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Einleitung Warum dieses Buch? ­
Egal, wie leer Du Dich fühlst, einer ist immer Lehrer!

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Sie, lieber Leser, mögen mir diese lächerliche, aber trotzdem reizvolle Plattitüde im rhetorischen Stilmittel eines Homophons (= gleichklingende Wörter unterschiedlicher Bedeutung) gleich zu Beginn dieses Buches verzeihen, aber sie erinnert mich unweigerlich an meine eigene Schul- und Universitätsausbildung. Lehrer, von Altbundeskanzler Gerhard Schröder dereinst als „faule Säcke“ tituliert, insbesondere aber Hochschullehrer gelten ja zuweilen in der Tat, wenn nicht gar manchmal zu Recht als spießige, bornierte, humorlose, weltfremde oder besserwisserische Zeitgenossen, die ihre fachlichen Steckenpferde reiten und sonst nicht viel vom Leben verstehen. Wenn all diese Attribute zusammentreffen und es sonst keinen ausgleichenden positiven Wesenszug gibt, kann es natürlich unangenehm werden, keine Frage. Dass der Autor dieser Zeilen – seines Zeichens selbst Hochschullehrer – zumindest ein Besserwisser ist, würden jedenfalls meine Frau und die von mir unterrichteten Studenten und Studentinnen, die man heute zwar politisch korrekt, aber gänzlich unnötig zu „Studierenden“ zusammenfasst, vermutlich mit großer Freude bejahen.

Ein Besserwisser aber würde etwa bereits am Titel dieses Buches auszusetzen haben, dass der dort genannte Rechtsstaat gar keine Staatsform im eigentlichen Sinne sei, sondern dass rechtsstaatliche Elemente lediglich und neben anderen Zügen ein wichtiges Charakteristikum der Staatsform Demokratie darstellten. So verstanden wäre der Rechtsstaat eher ein bloßer Teilaspekt, ein unerlässlicher Bestandteil, eine Voraussetzung oder Bedingung der Demokratie. In der Tat ist eine Demokratie ohne rechtsstaatliche Elemente kaum vorstellbar – jedenfalls nicht nach westeuropäischem Verständnis. Mit derlei – im Übrigen in der deutschen Staatsrechtslehre umstrittenen – Feinheiten will ich Sie, lieber Leser, jedoch an dieser Stelle nicht behelligen. Ansonsten wäre sicherlich zu Recht zu befürchten, dass Sie das Buch bereits am Anfang zur Seite legten, was nicht nur wegen des bereits gezahlten und selbstredend nicht erstattungsfähigen Kaufpreises schade wäre. Zudem gibt es bekanntlich keine zweite Chance für den ersten Eindruck.

Ich möchte vielmehr kurz darüber räsonieren, was mein Beweggrund für das Schreiben dieses Buches war – abgesehen von der Tatsache, dass ich aufgrund der Geburt unseres zweiten Kindes während einiger Nachtwachen Zeit und Muße und einfach Lust zum Schreiben hatte (ich hoffe inständig, meine Frau liest niemals diese Zeilen). Seit einigen Jahren unterrichte ich an einer Hochschule in Hamburg Studierende der Wirtschaftswissenschaften in meinem Fachgebiet, der Rechtswissenschaft. Ich lehre sie also, um im oben angesprochenen Bild zu bleiben, mein ganz persönliches Steckenpferd zu reiten – freilich mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Einige stürzen zunächst öfter vom Pferd als es gesund für sie ist, kommen dann aber wieder auf die Beine; manche laufen eher gemächlich Schritt, manche traben mutig voran und einige wenige schaffen es gar bis zum gestreckten Galopp. Wiederum andere – was Gott sei Dank nur die Ausnahme ist – reiten den sprichwörtlichen Gaul, bis dieser tot zusammenbricht. Alle Leistungsklassen sind also, ganz im Sinne der Gaußschen Normalverteilung, regelmäßig vertreten.

Ich führe die Studierenden in ebenso wichtige wie (manchmal leider nur für mich) spannende Themen wie das Europarecht, das Steuerrecht, das Gesellschafts- und Handelsrecht, das Kapitalmarktrecht oder das Insolvenzrecht ein. Vergnügungssteuerpflichtig sind Rechtsvorlesungen allerdings nicht von sich aus, da kann man sich als Dozent noch so sehr verausgaben. Dass mir angesichts des doch oft trockenen und schwer zugänglichen Stoffes nicht stets Begeisterung entgegenschlägt, versteht sich dabei von selbst. Ich erwarte dies auch nicht, weil ich ja schließlich selbst mal Student war – auch wenn das Unterrichten dann ohne Frage manchmal mehr Spaß machte (nicht: „Spaß machen würde“ – Sie erinnern sich an den Grammatikunterricht: „Wenn-Sätze“ sind würdelos! – Ich gebe mich aber so oft es geht der breiten Masse geschlagen, um nicht allzu altertümlich daherzukommen).

Ich glaube sogar, dass ich mit Studierenden der Wirtschaftswissenschaften durchaus noch überdurchschnittlich gut bedient bin. Und doch bin ich immer wieder, je nach meiner Tagesform, erstaunt, entsetzt oder amüsiert, wie wenig sich selbst Studierende der Wirtschaftswissenschaft über die zentralen rechtlichen Grundfragen des menschlichen Sozialverbandes, der sich gemeinhin Gesellschaft nennt, bzw. des Staates, in dem sie leben, Gedanken machen oder sich dafür interessieren, geschweige denn damit auskennen. Jedes Semester stelle ich, wenn es um die rechtlichen Grundlagen geht und auch wenn es vielleicht nicht zum Pflichtkanon eines jeden BWL-Studiums gehört, den Studierenden in meinen Kursen die gleiche Frage: „Was sind Ihre sogenannten Grundrechte und wo sind diese Grundrechte geregelt?“

Die Antworten, die ich daraufhin erhalte, machen mich – für einen Juristen eher ungewöhnlich – in schöner Regelmäßigkeit zumindest sprachlos. Wenn es zu arg wird, weine ich mich deshalb auch nachts in den Schlaf. Man mag vielleicht den Amerikanern – was unter der derzeitigen Präsidentschaft sicherlich nicht besser geworden ist – jedenfalls in der Breite zuweilen fehlenden Tiefgang nachsagen, aber dass ein durchschnittlich gebildeter US-Bürger nicht im Schlaf die Bill of Rights (das sind die zehn ersten Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten von 1789) herunterbeten könnte oder nicht zumindest wüsste, was das ist und wann sie verabschiedet wurde, kommt doch vergleichsweise selten vor.

Allerdings gibt es an unseren Schulen auch keinen dem Pledge of Allegiance, also dem Treuegelöbnis gegenüber der Nation und der Flagge der Vereinigten Staaten, vergleichbaren Ritus – vielleicht auch Gott sei Dank; oder können Sie, lieber Leser, sich etwa Ihren verhassten, komplexbehafteten Mathelehrer von damals vorstellen, wie er feierlich und voller Inbrunst jeden Morgen vor Schulbeginn um 7.30 Uhr vor versammelter Mannschaft ein staatstragendes Gelöbnis ablegt, nur um anschließend sofort wieder in seinen langweiligen, monotonen Frontalunterricht zu verfallen? Wohl kaum. Ein wenig mehr Patriotismus jedoch, und das meine ich im besten Sinne des Wortes, stünde uns Deutschen diesbezüglich dennoch gut zu Gesicht. Nicht im Sinne von „Germany First“, sondern eine dankbare, demütige Grundhaltung gegenüber unserer großartigen Staatsform betreffend.

Darf man in einem Rechtsstaat auch links fahren?

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