißt er?“

Feldmann sah die Angst vor diesem Namen in ihrem Gesicht, noch bevor er ihn aussprach: „Roth. Benno Roth.“

Enttäuschung spiegelte sich in ihrem Blick, keine Überraschung. Und Resignation, als sie den Zigarettenrauch ausatmete, ihre Zigarette gegen die Wand warf, aufstand, die Kippe mit dem Fuß gegen die Tür kickte, Feldmann den Rücken zuwandte und zum vergitterten Fenster starrte.

„Sie kennen ihn?“, fragte er. „Woher? In Ihrer Akte taucht der Name nicht auf.“

Die junge Frau drückte ihre Stirn gegen die Wand. Als sie leise zu sprechen begann, hatte Lou Feldmann Mühe die Worte zu verstehen. „Ich war vierzehn“, sagte sie. „Ein paar Wochen, nachdem meine Mutter ausgezogen war, hat mein Vater mich vergewaltigt.“

Sie schwieg. Sie dachte nach. Sie überlegte, ob sie sagen sollte, was sie sagen wollte. „Ich hab ihn angezeigt.“

Lou Feldmann wartete schweigend. Sie muss von selbst reden, dachte er. Alles andere ist Quatsch.

Endlich löste Remy Straub sich von der Wand und drehte sich zu Feldmann um. Ihre Stirn war aufgeschrammt. „Der Staatsanwalt hat meine Anzeige niedergeschlagen. Unglaubwürdig, meinte er. Gelogen. Dieser Staatsanwalt hieß Roth. Wie ich später erfuhr, war er ein Freund meines Vaters.“

„Wer war Ihr Vater?“, fragte Lou. Fast ebenso leise wie sie gesprochen hatte.

„Nicht war. Ist“, sagte Remy Straub. Sie brauchte einen Moment, bevor sie den Namen ausspucken konnte. „Franke. Alfred Franke.“

„Alfred Franke? Richter Gnadenlos Franke?“, fragte Lou Feldmann erschrocken.

„Richter Gnadenlos Franke.“ Sie nickte.

„Warum heißen Sie Straub?“

„Weil ich wie meine Mutter heiße. Richter Gnadenlos war nicht mein Erzeuger.“

„Was ist mit Ihrer Mutter?“

„Sie muss verzweifelt gewesen sein. Sie hat keine Chance für sich gesehen, nachdem sie dieses Schwein verlassen hatte. Und für mich auch nicht. Da ist sie in einem Hochhaus in den zehnten Stock gefahren und heruntergesprungen.“

Feldmann sah Remy Straub an. Ruhig, emotionslos. Er hatte schon zu viele solcher Geschichten und Legenden und Lügen gehört. Nur Grimms Märchen, die seine Mutter ihm früher vorgelesen hatte, waren manchmal noch schlimmer gewesen.

Remy Straub erwiderte seinen Blick. Offen. Frei. Feldmann war überzeugt, dass sie nicht log. Oder, dachte er, falls ich das falsch einschätze, muss ich mich wirklich schleunigst nach einem anderen Beruf umsehen. Noch schneller, als ich es ohnehin vorhabe.

„Wenn Sie mich nicht anlügen, entführe ich Sie jetzt“, sagte er und förderte Handschellen aus dem hinteren Hosenbund zutage.

Remy Straub sah auf die Handschellen, sah Feldmann an. Sah seine Augen. Ihre Zweifel traten zurück, sie nickte und ließ sich widerspruchslos von ihm die Handschellen anlegen. Immerhin war er Bulle genug, um zu wissen, dass Leute mit solchen Geschichten gefährlich sein konnten.

Ausstieg / Glücksspieler / Gefährliche Erben - Drei Romane in einem Band

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