Читать книгу Ausstieg / Glücksspieler / Gefährliche Erben - Drei Romane in einem Band - Elfi Hartenstein - Страница 57
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ОглавлениеStaatsanwalt Dr. Benno Roth wischte die telefonische Anfrage seiner Sekretärin mit einer halben Handbewegung vom Tisch, als wollte er sagen „Lasst mich bloß in Ruhe“. Im selben Moment wurde ihm jedoch klar, dass seine blonde Vorzimmerdame ihn nicht sehen konnte, weshalb er sie mürrisch anwies, die übliche Abwimmelungsbegründung abzuspulen. „Tut mir leid, Herr Dr. Roth ist im Moment in einer Besprechung ... nein, leider weiß ich nicht, wann er wieder zurück sein wird ...” Etwas in dieser Art. Eine geschulte Sekretärin kannte die Formulierungen.
Allerdings hatten weder die geschulte Blondine noch Roth damit gerechnet, dass es sich bei der Dame, die zu Roth vorgelassen werden wollte – eine, wie ihre Visitenkarte informierte, Dr. Sylvie Westphal – um eine Frau handelte, die wusste, was sie wollte. Und dass Dr. Sylvie Westphal nicht bereit war, solche Spielchen mitzuspielen. Bevor die hübsche Blondine auch nur zu Ende sprechen konnte, hatte Frau Dr. Westphal schon die Klinke der Tür zu Roths Büro heruntergedrückt, die Tür aufgerissen und war entschlossenen Schritts eingetreten.
„Was zum Teufel ...” Roth war in die Höhe gefahren. „... erlauben Sie sich“, wollte er sagen, verschluckte den zweiten Teil aber beim Anblick der selbstbewusst auf seinen Schreibtisch zusteuernden Dame. „Kann ich irgendwie behilflich sein?“, fragte er stattdessen, straffte seinen Rücken und nahm die nun vor ihm Stehende voll in den Blick. Lockiges Haar, grüne Augen, heller Trenchcoat, offen, darunter ein enger grüner Rock und ein T-Shirt im selben Farbton, wohlgeformte Beine, halbhohe Absätze, eine große dunkelgrüne lederne Umhängetasche über der rechten Schulter. „Mit wem habe ich die Ehre?“
„Dr. Sylvie Westphal. Ärztin. Allgemeinmedizin. Ich brauche eine Besuchserlaubnis für Frau Remy Straub. Umgehend.“ Sylvie Westphals Ton ließ Widerspruch gar nicht erst aufkommen.
Roth versuchte es dennoch. „Besuchsgenehmigungen für Frau Straub werden nur in dringenden Fällen ausgestellt.“
„Es ist dringend. Frau Straub ist meine Patientin.“
„Mir ist in diesem Fall nichts bekannt, was Dringlichkeit erforderlich machen würde.“ Roth war hörbar um Schroffheit bemüht. Er fixierte sein Gegenüber unbewegt. Sein Mund verzog sich zu einem süffisanten Lächeln. Dass er das Gefühl hatte, am längeren Hebel zu sitzen, war ihm anzusehen.
„Sie haben gar nicht das Recht zu beurteilen, ob ärztliche Hilfe dringend oder weniger dringend benötigt wird, Herr Staatsanwalt. Das wissen Sie doch selbst, oder?“ Sylvie Westphal hielt seinem Blick mühelos stand. Der spöttische Unterton in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
Roth ließ sein süffisantes Lächeln augenblicklich verschwinden. Doch nicht bereit, so schnell klein beizugeben, stellte er sich stur. „Das müssen Sie schon mir überlassen“, knirschte er. „Ich kenne meine Kompetenzen und Zuständigkeiten.“
Sylvie Westphal hob die Augenbrauen. „Wenn Sie das so sehen, Herr Staatsanwalt, sollten Sie sich auf eine Dienstaufsichtsbeschwerde gefasst machen. Verweigerung ärztlicher Hilfeleistung ist kein Kavaliersdelikt.“ Sie drehte sich um, schüttelte den Kopf und schritt auf die Tür zu. „Ich werde das Ihrem Vorgesetzten melden.“ Bevor sie die Tür öffnete, wandte sie noch einmal den Kopf. Roth stand da, etwas in sich zusammengesunken. Er wirkte alles andere als zufrieden. „Für den Fall übrigens“, sagte Sylvie Westphal von der Tür her, „dass Remy Straub zwischenzeitlich aufgrund mangelnder ärztlicher Hilfe Schaden erleidet, zeige ich Sie an.“
„Es gibt doch eine Anstaltsärztin“, entgegnete Roth. Es klang wie ein letztes Aufbäumen.
Sylvie Westphal nickte. „Ich bestreite auch gar nicht die Kompetenz dieser Ärztin. Aber ich bin nun mal als langjährige Hausärztin von Frau Straub mit der Krankengeschichte meiner Patientin vertraut. Und da gibt es das eine oder andere, was Ihre Anstaltsärztin nicht weiß, aber dringend wissen müsste.“ Sie zuckte die Schultern. „Aber Sie kennen ja Ihre Kompetenzen und wissen es besser. Wie gesagt ... Sie hören von mir.“ Ihre Hand lag schon auf der Türklinke.
„Warten Sie“, hielt Roths matte Stimme sie zurück. „Wann, sagten Sie, wollten Sie zu Frau Straub?“
„Umgehend“, sagte Sylvie Westphal. „Ich sagte umgehend. Und selbstverständlich auch unbegrenzt und auf Dauer“, setzte sie unerbittlich nach.