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5. Mögliche Einwände und Widerstände

In diesem Text geht es viel um die Mutter- und die Vaterliebe und welche Konsequenzen es individuell wie kollektiv hat, wenn die elterliche Liebe für Kinder nicht ausreichend vorhanden ist. Dieses Thema erzeugt erfahrungsgemäß bei Menschen, die noch keinen Zugang zu Psychotherapie und Selbsterforschung gefunden haben, einiges an Widerstand. Vor allem Mütter fühlen sich schnell angegriffen und zeigen ein entsprechendes Abwehrverhalten: „Jetzt sollen die Mütter an allem schuld sein!“ „Und was ist mit den Vätern?!“ „Es gibt doch auch andere Gründe als Trauma dafür, dass es Kaiserschnitte gibt, Frauen nicht stillen können oder ihr Kind in eine Krippe geben.“ „Was ist mit den Genen?“

Auch junge Frauen, die noch Mütter werden möchten, mögen es nicht gerne hören, dass ihre nicht gelösten Traumata Einfluss auf ihr Muttersein nehmen können. Sie bauen lieber auf ihre „Resilienz“ und hoffen, dass sie auch ohne Traumatherapie eine glückliche Partnerschaft führen und eine „gute“ Mutter werden können. Dem Angebot, ihre Traumata aufzuarbeiten, bevor sie schwanger werden, stehen viele mit Skepsis gegenüber. Manche hoffen, dass es Forschungen gibt, die meinen Erkenntnissen widersprechen, dass Traumata im Eltern-Kind-Verhältnis unweigerlich weitergegeben werden.

Weiterer Widerstand gegen meinen Wissensstand wird von Vertretern des „gender mainstreaming“ kommen. Soll das jetzt heißen, dass lesbische oder schwule Paare keine guten Eltern für ihre Adoptiv-, Leihmütter- oder Samen-/ Eizellenspender-Kinder sein sollen? Gönne ich womöglich diesen Menschen ihr Lebensglück nicht?

Jeder Mensch soll aus meiner Sicht einen Kinderwunsch haben und sich damit auseinandersetzen können. Auch dieses Thema ist eine große Chance für persönliches Wachstum. Aber er möge sich bitte auch in die Situation eines Kindes hineinversetzen, das z.B. im Bauch einer Leihmutter keinen emotionalen Kontakt zu dieser aufnehmen kann. Solche Kinder werden in der Regel auch per Kaiserschnitt geboren. Was macht das mit ihnen, wenn sie gleich nach der Geburt ohne Stillen von ihrer Leihmutter getrennt und erst nach Tagen zu ihren vermeintlich „richtigen“ Eltern gegeben werden? An diesem Beispiel wird besonders deutlich, wie unwissend und unbedarft die meisten Menschen in Bezug auf die Grundlagen unserer psychischen Entwicklung, nämlich das prä-, peri- und postnatale Geschehen sind.7

Mir ist bewusst, dass dieser Text an vielen Stellen eine Zumutung für das derzeit vorherrschende Bewusstsein ist. Wer sich noch nie mit dem Thema psychisches Trauma befasst hat, ist irritiert und meint: „Dann müssten ja alle Menschen traumatisiert sein!“ Nein - Psychotrauma ist etwas sehr Spezifisches, kann klar definiert werden, auch wenn es dafür wie immer in der Psychologie unterschiedliche Richtungen gibt.8 Bitte auch mitbedenken: Selbst wenn 100% aller Menschen traumatisiert wären, hätten noch immer 100% von ihnen gesunde psychische Anteile in sich und könnten diese für die Heilung ihrer Traumata nutzen. Es ist dafür nie zu früh und nie zu spät.

Mir persönlich geht es nicht darum, über andere Menschen moralisch zu werten, sie als gut oder böse zu beurteilen oder als hoffnungslose Fälle hinzustellen. Jeder Mensch verarbeitet seine Traumata unterschiedlich und es gibt viele Randbedingungen, die dem einen kaum Chancen bieten, psychisch wieder ins Lot zu finden und die dem anderen helfen, selbst schwerste Traumata zu bewältigen.

Das Erklärungskonzept Psychotrauma verlagert die Ursachen für menschliche Probleme nicht in das Innere eines Menschen („defekte Gene“, „schlechter Charakter“, „mangelnde Intelligenz“, „bösartiger Mensch“ „gestörte Persönlichkeit“), sondern sieht diese klar im Außen angesiedelt in der Lieblosigkeit und der Gewalt, die Menschen angetan wird und ihren symbiotischen Verstrickungen mit ihren traumatisierten Eltern und Großeltern. Erst als Folge davon werden Menschen möglicherweise sogar zu Psycho- und Soziopathen. Doch auch solche Fehlentwicklungen sind heilbar, gesetzt den Fall, der entsprechende Mensch lässt sich darauf ein.

6 Stjernswärd S (2021) Getting to Know the Inner Self. Exploratory Study of Identity Oriented Psychotrauma Therapy—Experiences and Value From Multiple Perspectives. Front. Psychiatry 12:526399. doi: 10.3389/ fpsyt.2021.526399

7 Evertz, K., Janus, L. & Lindner, R. (Hg.) (2014). Lehrbuch der Pränatalen Psychologie.

Heidelberg. Mattes Verlag.

8 Seidler, G.H., Freyberger, H.J. & Maercker, A. (Hg.) (2011). Handbuch der Psychotraumatologie.

Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.

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