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ОглавлениеMelanie und Teddy 1964
Melanie hatte sich so auf diesen Urlaub gefreut. Als Alleinstehende einen Ferienplatz an der Ostsee zu bekommen, grenzte an ein Wunder. Sie war etwas ausgelaugt, da sie sowohl privat, als auch im Beruf einige Schwierigkeiten hatte. Hier ließ sie sich durch den frischen Wind die Sorgen aus dem Kopf blasen. Sie war jetzt 30 und immer noch nicht verheiratet, was für die Verhältnisse in der DDR auf ein spätes Mädchen hindeutete. Sie hatte relativ kurze, strohblonde Haare und ein volles Gesicht. Auch die Figur war etwas rundlich, aber vom Begriff „dick“ weit entfernt. Sie liebte es, lockere, weite Kleider zu tragen, die Taschen hatten, damit sie die Hände darin vergraben konnte. Der Wind war heute so kalt, dass niemand in Badebekleidung am Strand lag. Einige Spaziergänger schlichen suchend an der Wasserkante entlang, um einen schönen Stein, Donnerkeil oder Hühnergott zu erhaschen.
Nur ein einzelner Mann saß allein am Strand, ca. 5m vom Wasser entfernt, starrte aufs Meer hinaus und regte sich nicht. In den 20 Minuten, die Melani benötigt hatte, bis sie auf seiner Höhe war, gab es keine Veränderung. Allein, weil seine halblangen, dunklen Haare im Wind flatterten, unterschied er sich von einer Statue. Auf den letzten Metern, als seine Gesichtszüge zu erkennen waren, wurde sie langsamer, um ihn zu beobachten. Es lag eine Traurigkeit in seinem Blick, die sie tief berührte. Selbst als Melanie in sein Blickfeld geriet, passierte nichts. Kein neugieriger Schwenk des Kopfes, kein Anzeichen, dass er sie registriert hätte.
Der Mann nahm sie sofort gefangen. Sie konnte einfach nicht an ihm vorbei gehen. Da sie nicht die Mutigste war, traute sie sich nicht, ihn anzusprechen. Also stellte sie sich kurzerhand genau vor ihn, so dass sie ihm die Sicht versperrte, starrte aufs Meer hinaus und wartete. Sie hatte ungefähr 5 oder 10 Minuten so gestanden und überlegte schon aufzugeben, als sie seine warme dunkle Stimme hörte.
„Sind die anderen Plätze alle besetzt?“
Von ihm würde sie gern Reiseberichte kommentieren lassen, dachte sie bei sich, bevor sie sich ihm zuwandte.
„Nein, dahinten ist noch einer, aber ich dachte, das wäre der schönste Platz, da der einzige Besucher unter all den Plätzen ausgerechnet diesen gewählt hat.“
Sie setzte sich neben ihn, ohne um Erlaubnis zu fragen.
„Was ist da draußen so faszinierend?“
„Das Meer.“
„Nicht das Wasser, oder die Wolken?“
Er sah sie erstmalig an.
„Nein, das Meer.“ Er verzog keine Miene dabei. Dann schaute er sofort wieder aufs Meer.
„Können sie mir sagen, wann der Platz wieder frei wird? Ich würde gern mal drauf sitzen.“
Endlich entdeckte sie an ihm eine kleine Gefühlsregungein Mona Lisa-Lächeln.
„Da Sie wissen, wo die besten Plätze sind, können Sie mir auch gern den besten Platz in einem Café des Ortes zeigen. Ich würde Sie auch einladen“, fuhr sie fort.
Er stand einfach auf und ging schweigend. Da er sich in Richtung Stranddurchgang zum Ort in Bewegung setzte, folgte sie ihm. Die Unterhaltung führte sie allein. Streckenweise kam sie sich blöd vor. Dieser Mann war aber für sie bestimmt. Da kam Aufgeben nicht in Frage. Er steuerte tatsächlich auf ein Café zu, wählte einen Tisch aus, zog den Stuhl zurück, damit sie sich setzen konnte und schob ihn wieder heran, während sie Platz nahm.
„Oh, ein Kavalier“, lobte sie.
Er rief den Ober und setzte sich ebenfalls.
„Was möchten Sie“, fragte er und sah sie an.
„Ich möchte Sie gern kennenlernen.“
„Ich meine, was darf ich bestellen? Das mit dem Kennenlernen ist da schon schwieriger. Ich kenne mich ja selbst nicht.“
„Wie heißen Sie?“, fragte Melanie.
„Denken Sie sich was aus. Mir ist alles Recht.“
Nach kurzem Überlegen sagte sie: „Ich werde sie Teddy nennen. Ich wollte erst Bärchen sagen, aber das trifft es nicht. Sie sind nicht sonderlich bewegungssüchtig und auch nicht aggressiv. Sie wirken eher wie ein verlassener Teddy, mit dem keiner mehr Kuscheln will. Also Teddy.“
Bei dem Teddy ist es geblieben. Als sie später seinen richtigen Namen erfuhr, hielt sie trotzdem an dem Kosenamen fest.
Sie würde ihn noch in diesem Jahr heiraten. Das war für sie beschlossene Sache.