Читать книгу Ich will leben, lieben und geliebt werden - Franz Ruppert - Страница 16
Оглавление11. Mutterliebe und Ich-Bildung
Wenn eine Mutter die Autonomiebedürfnisse ihres Kindes alters- und situationsgerecht unterstützt, fördert sie damit seine Ich-Bildung. Die Herausbildung eines eigenen Ichs ist notwendig,
▪ um sich von anderen Menschen sicher zu unterscheiden,
▪ selbstreflexiv zu werden und
▪ allmählich immer mehr Selbstverantwortung für das eigene Leben übernehmen zu können.
Werden die grundlegenden Lebensbedürfnisse eines Kindes durch seine Mutter und seinen Vater erfüllt, bleibt dieser Mensch im Zustand der Liebe und seinen eigenen symbiotischen wie Autonomie-Bedürfnissen gegenüber offen. Er lernt, sie auch zu differenzieren. Er weiß immer besser, wie er sich diese Bedürfnisse selbst befriedigen kann. Aus dem bedingungslosen Angenommensein von seiner Mutter und seinem Vater, d.h. das Kind muss nichts Besonderes sein oder leisten, wird die bedingungslose Selbstliebe. Diese Selbstliebe ist wiederum die Grundlage für die Liebe allen anderen Menschen gegenüber. Sie wird allmählich zu einer Lebensgrundhaltung.
SYMBIOTISCHE VERSTRICKUNG
Dieser Prozess der Ich-Bildung findet bei jedem Menschen über die Beziehung mit seiner Mutter statt. Eine Mutter kann die Ich-Bildung ihres Kindes nur fördern, wenn sie selbst über ein stabiles und gesundes Ich verfügt und sich gut von ihrem Kind abgegrenzt erlebt. Leidet eine Mutter an einem mangelhaft ausgeprägten Ich, so wirkt sie für ihr Kind wie ein Zerrspiegel, in dem sich das Kind selbst nicht erkennen kann. Seine Bedürfnisse und Gefühle verschwimmen mit denen seiner Mutter. Statt dass die kindliche Identitätsbildung voranschreitet und sich das eigene Ich und ein freier Wille allmählich deutlich ausbilden, bleibt das Kind im Stadium der Identifikation stecken: Ich bin meine Mutter. Ich will das, was meine Mama will. Ich muss für meine Mama da sein. Ich will ihr gefallen, damit sie mich liebt. Gleiches gilt dann auch in Bezug auf den Vater. Solche Kinder bleiben „symbiotisch verstrickt“ mit ihren Eltern und werden nie richtig erwachsen.
Symbiotisch verstrickt bedeutet generell: ein Anteil will und braucht von den Eltern Liebe und Halt, ein anderer Anteil will von den Eltern weg, weil in dieser Elternbeziehung die eigenen Autonomiebedürfnisse nicht gelebt werden können.
SCHEIDUNGSKINDER
Auch Väter können erheblich dazu beitragen, dass ein Kind Ich-Kompetenz und einen eigenen freien Willen entwickelt. Sie dürfen dabei jedoch nicht die Loyalität des Kindes gegen seine Mutter untergraben, sonst tragen sie zur Vertiefung der psychischen Spaltung im Kind bei. Die bedingungslose Liebe eines Kindes seiner Mutter gegenüber muss von Vätern anerkannt und berücksichtigt werden. Das Kind in Scheidungs- und Trennungskriegen zu benutzen, ist unverantwortlich.
Wenn sich seine Mutter und sein Vater nicht einig sind, sich häufig miteinander streiten und Unterschiedliches von ihm erwarten, gerät ein Kind in ein unlösbares psychisches Dilemma. Kinder wollen es nämlich beiden Eltern recht machen. Besonders Scheidungskinder sind oft in einer dauerhaften Zwickmühle. Die Mutter sagt so, der Vater so - was soll ich jetzt tun? So verbiegen sich diese Kinder innerlich, bis sie selbst nicht mehr wissen, wer sie sind und was sie wollen. Eine scheinbare Lösung besteht darin, sich z.B. offiziell auf die Seite seiner Mama zu stellen und heimlich mit einem anderen inneren Anteil dem Papa die Treue zu halten.
ICH-BILDUNG BLEIBT RUDIMENTÄR
Gelingt dem Kind der Aufbau einer gesunden Mutter- und Vaterbeziehung nicht, bleibt die Ausbildung seines Ichs unterentwickelt. Es fehlt ihm in seinem späteren Leben dann die Grundlage für die Selbstreflexionsfähigkeit. Als Erwachsener reagiert er dann in zwischenmenschlichen Konfliktsituationen meist wie ein kleines überfordertes Kind: hilflos, panisch, beleidigt, trotzig, rechthaberisch, wütend oder aggressiv.