Читать книгу Ich will leben, lieben und geliebt werden - Franz Ruppert - Страница 19

Оглавление

14. Liebe und Angst

Innerhalb der menschlichen Psyche sind Liebe und Angst Gegenspieler („Antagonisten“). Wo Angst herrscht, ist für die Liebe kein psychischer Raum mehr da. Auch Angst ist wie die Liebe ein Urinstinkt. Angst signalisiert uns Gefahren und Bedrohung. Sie aktiviert unser Stresssystem und fördert die Fähigkeit und Bereitschaft, die vorhandenen Gefahren abzuwehren und Leben und Gesundheit zu schützen, sowohl das eigene wie die Gesundheit und das Leben anderer.

TODES- UND VERLASSENHEITSANGST

Besonders gefürchtet sind von uns Menschen Todes- und Verlassenheitsängste. Todesangst entsteht in Situationen, in denen unser Leben unmittelbar bedroht ist. Also z.B. bei schweren Unfällen oder einem direkten Angriffen auf uns. Die Verlassenheitsangst entsteht, wenn wir den Schutz wichtiger Personen oder einer Gruppe verlieren, ohne deren Hilfe wir über kurz oder lang sterben werden. Dies gilt insbesondere für Kinder, deren Mütter für längere Zeit abwesend sind.

MÜTTERLICHE SCHUTZINSTINKTE

Liebende Mütter, die ihre Kinder bedroht sehen, werden höchst alarmiert. Wenn ihre gesunden Mutterinstinkte aktiviert sind, tun sie alles dafür, ihr Kind zu schützen. Im Tierreich sind solche Reaktionen wunderbar zu beobachten, z.B. wenn eine Ente ihre Jungen vor einem Raubvogel schützt.

WUT UND AGGRESSION

Wo Angstgefühle vorhanden sind, entstehen in der Folge leicht Wut, Aggression und Kampfbereitschaft. Wenn die Bedrohungslage langfristig besteht, sich die Angst nicht beruhigen kann und kein Gefühl von Sicherheit eintritt, wird Angst zu einem beständigen, unterschwelligen Lebensbegleiter und möglicherweise zu einer Lebensgrundhaltung. In dieser Angst ist viel Lebensenergie gebunden, die ansonsten anderweitig genutzt werden könnte. Aus solchen Angstgefühlen heraus entwickeln sich zwanghaft-fixiertes Denken und wenig reflektiertes Handeln. Chronische Angst kann zur Saat der Gewalt werden.24 Gestresste Menschen attackieren schnell ihre Mitwelt. Es wird ihnen leicht alles zu viel und dann schlagen sie blind um sich.

INNERE AUFLÖSUNG

Wird die Angst so überwältigend, dass keine Vorsichtsmaßnahme, keine Flucht in den Aktionismus und kein offener Kampf mehr hilft und ein Entrinnen aus der Gefahrensituation unmöglich ist, beginnt ein Prozess der inneren Auflösung. Der Verstand vernebelt sich, die Gefühle werden unterdrückt und der Körper zu verlassen versucht. Das Gefühl für den eigenen Körper und damit für sich selbst geht immer mehr verloren. Sich selbst psychisch aufzulösen, erscheint wie die Lösung des Konflikts, in einer unerträglichen Situation festzustecken, aus der es kein Entrinnen gibt.

Damit geht auch die Auflösung unseres Ichs als dem Referenzpunkt unseres inneren Geschehens einher. Verbunden ist das zusätzlich mit einer Auflösungstendenz des gesamten Organismus. Darm und Blase entleeren sich, es kommt zu Schweißausbrüchen, die Muskulatur erschlafft und das Energieniveau sackt insgesamt ab. Das ist, was wir als Panik erleben.

ERSTARRUNG

Als Gegenbewegung zu dieser Auflösung findet als Trauma-Überlebensmechanismus eine Erstarrung statt. Die Muskulatur spannt sich extrem an und verhärtet sich, um dem Auflösungsprozess des Gesamtorganismus entgegenzuwirken. Auf der psychischen Ebene entwickeln wir ein rigides Ersatz-Ich, dem es von unserem Körper weitgehend abgespalten, scheinbar gut geht. Es bewegt sich vor allen in gedanklichen Sphären und bleibt mit seinen Ursachenanalysen an der Oberfläche, wenn körperliche Gefahrensignale ins Bewusstsein dringen. Das Wetter, ein schlechtes Essen, zu wenig Schlaf sind beliebte Deutungsmuster für körperliche Beschwerden, deren Ursachen in Wahrheit in abgespaltenen Todesängsten zu suchen wären.

Die Abspaltung von dem Anteil, der in Todesängsten gefangen ist, führt zu den Verleugnungs-, Vermeidungs-, Kontroll- und Kompensationsstrategien, die ich in meinem Buch „Seelische Spaltung und innere Heilung“ systematisch beschrieben habe.25 In die Angst zu gehen kann auch eine Trauma-Überlebensstrategie sein, um von unerträglichen Schmerzen wegzukommen.

ÜBERLEBENSINTELLIGENZ

Unter dem Druck der abgespaltenen traumatischen Todesängste, die im Lebensalltag leicht getriggert werden können, geraten Menschen schnell in Stress. Ihr Denken wird reduziert, eindimensional, engstirnig, rechthaberisch, unflexibel, realitätsabwehrend, zwanghaft und verkopft, weil die psychischen Erkenntniskapazitäten sich auf die Zellen der linken Großhirnhälfte reduzieren und nicht mehr ganzkörperlich ausgeschöpft werden können. Aufdiesem Niveau entwickelt sie eine spezifische Form von Intelligenz, sich mit Selbsttäuschungen, Betrügen und Lügen durch’s Leben zu schlagen.

UNTERWERFUNG

Ist der Verursacher der eigenen Todesängste eine enge Beziehungsperson, führt dies zu einer Unterwerfungshaltung dem Täter bzw. der Täterin gegenüber. Das Ich als innerer Referenzpunkt, der Liebe und Sicherheit geben könnte, ist hier nicht mehr vorhanden ist. Insbesondere im Mutter-Kind-Verhältnis unterwirft sich ein Kind seiner Mutter, die es ablehnt oder gar zu töten versucht hat. Es sucht weiterhin bei ihr nach Liebe, weil es instinktiv auf die Mutter ausgerichtet ist. Der Täterkontakt stellt eine chronische Retraumatisierungssituation her. Daraus entsteht unter anderem die Vielzahl psychosomatischer Erkrankungen.

KÄLTE UND GEFÜHLLOSIGKEIT

Die energetische Überflutung mit Stresshormonen in einer Situation der Todesangst ruft eine lebensbedrohliche Überhitzung des Gesamtorganismus hervor. Da diese Energien in einer Situation von Ohnmacht und Hilflosigkeit nicht verbraucht werden können, muss der Gesamtorganismus drastisch heruntergekühlt werden. Dies führt zu einer komplementären Gegendynamik des Erkaltens. Um der Überflutung durch ihre Todesängste zuvorzukommen, vermeiden die betroffenen Menschen soweit wie möglich alle emotionalen Aufregungen. Menschen, die abgespaltene Todesängste in sich tragen, können daher sehr kalt und abweisend werden. Sie sind für ihre Mitmenschen aus ihrem Selbstschutz heraus emotional wenig zugänglich.

REINSZENIERUNG

Eine weitere Folge der Abspaltung von Todes- und Verlassenheitsängsten besteht darin, unbewusst Situationen im eigenen Leben herbeizuführen, in denen es immer wieder um Leben und Tod geht. Dadurch werden oft auch andere Menschen in Gefahr gebracht. Z.B. macht eine Frau eine Abtreibung, weil sie selbst einen Abtreibungsversuch überlebt hat.

Auch Suizidversuche können in diesem Sinne Reinszenierungen der Ursituation sein, dass die eigene Mutter oder der eigene Vater einen töten wollte.

SICHERHEITSGEFÜHL LIEBE

Liebe ist grundsätzlich das wirksamste Gegengift bei Angst. Liebe kann Angst überwinden helfen und neutralisieren. Wenn Menschen sich geliebt fühlen, können sie auch mit ihren Ängsten besser und angemessener umgehen. Lieben und Geliebt werden vermittelt ein tiefes Gefühl von Geborgenheit, Sicherheit und Geschütztsein. Deswegen spricht die Bindungstheorie von „sicherer Bindung“, wenn sich das Kind von seiner Mutter in seinen Bedürfnissen wahr- und ernstgenommen erlebt.26

23 https://www.youtube.com/watch?v=ebPoSMULI5U abgerufen am 15.4.2021

24 Ruppert, F. (2012). Trauma, Angst und Liebe. München: Kösel Verlag.

25 Ruppert, f. (2007). Seelische Spaltung und innere Heilung. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.

Ich will leben, lieben und geliebt werden

Подняться наверх