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2.1.1 Halb- und Hochgebildet

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Man kann sicher sein, mit dem Wort "Bildung", und auch noch "Allgemeinbildung", verbindet kaum jemand mehr Gefühle überschäumender Lust und heißer Leidenschaft. Salon, Cocktail Party, Fête sind frei von ihr, wenn man Gustav Gründgens Lied "Party Party" Glauben schenken will. Endlich heute ein besserer, ein gebildeter Mensch zu werden, wenn er zwei Physikbücher oder etwas Weltliteratur gelesen hat, kann so nicht das Ziel sein. Nur wenn sozial abgestuft wird mit Begriffen wie "ungebildet" und "Halbbildung", kommt Tempo in das Thema. Der Halbgebildete soll sich ärgern, dass er nicht voll gebildet ist, meint der Gebildete, der auch meist nicht ganz sicher ist, ob er noch etwas mehr Sophokles nachlegen sollte, und der Halbgebildete darf sich hinwiederum freuen, wenn er vom Ungebildeten für voll genommenen wird. Erst einmal: Das Problem liegt woanders. Es gibt den Menschen, der tatsächlich weniger weiß. Das muss nicht auffallen und schadet auch niemand, kann aber schmeichelhaft für den "Hochgebildeten" sein. Stören tut er nur dann, wenn er fürwitzig sich andauernd meldet, um zu zeigen, dass er doch etwas weiß. Egal auf welchem Niveau, das Überschreiten der Grenzen nervt auch schon die alten Römer: "Wenn du geschwiegen hättest, wärst du ein Philosoph sprich Gebildeter geblieben". Zum anderen: Quantifizierende Begriffe wie "halb" und "hoch", die sich auf Geistiges beziehen sollen, lassen sich vielleicht nicht vermeiden, sind aber unglücklich. Auch die "Halbwelt" ist eine ganze Welt, manchmal auch gehaltvoller, ganz ohne Frage. Die "Halbbildung" ist ebenso eine ganze Bildung. Der Punkt liegt woanders. Sie ist eine Bildung mit Folgen, die man nicht haben will. Wer sich Gold nicht leisten will, kauft Talmi (Halbgold). Wenn er dann so tut, als sei es 999 Pro-Mille-Gold, ärgern sich die, die teuer für ihren echten Schmuck gezahlt haben.

Selbst wenn man dieses Abstraktum "Bildung" mit vielen anderen abstrakten Begriffen aufpoliert, die eine Steigerung der eigenen Individualität versprechen und eine Unterforderung der Großhirnrinde als Sünde wider den homo sapiens sapiens darstellen, wird man eine Verhaltensänderung selten erzielen. Im Gegenteil, längst beanspruchen einzelne Naturwissenschaftler, auch dieses Feld detaillierten Wissens gehöre ihnen. Wer nicht weiß, was Entropie bedeutet und wie sie unser Leben, auch das des Kosmos, durch Dekomposition ("Auflösung", vgl. "Komposthaufen") bedroht, nach demselben Prinzip wie alles, das sich zersetzt, weiß nicht, was wirklich zählt. Man will dieses Terrain besetzen, was viele für richtig halten, machen aber ausgiebig von der Philosophie Gebrauch, wenn es ihnen wirklich wichtig ist, die Dinge der Natur zu interpretieren. Die Welt der naturwissenschaftlichen Ereignisse wird dann interessant, wenn sie in der Sprache, die wir alle sprechen, formuliert werden kann. Sie selbst ist aber kein positivistisches Datum, das wären dann eher die kosmologischen Beobachtungen etwa und die Hypothesen, die sie zusammenfassen sollen und nicht können. Beide, Natur und Geist, müssen sich arrangieren, weil sie aufeinander angewiesen sind. Dies immer zu versuchen ist auch Bildung, wenn diese nicht statisch im Sinne eines Besitzstandes sich begnügen will. Das kanonische Denken wie etwa bei den Philologen wird ergänzt von der Dynamik einer Gegenwelt.

In jedem Käseladen gibt es Probierle, im Weingeschäft darf man verkosten. Die aromatische Suggestion von Begriffen hingegen ist begrenzt und "geistige Kost" ist in vielen Fällen nur ein Euphemismus. Wenn Elvira nicht bei Stimmung ist, sagt ihr Oskars Süßholzgeraspel herzlich wenig. Liebe, Wein und Käse zergehen auf der Zunge, sie kommen bei Elvira zuerst an die Reihe, nach ihnen dann kommt Restfreude auf, wenn Bildungsgüter schließlich genossen werden, die frei von Kreidestaub sind. Um genau zu sein, frei nach Brecht, kommt erst das Fressen, dann die Unmoral. Bildung ist das, wozu man dann noch Zeit und Lust hat. Freud hat das etwas anders, mit abgespeckten Lüsten, formuliert. Du musst auf sie verzichten, um an die Verfeinerungen heranzukommen. Die Unverbissenheit zu studieren besteht auch darin, diese antiklimatische (gegen die Steigerung, Klimax) Reihenfolge der Sublimation durch Triebverzicht nicht für gottgegeben zu halten.

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