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1. Ermächtigungsgrundlage (Satzungsbefugnis)
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Trotz der bereits in Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG verfassungsrechtlich ausdrücklich eingeräumten Rechtsetzungshoheit der Kommunen bedürfen kommunale Satzungen aus rechtsstaatlichen und demokratischen Gründen (auch) einer einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Der unmittelbar demokratisch legitimierte staatliche Gesetzgeber kann damit für die einzelnen inhaltlichen Themen einer Satzung den näheren Umfang und das Verfahren der Satzungsgebung bestimmen. Dabei darf er die verfassungsrechtlich gewährleistete Rechtsetzungshoheit der Kommunen nicht in unverhältnismäßiger Weise einschränken.
Die Rechtmäßigkeitsprüfung einer Satzung beginnt deshalb mit der Suche nach einer bzw. mehreren einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlage(n) für die verschiedenen Satzungsregelungen. Die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass einer Satzung kann sich aus speziellen Rechtsnormen der Gemeindeordnung bzw. aus Spezialgesetzen oder aus der allgemeinen Generalklausel des § 7 Abs. 1 S. 1 GO ergeben. Dies hängt vom Inhalt der Satzung ab.
Beispiel
Wird ein Bebauungsplan erlassen, so ist § 10 Abs. 1 BauGB für alle seine Bestimmungen die Ermächtigungsgrundlage. Im Falle einer Gebührensatzung ist § 2 Abs. 1 KAG NRW die entsprechende spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage. Die Haushaltssatzung ist auf der Grundlage des § 78 Abs. 1 GO zu erlassen.
Enthält eine Entwässerungssatzung in ihrem § 1 einen Anschlusszwang für Grundstücke an die öffentliche Abwasseranlage und in § 2 ein Verbot von Direkteinleitungen bestimmter (gefährlicher) Stoffe in die öffentliche Abwasseranlage, welches nach § 3 bei Verstoß mittels eines Bußgeldes sanktioniert werden kann, so ist für
• | § 1 der Satzung die Regelung des § 9 S. 1 GO, |
• | § 2 der Satzung die Regelung des § 7 Abs. 1 GO und |
• | § 3 der Satzung die Regelung des § 7 Abs. 2 S. 1 GO die maßgebliche Ermächtigungsgrundlage. |
Sofern in einer Satzungsregelung eine Bußgeldandrohung für schuldhafte Verstöße gegen satzungsrechtliche Gebote oder Verbote vorgesehen ist, bedarf es einer nach der Wesentlichkeitstheorie des Demokratieprinzips (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) erforderlichen gesonderten Ermächtigungsgrundlage. Die Wesentlichkeitstheorie verlangt, dass hoheitliche Eingriffe in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen einer hinreichend bestimmten Ermächtigungsgrundlage bedürfen. Die Verhängung eines Bußgeldes ist ein erheblicher Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen aus Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsfreiheit) und des Art. 2 Abs. 1 GG (Allgemeine Handlungsfreiheit). Es ist deshalb erforderlich, dass die Möglichkeit zur repressiven Ahndung schuldhafter Satzungsverstöße in einer speziellen Ermächtigungsgrundlage geregelt wird; die allgemeine Generalklausel des § 7 Abs. 1 S. 1 GO ist für einen solchen Eingriff zu unbestimmt. Eine hinreichend spezielle Ermächtigungsgrundlage für satzungsrechtliche Bußgeldregelungen findet sich in § 7 Abs. 2 S. 1 GO.
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Satzungen bestehen aus mehreren Regelungen, die Sie differenziert von § zu § eigenständig untersuchen sollten.
Besteht keine spezielle Ermächtigungsgrundlage, kommt die Generalklausel des § 7 Abs. 1 S. 1 GO in Betracht. Diese ist anwendbar für alle Angelegenheiten der Gemeinde, soweit Gesetze nichts anderes bestimmen.
Sofern allerdings eine Satzung in Grundrechte eingreift, ist auch hier nach dem Demokratieprinzip und den Schranken des Grundrechts der Gesetzesvorbehalt zu beachten. Die allgemeine Generalklausel des § 7 Abs. 1 S. 1 GO ist für Grundrechtseingriffe allein keine geeignete Ermächtigungsgrundlage,[10] da sie zu allgemein und hierfür zu unbestimmt formuliert ist. Für grundrechtsrelevante Eingriffe auf Grundlage von Satzungen bedarf es daher – auch außerhalb von Bußgeldandrohungen – einer gesonderten gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Vor dem Hintergrund der Wesentlichkeitstheorie sind deshalb für grundrechtsintensive Bereiche, wie bei der Anordnung eines Anschluss- und Benutzungszwanges (Eingriff in Art. 14 Abs. 1 S. 1, Art. 2 Abs. 1 und ggf. in Art. 12 Abs. 1 GG) oder bei der Erhebung von Steuern (Eingriff in Art. 2 Abs. 1 und ggf. in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) spezielle Ermächtigungsgrundlagen (§ 9 S. 1 GO für den Anschluss- und Benutzungszwang bzw. § 3 KAG NRW für die Erhebung von Steuern) erforderlich.
Beispiel[11]
Nach einer gemeindliche Friedhofssatzung dürfen nur Grabmale aufgestellt werden, die nachweislich „ohne ausbeuterische Kinderarbeit“ hergestellt worden sind. Hierin liegt ein Eingriff in die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübungsfreiheit der Steinmetze. Die den Kommunen eingeräumte allgemeine Satzungsbefugnis sowie die Befugnis, die Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen zu regeln, stellen allein keine ausreichenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen dar, um einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Steinmetze zu rechtfertigen. Deshalb hat der Landesgesetzgeber mit dem § 4a BestG NRW eine ausdrückliche parlamentsgesetzliche Ermächtigungsgrundlage hierfür vorgesehen.
Die Generalklausel des § 7 Abs. 1 S. 1 GO kann daher im Wesentlichen nur für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen herangezogen werden. In solchen Fällen schafft die Gemeinde eine öffentliche Einrichtung im Sinne des § 8 Abs. 1 GO und regelt ihre Benutzung mittels einer Satzung. Durch die Benutzungssatzung erfolgt gleichzeitig eine Widmung (Zweckbestimmung) der öffentlichen Einrichtung, in dem bestimmte Nutzungsformen erlaubt werden und andere Formen (unerwünschte Nutzungen, Störungen etc.) ausgeschlossen werden. Wenn nunmehr die Benutzungssatzung im Falle des Verstoßes gegen ein Benutzungsverbot eine Sanktion unterhalb der Bußgeldschwelle vorsieht (z.B. Ausschluss, Betretungsverbot etc.), so stellt sich die Frage, ob die Wesentlichkeitstheorie – wie für die Bußgeldanordnung (§ 7 Abs. 2 GO) – auch hierfür eine gesonderte gesetzliche Ermächtigungsgrundlage verlangt? Dies ist im Rahmen einer erforderlichen Gesamtbetrachtung zu verneinen, da der Ausschluss bzw. das Betretungsverbot nicht allein aufgrund der Satzung legitimiert wird, sondern sich bereits aus der gesetzlichen Vorschrift des § 8 Abs. 2 GO ergibt, wonach die Benutzung einer kommunalen Einrichtung von vornherein nur im Rahmen des geltenden Rechts zulässig ist. Die Ausschlussregelung bzw. das Betretungsverbot ist mithin kein selbstständiger Grundrechtseingriff, sondern gestaltet die bereits gesetzlich an Grenzen geknüpfte Berechtigung zur Benutzung – im Rahmen des geltenden Rechts – nur aus. Es handelt sich mithin um eine modifizierte Leistung, für die die Generalklausel als Ermächtigungsgrundlage ausreicht.
Beispiel
Die Benutzungssatzung für das Schwimmbad der Stadt Wasserburg besagt in § 3, dass Personen, die „mehrfach schwerwiegend die Ordnung gestört haben, für begrenzte Zeit oder auf Dauer von der Benutzung ausgeschlossen werden können“.
Ermächtigungsgrundlage für die Benutzungssatzung inklusive des § 3 ist die Generalklausel des § 7 Abs. 1 S. 1 GO. Der in der Benutzungssatzung ermöglichte Ausschluss von der Nutzung ist kein selbstständiger Grundrechtseingriff, so dass eine gesonderte gesetzliche Ermächtigungsgrundlage hierfür nicht erforderlich ist. Sofern die Benutzungsordnung hingegen eine Bußgeldanordnung für schuldhafte Zuwiderhandlungen enthalten würde, wäre hierfür § 7 Abs. 2 S. 1 GO als spezielle Ermächtigungsgrundlage heranzuziehen.
JURIQ-Klausurtipp
In Klausuren stehen verschiedene Regelungen einer Satzung zur Überprüfung an. Dabei kann es sachgerecht sein, die jeweilige Ermächtigungsgrundlage differenziert von Regelung zu Regelung getrennt zu bestimmen und zu prüfen. Die jeweiligen Ermächtigungsgrundlagen können unterschiedliche Voraussetzungen haben und sind daher differenziert zu bestimmen und zu prüfen.