Читать книгу Lilli - Erwin Sittig - Страница 12
ОглавлениеJosef 2016
Mit seiner Kaffeekanne in der Hand näherte sich Josef wieder seinem Frühstückstisch. Auf halbem Weg hatte er schon registriert, dass ein zweites Auto vorgefahren war. Die Befürchtungen seiner Vorahnung kamen ihm nun lächerlich vor, in negativem Sinn. Wenn ihn nicht alles täuschte, zog hier eine neue Familie ein. Ein Schock.
Da erschien ihm Marthas Präsenz der vergangenen Jahre wie ein Glücksfall. Hatte er jetzt doch das Paradies gegen die Hölle getauscht? Wie lange hatte er wohl schon regungslos mit seiner Kaffeetasse da gestanden und das ganze Spektakel fassungslos beobachtet? Er riss sich zusammen und nahm die letzten Schritte zum Frühstückstisch auffallend schnell. Er hasste Aufregungen. War sein beschauliches Leben jetzt endgültig vorbei? Zuerst stieg eine kleine, zierliche Frau mit schwarzen, leicht gewellten Haaren und einem unbeschwerten Lächeln im Gesicht, aus dem Wagen, einem silbernen Toyota Yaris. Sie nickte ihm kurz zu.
Josef schaute starr vor sich hin und reagierte nicht. Martha stürmte überschwänglich auf die Besucherin zu und umarmte sie. Und schon ging es los, das Geschnatter. Es war zwar leise, doch laut genug, um ihn zu stören. Die Katastrophe stand jedoch noch bevor. Die Beifahrertür öffnete sich und heraus trat ein kleines Mädchen im schulpflichtigen Alter. Sie war etwas pummelig und hatte ein hübsches Sommerkleidchen an. Ihre rotblonden Haare waren hinten zu zwei Zöpfen gebunden, was ihr ein neckisches Aussehen gab. Auch sie hatte diese zwanghafte Freundlichkeit ihrer Mutter im Gesicht und winkte ihm ausgelassen zu, begleitet von einem frischen „Hallo“.
Josef behielt seinen starren Blick bei und reagierte nicht darauf. Für ihn stand nur eines fest. Dieser kleine, freche Satansbraten verhieß eine gehörige Portion Ärger.
Er hatte schon lange mit den Menschen, egal welchen Alters, abgeschlossen. Sie taugten alle nichts. Menschen waren das Unglück dieser Welt. Man kann ihnen begegnen, wie man will, es endete immer in einem Desaster.
Seit Gabi verschwunden war, traf er niemanden mehr, der in ihm etwas Positives ausgelöst hätte. Hinzu kam, dass keiner seiner Bekannten und Verwandten noch am Leben war. Nur er blieb übrig.
Martha war mit den beiden ins Haus gegangen. Er räumte gemächlich den Tisch ab.
Josef hatte seine alte Gewohnheit beibehalten, sofort nach der Mahlzeit, das Geschirr abzuwaschen und wegzuräumen. Dies nahm er in aller Ruhe in Angriff, obwohl sich immer wieder die neuen Störenfriede ins Gedächtnis drängten. Allein das Wissen um ihre Anwesenheit würde ihm den Schlaf rauben. Er durfte gar nicht daran denken, wie nervig es werden würde, wenn die kleine Göre unkontrolliert draußen herumspränge und ihn mit Kinderlärm zuschüttete.
Durchs Fenster sah er, dass beide Autos am Weg parkten. Die drei beschäftigten sich offenbar im Haus. Da war es sicher möglich, sich etwas im Garten zu beschäftigen. Hier fühlte er sich wohl und widmete seine ganze Liebe ungestört den Pflanzen und Tieren. Es war ihm ein Bedürfnis, mit ihnen ausführlich zu reden, was vielleicht auch seinem selbst gewählten Einsiedlerdasein geschuldet war.
Er bückte sich, um etwas vom überflüssigen Unkraut zu entfernen, als er eine zarte Stimme an sein Ohr drang.
„Hallo, ich bin Lilli. Wie heißt du?“
„Das geht dich gar nichts an, du vorlaute Göre. Verschwinde von meiner Hecke!“
Er hatte kurz aufgeschaut, sie mit wutverzerrtem Gesicht angesehen, und ungehemmt losgebrüllt.
Lillis strahlende Miene erstarrte im selben Moment. Vor Enttäuschung und Schreck erschlafften all ihre Gesichtszüge. Wort- und reglos hielten beide einige Sekunden ihren Blicken stand.
Dann setzte Lilli ein erbostes Gesicht auf, drehte sich abrupt um und stiefelte zackig, wie ein Soldat auf der Parade, davon. Josef hatte sich selbst über seinen Ausbruch erschrocken. Schuldbewusst und bedauernd sah er dem Mädchen einen Moment nach und widmete sich gleich wieder seinem Unkraut.
Schnell gewann er seine Fassung zurück. Vielleicht war es gut so. Unkraut muss man ausreißen, solange es noch nicht aufgeblüht ist.
Sabine hatte die Szene beobachtet, als sie kurz vors Haus getreten war. Eilig zog sie sich wieder zurück, damit ihre Tochter sie nicht bemerkt. Sie war sicher, dass Lilli ihr Problem selbst lösen wird.