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Gerechtigkeit, objektive und subjektive

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Wie verhält sich dies nun im Vergleich dazu zum Beispiel (e)? Hier ist die Regelung des Kindergeldgesetzes mangels eines Vergleichspaares bzw. eines Bezugspunkts zwar nicht relativ ungerecht, aber doch objektiv ungerecht. Die finanzielle Belastung nimmt mit jedem weiteren Kind ja nicht ab. Zwar können sich, um mal einen Ausdruck aus der Wirtschaft zu entlehnen, Synergieeffekte auch bei der Kindererziehung ergeben, wenn beispielsweise ein gekauftes Spielzeug von mehr als einem Kind genutzt wird (denken Sie an die vielen Kinderzimmer, in denen Schleich-Tiere im Materialwert von mehreren Hundert Euro herumstehen). Aber erstens geht diese Rechnung nicht immer auf (sie scheitert spätestens an der kindlichen Unvernunft oder auch an der elterlichen Toleranzgrenze), und zweitens wären derartige Spareffekte eher marginal. Es ist daher völlig verständlich, dass das Ehepaar Koch von der Familienkasse 200 Euro bekommen möchte. Im Ergebnis würde das Ehepaar mit diesem Anliegen allerdings vor einem Gericht nicht durchdringen, weil das Gesetz nun einmal nur die Zahlung von 150 Euro vorsieht.

Gegen objektiv ungerechte bzw. schlicht unsinnige Gesetze, Verordnungen oder Satzungen, die lediglich eine sachliche Regelung vorsehen und keinen Interessenkonflikt mit anderen Menschen zum Gegenstand haben, haben die Bürger in der Regel keine Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen. Das mag im Einzelfall sehr unbillig (d. h. ungerecht) sein, es ist aber in einem Rechtsstaat nicht zu ändern. Deshalb ist es auch so wichtig, dass möglichst jeder wahlberechtige Bürger auch zur Wahl geht. Der Bürger hat nämlich in einer Demokratie lediglich die Möglichkeit, über Wahlen Einfluss auf den Staat und seine Ausgestaltung zu nehmen und Volksvertreter zu wählen, die nach seinem Dafürhalten vernünftige Entscheidungen treffen. Tritt dies nicht ein, weil die Volksvertreter, d. h. die Abgeordneten, ihre Versprechungen nicht halten, weil sie intellektuell nicht in der Lage sind, vernünftige Entscheidungen zu treffen oder weil die zu regelnde Materie so komplex und unvorhersehbar ist, dass zwangsläufig auch Fehler und Fehleinschätzungen passieren können, so muss der Bürger dies zunächst ertragen und kann erst bei der nächsten Wahl wieder korrigierend eingreifen. Wenn also daher das deutsche Parlament das Kindergeldgesetz des Beispiels (e) beschließen würde, so wären die Familienkassen im Grundsatz daran gebunden.

Objektiv ungerechte Gesetze können allenfalls mit dem Argument der Verfassungswidrigkeit außer Kraft gesetzt werden, aber die Hürden hierfür sind hoch. Ein (zumindest in Justizkreisen berühmtes) Beispiel aus jüngerer Zeit, in dem dies geglückt ist, sind die Klagen von Richtern und Staatsanwälten aus Sachsen-Anhalt, gewissermaßen in eigener Sache. Gegenstand eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht war die Frage, ob die Besoldung der Richter und Staatsanwälte nach der sogenannten Besoldungsgruppe R 1 in Sachsen-Anhalt in den Jahren 2008 bis 2010 mit dem Grundgesetz vereinbar war. In der Tabelle zur Besoldungsgruppe R 1 ist unter anderem die monatliche Bezahlung für Richter und Staatsanwälte geregelt, die vom Staat für ihre Tätigkeit vergütet werden. Hierzu muss man wissen, dass die Bundesländer für die Bezahlung der Richter und Staatsanwälte zuständig sind. Es handelte sich bei der Vergütung daher um eine generelle Regelung, die ohne Unterschiede auf alle Richter und Staatsanwälte in Sachsen-Anhalt Anwendung fand. Insoweit war das Besoldungsgesetz also objektiv (d. h. mit Bezug zu allen Kolleginnen und Kollegen) gerecht ausgestaltet. Es war zudem eine Regelung, die keinen Interessenkonflikt lösen wollte, sondern einen bestimmten Regelungsbereich (nämlich die Vergütung für Richter und Staatsanwälte) sachlich erfasste.

Die Vergütung in Sachsen-Anhalt lag allerdings unter der Vergütung, die beispielsweise in Hessen gezahlt wurde, und sie lag ferner unter der Vergütung, die bestimmten Landesbeamten in Sachsen-Anhalt zustand, die einen mutmaßlich geringeren Aufgabenbereich als die klagenden Richter und Staatsanwälte hatten. Am 5. Mai 2015 hat dann das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die betroffenen Berufsgruppen zwischen 2008 und 2010 auf verfassungswidrige Weise zu niedrig alimentiert worden seien. Die entsprechenden Gehaltssätze des Landes seien daher mit dem Grundgesetz unvereinbar und das Land Sachsen-Anhalt müsse spätestens zum 1. Januar 2016 neue Regelungen schaffen. Wer jetzt einwendet, Richter seien generell zu hoch bezahlt, dem sei entgegnet, dass eine angemessene Bezahlung dieses wichtigen Amtes notwendig ist, um die richterliche Unabhängigkeit zu sichern und die Richter nicht anfällig für Bestechungen zu machen. Ausnahmen bestätigen allerdings bekanntlich die Regel.

Zurück: Im Beispiel (e) müsste das Ehepaar Koch konkret darlegen, dass die geringere Zahlung des Kindergeldes für das zweite Kind im Verhältnis zur Zahlung für das erste Kind verfassungswidrig (weil zu niedrig) sei. Gelingt dies, so würde das Bundesverfassungsgericht das Kindergeldgesetz insoweit für verfassungswidrig erklären. Gelingt dies nicht, verbleibt es bei der Gültigkeit der (wenn auch) objektiv ungerechten Norm.

Darf man in einem Rechtsstaat auch links fahren?

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