Читать книгу Lilli - Erwin Sittig - Страница 15

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Lilli 2016

Sabine hatte auf diesen Moment gewartet. Ihre Tochter schien zu einem Entschluss gekommen zu sein. Eigentlich hatte sie etwas früher damit gerechnet, doch Lillis Überlegungen waren offenbar besonders gründlich. Sabine hatte das Fenster angekippt, um den zu erwartenden Wortwechsel verfolgen zu können. Egal, wie es ausginge, sie war stolz, dass ihre Tochter schon als Kind besonnen handelte.

So energisch, wie Lilli abgezogen war, marschierte sie auch wieder zur Ligusterhecke. Dort angekommen, nahm sie erst mal eine entspannte Haltung ein.

„Ich verzeihe Dir“, flötete sie entschlossen über die Hecke, als sie Josef bei den Rosen entdeckt hatte, der dort die Läuse absammelte.

Josef traute seinen Ohren nicht. Erst froh darüber, sie schnell losgeworden zu sein, sah er nun seine Hoffnungen schwinden. Was sollte er tun? Er beschloss, das auszusitzen und nicht zu reagieren.

Aber es nagte das schlechte Gewissen an ihm, da er sie etwas zu barsch angefahren hatte.

Es schlängelte sich eine alte Geschichte durch seine Gehirnwindungen, ohne dass er es verhindern konnte. Er driftete ab.

Als junger Mann, vor seiner Bekanntschaft mit Gabi, war er durch den Ort gegangen, um etwas abzuholen. Ihm begegnete ein kleines Mädchen, das ihren Schäferhund ausführte. Weil er es kannte, sprach er mit ihm und da er Hunde gern hatte, versuchte er das ausgewachsene Tier am Kopf zu streicheln. Obwohl man den Hunden nachsagt, dass sie das Gefühl dafür haben, ob es jemand gut mit ihnen meint, fasste dieser die Annäherung der Hand als Angriff auf. Kurzentschlossen sprang er Josef an die Kehle und biss zu. Nur seiner Reaktionsschnelligkeit hatte er zu verdanken, dass der Biss lediglich im Rollkragen des Pullovers landete und ihn zerriss. Es war ihm klar, dass das Tier nur sich und das Mädchen verteidigt hat. Doch im Unterbewusstsein wurde der Grundstein dafür gelegt, dass Zuneigung oft mit Ablehnung und Aggression belohnt wird. Im höheren Alter wird ihm dies häufiger begegnen.

War er aber nicht selbst wie dieser Schäferhund, als er das Mädchen, das sich nur freundlich vorstellte, angebrüllt hatte? Die Frage war nur, wovor versuchte er sich zu schützen? Es wurmte ihn, dass er als Buhmann da stehen würde, wo es doch die ganze Welt war, die sich gegen ihn verschworen hatte.

Warum aber sollte er seine Ruhe, sein einsames, beschauliches Plätzchen opfern? Nur um freundlich zu scheinen, was man ja doch wieder gegen ihn auslegen würde?

Er sah zu ihr auf und achtete darauf, einen zornigen Blick beizubehalten.

„Du kleine Nervensäge verzeihst mir? Das ist doch der Gipfel. Du bist wie diese Läuse auf meiner Rose. Drängst dich da rein, wo du nichts zu suchen hast, bringst Unruhe und machst alles kaputt. Und jetzt verschwinde. Ich verzeihe dir nämlich nicht!“

Er hatte damit gerechnet, dass sie endlich erkannte, wie sinnlos es sei, mit ihm reden zu wollen, und freute sich schon sie wieder beleidigt wegrennen zu sehen und das hoffentlich für immer.

Doch die Kleine dachte gar nicht daran. Sie setze den Kopf schief und grinste vermittelnd.

„Ich heiße Lilli. Und du heißt Josef? Soll ich Opa, Opa Josef, oder nur Josef zu Dir sagen?“

Er bekam vor Staunen mal wieder den Mund nicht zu. Die Pause nutzte sie, um weiter zu reden.

„Übrigens sind Läuse auch nützlich. Wusstest du das?“

Selbstverständlich war ihm bekannt, dass sich die Ameisen ganze Stämme von Läusen hielten, um sie zu melken. Warum sollte er sich von einer so kleinen Klugscheißerin belehren lassen?

„Das hängt immer davon ab, von welcher Seite du es betrachtest.“ Er sprach schon nicht mehr ganz so scharf, wie vorher. In der kurzen Pause, die er einlegte, um etwas hinzuzufügen, fiel Lilli sofort ein.

„Wir sollten immer alles von der schönen Seite betrachten. Und Tiere zu töten ist nicht schön.“

„Da würdest Du lieber zuschauen, wie die Läuse Deine Rose töten? Ich nicht. Also werde ich das Ungeziefer vernichten, ob es dir gefällt, oder nicht!“ Triumphierend sah er sie an.

Lilli hatte wohlwollend registriert, dass er sie nicht mehr beschimpfte. Das gab ihr Mut, die Diskussion auszudehnen.

„Du solltest mal mit Mama reden. Die kann Dir da bestimmt helfen. Aber ich glaube, Du musst deine Pflanzen mit Brennnesselwasser gießen. Dann laufen deine Läuse weg. Aber ich sage dir gleich: Bei mir klappt das nicht.“

„Was klappt nicht?“

„Du hast doch gesagt, ich bin wie Deine Läuse. Ich lasse mich nicht vom Brennnesselwasser vertreiben. Da müsstest du mich schon töten. Aber das tust du doch nicht, oder?“

Wieder setzte sie ein Lächeln auf, das bisher fast jeden entwaffnet hatte.

Josef ärgerte sich über sich selbst, dass er sich auf eine so lange Diskussion mit dem Dreikäsehoch eingelassen hatte.

„Das wirst du schon noch rauskriegen. Und jetzt verschwinde, du gehst mir auf die Nerven.“

„Ok“, säuselte sie. „Dann lasse ich dich wieder arbeiten. Vergiss aber nicht, mit meiner Mutti zu reden, bevor du die armen Tiere ermordest.“

Die letzten Worte sprach sie, während sie davon marschierte.

„Wir sehen uns dann morgen.“

„Ich will dich hier nicht sehen! Auch morgen nicht!“, rief er ihr hinterher.

„Doch, ich weiß, dass du das willst. Bis morgen“, säuselte sie.

Sie hüpfte in ihrem flatternden Sommerkleid beschwingt heimwärts.

Josef sah ihr nach und ein Hauch von Lächeln bemächtigte sich seiner. Als ihm das bewusst wurde, schüttelte er ärgerlich den Kopf und widmete sich wieder, mit ernster Mine, seinen Rosen.

Seine Hand bewegte sich in Richtung der Blattläuse, um ihnen den Garaus zu machen, doch kurz davor hielt er inne. Ungefähr eine Minute kniete er vor dem Rosenstrauch, dachte nach und erhob sich dann, ohne sein Vorhaben auszuführen. Unverständliches Zeug brabbelnd begab er sich wieder ins Haus und fuhr seinen Rechner hoch. ‚Brennnessel gegen Blattläuse‘ tippte er ein. Der Bildschirm zeigte einige Ergebnisse an. Allerdings las er, dass die Brennnesseljauche die Läuse ebenfalls tötet. Doch diese Diskussion würde er, mit Sicherheit, nicht vom Zaun brechen. Jedoch könnte diese Methode seine Arbeit erleichtern.

Sabine sah ihre Tochter gut gelaunt aufs Haus zukommen. Sie zog sich vom Fenster zurück, damit Lilli sie nicht bemerkt. Zu schade, dass sie kaum ein Wort verstanden hatte. Lilli würde ihr nichts erzählen, da war sie sich sicher.

Lilli

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