Читать книгу Ausstieg / Glücksspieler / Gefährliche Erben - Drei Romane in einem Band - Elfi Hartenstein - Страница 31
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ОглавлениеLou Feldmann führte seine Gefangene durch die Gänge, die Türen, die Kontrollen und vorne durch das Gerichtsgebäude die Treppen hinunter zur Straße. Dort winkte er einem Taxi. Er sah sich den Taxifahrer genau an, bevor er mit Remy Straub auf den Rücksitz kletterte. Sie zuerst, er hinterher. Das Taxi fuhr los. Lou konnte keinen Verfolger erkennen.
„Ich heiße Remy“, sagte Remy Straub.
„Ich heiße Lou“, erwiderte Feldmann.
Sie sahen sich an.
„Ob wir Freunde werden können, weiß ich noch nicht“, sagte Lou Feldmann.
„Bist du jetzt völlig übergeschnappt“, fragte Eva Hennings, als Feldmann mit der gefesselten Remy Straub in ihr Büro kam. „Roth tobt. Du hast eine Gefangene entführt. Weißt du, was das heißt?“ Hennings war verzweifelt. „Sie werfen dich nicht nur raus. Sie lochen dich ein wegen Gefangenenbefreiung.“
Feldmann schob Remy Straub einen Stuhl hin.
„Hab ich das richtig verstanden?“, fragte Remy. „Wenn ich nicht aussage, sind Sie dran?“
„So oder so ähnlich. Aber keine Angst. Wir sind nicht in Guantanamo. Ich werde Sie nicht foltern.“ Er sah zu Hennings hinüber. „Ich nicht. Und Frau Hennings auch nicht.“
„Es wird sich rumsprechen, dass du da bist“, sagte Eva Hennings zu Feldmann. Sie ging zur Tür und schloss ab.
„Fangen wir an“, sagte Remy Straub, „bevor hier jemand reinkommt und mich umlegt.“
Feldmann sah Hennings an, deutete auf den Schreibtisch. „Das ist dein Schreibtisch.“
Hennings zögerte, schickte einen verzweifelten Blick zwischen Remy Straub und Feldmann hin und her. „Willst du mich hinrichten, Lou?“
„Ich will deine Karriere fördern“, sagte er. „Nur die Mutigen haben eine Chance.“ Damit nahm er Remy Straub die Handschellen ab und schob ihr einen Stuhl vor Eva Hennings’ Schreibtisch.
Hennings nahm dahinter Platz, zögerte, griff nach dem Mikro, stellte das Aufzeichnungsgerät an. „Eva Hennings. Lou Feldmann. Vernehmung Remy Straub. Am Freitag, den 14. Juni 2013.
Frau Remy Straub, Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern, wenn Sie sich damit selbst belasten ...”
„Geben Sie mir das Mikro“, sagte Remy, „ich bin hier, um auszusagen.“ Sie rutschte auf ihrem Stuhl nach vorn und begann, ohne auf Fragen zu warten, zu sprechen. „Ich habe für das Café Lilo gearbeitet. Am Tresen und im Büro. Buchhaltung. Meine Chefin war Elena Iwanowa. Das Café war die eine Seite des Geschäfts, der Hostessenservice die andere. Zwangsprostitution kam nicht vor. Die Frauen arbeiteten alle freiwillig. Die Iwanowa war so etwas wie eine Künstleragentur. Sie machte Kontakte, legte die Honorare fest und kassierte ihre Provision. Es waren Studentinnen, Hausfrauen, Alleinerziehende ... die Iwanowa legte großen Wert auf ein gewisses Maß an Bildung. Dann wurde sie unter Druck gesetzt. Zuerst wurde Schutzgeld verlangt, dann wollten diese Leute den Hostessenservice übernehmen.“
„Wer genau waren diese Leute?“, fragte Feldmann.
„Ich habe nur einen kennen gelernt. Sergej Medwed. Wer seine Chefs sind, weiß ich nicht. Jedenfalls weigerte sich die Iwanowa. Sie stand zu ihren Frauen. Die waren erpressbar durch ihre gesellschaftliche Stellung, ihren Beruf, ihre Chefs, ihre Familien. Die Iwanowa sagte: Niemals. Wenn Leute wie Medwed diese Adressen bekämen, würden sie die Frauen erpressen. Die wären ihnen vollkommen ausgeliefert. Sie gab mir den Auftrag, alle Unterlagen auf einen Stick zu kopieren und alles andere zu vernichten und zu löschen. Das habe ich gemacht. Ich habe die Akten auf einer Wiese verbrannt. Dann wollte ich zu Elena Iwanowa nach Hause. Ich bin mit der S-Bahn gefahren. Von der Haltestelle aus sind es nur fünf Minuten zu ihr. Kurz bevor ich ankam, sah ich Medwed von der anderen Seite her auf das Haus zusteuern und hineingehen. Ich war mir sicher, dass er zu Elena Iwanowa wollte. Wo hätte er sonst hingehen sollen? Weil ich nicht mit ihm zusammentreffen wollte, habe ich draußen gewartet. Ungefähr eine halbe Stunde. Dann kam Medwed wieder aus dem Haus. Ich weiß nicht, ob er mich gesehen hat. Ich bin nach oben in die Wohnung. Die Tür war nicht ganz zugezogen. Und da lag sie. Tot. Und ich bin abgehauen. Wenn ich doch nur ... sie würde noch leben, wenn ich vor Medwed da gewesen wäre. Oder wenn ich früher hochgegangen wäre.“ Die letzten Sätze hatte sie fast geflüstert.
„Und dann?“, fragte Feldmann.
Remy Straub sah ihn verwirrt an. „Was dann? Was meinen Sie?“
„Was haben Sie gemacht, nachdem Sie fortgelaufen sind? Sie waren es nicht, die die Polizei verständigt hat.“
„Ich ... ich war völlig durcheinander. Irgendwann ist mir eingefallen, dass man sie doch nicht einfach so liegen lassen kann. Irgendwer musste sie finden.“ Sie brach ab, starrte vor sich hin. Dann gab sie sich einen Ruck und setzte erneut an: „Ich kannte den Namen einer Frau, die neben Elena Iwanowa wohnt. Deren Nummer habe ich mir herausgesucht und sie angerufen. Ich habe sie gefragt, ob sie nicht mal bei Elena klingeln könne, weil ich sie nicht ans Telefon kriegen würde, und vielleicht sei ja das Telefon kaputt und Elena wüsste es nicht ...”
Feldmann und Hennings verständigten sich mit Blicken und einem Nicken.
„Die Aussage der Nachbarin haben wir“, bestätigte Feldmann.
„Was ist mit dem Stick?“, fragte Hennings.
Remy Straub sah von Hennings zu Feldmann. In ihrem Kopf arbeitete es. Ihr Gesicht drückte Zweifel aus. „Ich glaube nicht, dass Elena Iwanowa möchte, dass diese Adressenliste bei den Bullen landet.“
Feldmann schaltete das Aufnahmegerät ab.
„Diese Frauen haben von uns nichts zu befürchten“, sagte er.
Remy Straub schüttelte den Kopf. „Vielleicht von Ihnen nicht. Aber was ist mit ihr?“ Sie deutete mit dem Kopf auf Eva Hennings. „Was ist mit dem Staatsanwalt? Wer kann garantieren, dass die Frauen nicht von Ihren Kollegen erpresst werden? Es gab auch Bullen unter den Freiern.“
„Wir müssen diese Liste überprüfen. Wenn niemand darauf mit dem Mord zu tun hat, werden wir sie vernichten.“ Feldmann sah Hennings an. „Einverstanden?“
Hennings überlegte eine Weile. „Das kann uns Kopf und Kragen kosten, Lou.“
„Offiziell werden wir diese Liste nicht erhalten. Denn Remy Straub hatte sie nach dem Tod ihrer Chefin vernichtet.“
Hennings überlegte. „Na gut“, seufzte sie.
Remy Straub rang noch einen Moment mit sich, dann nahm sie ihren Rucksack, riss das Futter auf und zog einen sehr kleinen USB-Stick heraus. „Darf ich was trinken?“
„Wasser“, sagte Hennings.
Remy Straub schüttelte den Kopf.
„Okay“, sagte Lou. Er stand auf, schloss die Tür auf, Hennings schloss hinter ihm ab.
„Was haben Sie denn mit Feldmann gemacht?“, fragte Hennings.
„Wie ist er denn sonst?“ Remy sah Hennings an, als würde sie jedes Wort und jede Miene von ihr genau prüfen.
Hennings kannte das. Sie machte es genauso. „Er ist ein Kotzbrocken. Er mag die Menschen. Aber sich selber nicht.“
„Woher kommt das?“, fragte Remy neugierig.
„Wir vernehmen Sie und nicht umgekehrt“, sagte Hennings. „Aber von mir aus können Sie auch rauchen.“ Hennings nahm aus ihrer Schreibtischschublade ein Päckchen Zigaretten, Feuerzeug und Aschenbecher und schob alles auf ihrem Schreibtisch in Richtung Remy Straub. Sie ging ans Fenster, öffnete es weit, und atmete tief den Rauch von Remys Zigarette ein, der durchs Zimmer schwebte.
„Es kann nicht lange her sein, dass Sie nicht mehr rauchen“, stellte Remy Straub fest.
Lou Feldmann ging ins Souterrain, klopfte an Hauptkommissar Winklers Tür und öffnete sie, ehe er etwas hörte. Winkler hockte hinter seinem Schreibtisch. Als er Feldmann sah, fuhr er auf. „Bist du verrückt geworden? Du bist mit der Straub abgehauen ohne offizielle Genehmigung? Darf ich das so sehen? Du hast eine Gefangene befreit?“
Lou Feldmann kümmerte sich nicht um Winklers Vorwürfe. Er stellte sich neben ihn, griff in die untere Schublade seines Schreibtischs, zog die Cognacflasche heraus, sah auf das Etikett. „Rémy Martin. Nur vom Feinsten.“
Winkler starrte ihn erbost an. Feldmann suchte nach einem Glas, entdeckte eine Tasse am Spülbecken, spülte sie aus, goss sie halb voll mit Cognac, nickte Winkler zu. „Kriegst du wieder. Ehrenwort.“ Und, schon halb im Gehen, setzte er hinzu: „Du bist wütend. Du hast Angst. Aber nicht um mich, nehme ich an.“ Feldmann ging und ließ einen verstörten Kollegen zurück, der an sich zweifelte, weil er merkte, wie ihm die Fäden aus der Hand glitten. Hoffentlich, dachte Winkler, hoffentlich ist diese Bauerei bald beendet. Damit ich aus dem Kellerkäfig hier rauskomme und wieder in mein eigenes Büro zurückkann. Und damit ich mich nicht ständig vor Leuten wie Lou Feldmann rechtfertigen muss.
Hennings’ Tür war abgesperrt, Feldmann klopfte einmal, zweimal und nach einem Moment erneut. Hennings schloss auf und hinter ihm sofort wieder ab.
Feldmann gab Remy Straub die Tasse. Er lächelte. „Rémy Martin für Remy Straub.“
Hennings schüttelte müde den Kopf. „Du provozierst es wirklich. Du willst, dass sie dich feuern.“
Remy Straub hielt ihre Nase über den Cognac, schnupperte und kippte dann den Inhalt der Tasse hinunter als wäre es Wasser. Sie nickte. „Und jetzt?“
„Zurück in den Knast“, sagte Lou Feldmann. Er zog die Handschellen hinten aus dem Hosenbund.
Sie stand auf, hängte sich ihren Rucksack über die Schulter und streckte ihm die Hände hin. „Meister.“
Während Feldmann ihr die Handschellen anlegte, sagte er zu Eva Hennings: „Eva, leih mir deinen Wagen. Hinter meinem ist jemand her, seitdem ich heute früh aus dem Haus gegangen bin. Ich kann ihn erst abholen, wenn ich Frau Straub hier rausgebracht habe.“
Hennings nickte, nahm ihre Autoschlüssel aus der Umhängetasche und reichte sie Feldmann. Der steckte sie ein.
„Schaust du dir bitte die Namensliste auf dem Stick an, bis ich wieder da bin?“, bat er sie, bevor er die Tür aufschloss und hinausspähte.
Hennings nickte erneut. Feldmann zog seine Jacke aus und legte sie Remy Straub über die nach vorne gefesselten Hände. „Sie gehen zuerst. Zum Fahrstuhl. Wenn wir nicht zusammen gesehen werden, wird niemand Sie erkennen. Im Fahrstuhl warten Sie, bevor Sie auf den Knopfdrücken.“
Remy Straub straffte den Rücken, trat auf den Gang hinaus und ging langsamen Schrittes weiter. Polizisten, die ihr entgegenkamen oder sie überholten, nahmen von ihr keine Notiz. Vor dem Fahrstuhl blieb sie stehen, drückte den Rufknopf. Eine Polizistin stellte sich neben sie. Der Fahrstuhl kam. Die Türen öffneten sich. Die Polizistin ging hinein, sah Remy Straub, die stehen blieb, fragend an. Die schüttelte den Kopf.
„Ich warte noch auf jemanden“, sagte Remy Straub.