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1.1.2 Plagiat und Fachtermini

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Die Handschlagmillionen kommen manchem fast schon wie nicht ganz saubere "Wegnahme" fremden Eigentums vor, legal schon, aber irgendwie nicht legitim, er denkt an die Oma mit ihren Steckrüben und die Einkommensschere, die immer größer wird. Die meisten Akademiker haben nichts damit zu tun. Sie sind eher pingelig, wenn man ihnen schon ein Wort, einen Begriff wegnimmt. Kompetenz ist etwas sehr eigenes, Originalität ganz bestimmt. Einem Autor einen schönen Begriff – "ratiomorpher Apparat" zum Beispiel – wegnehmen, könnte für ihn schmerzlicher sein als für einen anderen ein Millionenverlust auf dem Konto. Denn es ist ein Diebstahl an seiner Kompetenz, Originalität, Individualität. Es muss hier noch einmal darauf eingegangen werden. Übernehmen ist erlaubt, solange man weiss, was man da tut. Oder man muss sagen, "meine Ideenlehre ist ganz anders, ihr monistischer Ansatz gehört ganz mir."

Der Biologe Konrad Lorenz (gest. 1989) benutzt den Ausdruck "Ratiomorpher Apparat" als Wortschöpfung des Psychologen Egon Brunswik (gest. 1955), auf den er hinweist, um bestimmte Phänomene der Wahrnehmung in ihrer Analogie zu rationalen Vorgängen zu bezeichnen (ratio = Verstand und morph = in eben dieser Form). Er erwähnt ausdrücklich Brunswik. Später wird der Ausdruck benutzt, ohne den, der ihn prägte, zu nennen. Konrad Lorenz hat den Begriff "Fulguration" für spezielle, plötzliche Evolutionsmomente reserviert, da ihm "Emergenz" das falsche Bild zu liefern schien. Wer "Fulguration" (lat. fulgor = Blitz) verwendet, muss nicht, wie es scheint, unbedingt auf Lorenz hinweisen, da es eine Abstammung aus dem Mittelalter hat, häufig wird es aber getan, weil Lorenz den Begriff revitalisiert hat. Das kann man auch als Kompliment an den Autor sehen, wenn seine Begriffsschöpfung sich eingebürgert hat und gängige Münze geworden ist. Man muss prüfen. Ad hoc formulierte Wörter wie "Abwimmelaktionen" und "Abwimmler" für Krankenkassen, die nicht ganz korrekt alte und kranke Antragssteller zurückweisen, wird man, der Zeitung kann man es entnehmen, wohl nicht mit dem Namen des Autors nennen müssen. (BZ, Bernhard Walker, 17. Mai 2011 , Überflüssig und empörend). Aber Wortschöpfungen eines Humanwissenschaftlers, "bis sie Allgemeingut" geworden sind, werden schon aus Vorsicht länger als unbedingt notwendig, "urheberrechtlich" ausgezeichnet. "Ansich-Sein" (Hegel), "Dasein" (Heidegger) und andere wird man ohne weiteres benutzen können. "Haus des Seins" (Heidegger), "Epoché" (Husserl, Abschneiden von unwesentlichen Merkmalen) verwendet man wohl am besten mit Nennung ihres Autors. Bei "Delegationsmodus", (wenn die Kinder noch lange an der langen Leine von den Eltern geführt werden und das tun, was sie sagen, so bei dem Psychologen Helm Stierlin zu lesen) und bei einem schon lange in Gebrauch stehender Ausdruck wie "Archetyp" wird man schon allein, um den Sinn zu präzisieren, auf den Urheber hinweisen, muss es aber wohl nicht.

Die genannten Fachtermini sind Beispiele auch dafür, dass sie nicht individualisiert werden können als seien sie Eigennamen. Diese Freiheit gibt es nicht beim Sach- und Fachwort, was aber auch einen Teil seiner Sachlichkeit ausmacht. Nur in der gesprochenen Sprache, in Poesie und Prosa, können ohne weiteres ganze Geschichten, ganze Narrative mit einem einzigen Ausdruck verbunden werden, mit auf die Spitze getriebener Einmaligkeit.

Für die gesprochene Sprache gibt es durchaus eine Dimension, die die Einmaligkeit des Ausdrucks zu behaupten erlaubt, das sei hier angefügt. Denkbar ist, dass eine begnadete Sprecherin ein Wort wie "norddeutsche Zementfabrik" so ausgestaltet, dass man an den Südseestrand von Honolulu denkt. Was die Wörter, auch die Sätze sonst noch wissen, beschreibt die Sprachforschung mit dem Begriff "suprasegmental". "Du hier?" kann, je nach Intonation Erstaunen oder höchstes Erstaunen ausdrücken. Den Worten ist etwas drauf gepackt, ein Extra zum reinen Inhalt. Eine "Melodie", die den Ton macht, die etwas bedeutet. Es ist kein Plagiat, wenn man den eines anderen nachäfft, nachahmt, wenn man zur Erheiterung beitragen möchte. Wer einen ausdrucksstarken Sprecher wie Bruno Ganz nachahmt, um es ihm gleich zu tun, verfällt nicht einer Mode, auch nicht einer Manier, sondern bewegt sich Richtung Plagiat, für das es aber keinen Kontrollausschuss gibt. Es sei denn, man spricht von Geschmack.

Noch einmal zum Thema "Humanum" der Sprache. Selbst, wenn es inzwischen andere und ebenfalls prägnante Definitionen für den Menschen gibt, der Erfinder eines wichtigen Gedankens bleibt in Erinnerung und behält ein Urheberrecht. Die Sprüche der Bibel, "Herr, er will mich fressen" erkannte man früher sofort als Bibelzitat, trotzdem wurde durchaus die Fundstelle mitgeliefert (Altes Testament, Tobias 6, Vers 3), um den Nachdruck zu erhöhen, mal aber nicht. "Der Untergang des Abendlandes" (Eduard Spranger, Philosoph, Pädagoge). "Unschärferelation" (Werner Heisenberg, Physiker), "Prägung" (Konrad Lorenz, Biologe), "Die skeptische Generation" (Helmut Schelsky, Soziologe), "Flüchten oder Standhalten" (Horst E. Richter, Psychoanalytiker), "Die Risikogesellschaft"((Ulrich Beck, Soziologe), sind Ausdrücke, die von einem bekannten Urheber stammen und sehr viel, in der Art eines Schlagwortes, Gedankliches zusammenfassen. Man kann sie, anders als "Atom", "Idee", nicht benutzen, ohne auf den Urheber hinzuweisen oder an ihn explizit zu "denken", auch wenn man in leicht veränderter Form dessen Gedanken adoptieren und als eigene Schöpfung in den Text einbringen will. Es fällt in einer Untersuchung nicht immer auf, dass fremde Ausdrücke und Gedanken nicht ausgewiesen werden, weil die Korrektoren nicht die ganze Literatur kennen. Aber es sind da Computerprogramme, die sie aufdecken.

Der Lehrling lernt vom Gesellen und vom Meister, das ist in der antiken Rhetorik der Redner. Der Geselle lernt vom Meister durch Nachahmung und Wetteifern und vom Lehrling durch Kritik. Deswegen heißt es in vielen Fällen "Schüler/Schülerin von Professor/Professorin xy", womit pauschal und nebenbei Copyrights-Fragen relativiert werden. Man hat einiges von seinem Vorbild und gibt seine Schule zu erkennen. Wenn es denn sehr wichtig und dringend ist, schon mal mit einem Beuys-Hut.

Ein Akademiker kann nicht studieren, ohne lesen und schreiben zu können, aber einem Innenminister, der ohne die verbindlichen Paragraphen des Grundgesetzes regiert und sie nicht ständig unter den Armen herumtragen will (Hermann Höcherl, Bundesinnenminister 1961-1965, CSU), werden sie dann doch um die Ohren geschlagen. Das gibt es eben auch, Texte, die man nicht klauen muss, sondern die einem im Gegenteil aufgenötigt werden. Sie haben eine gewissen Nähe zu den Usancen, zur Moral, zur Maxime und zum Sprichwörtlichen und natürlich zum Strafgesetzbuch. Wenn Parteiprogramme abgekupfert werden, kann man nur hoffen, dass sie Niveau haben. Im übrigen wird die Gelegenheit nicht verpasst, ihre Originalität zu behaupten und sich über die Abschreiber zu ärgern. Da es um die Sache geht, um Probleme, die gelöst werden müssen, gibt es kein Copyright. Auch ein Satz wie "Üb' immer Treu und Redlichkeit" ist nicht plagiatfähig und kann nicht gestohlen werden von dem, der eine Definition für den ehrlichen Menschen sucht. Was Allgemeinbesitz der Sprachgemeinschaft ist, kann nicht plagiiert werden, es sei denn, man stößt auf Formulierungen, deren Urheber gewusst werden können. Unnötiges einfach "wegschneiden" gibt es beim Bacon'sche Rasiermesser oder als Begriff der Epoché bei Husserl. Wer allerdings seine Quellen, die man eindeutig zuordnen kann, nicht erwähnt, bringt das zum Ausdruck, was jedes Plagiat signalisiert: Ich bewege mich auf einem Niveau, das ich allein nicht erreichen würde.

Dieses Motiv ist in früheren Jahrhunderten den Autoren egal. Nicht die Renaissance noch die spätere Zeit verschwendeten einen Gedanken auf das Copyright, obwohl mit dem 16. Jahrhundert die Technik aufblühte, Texte zu vervielfältigen. Bis ins 19. Jahrhundert wurde einfach kopiert, in der Musik sagte man, diese Takte hat er von dem und dem, er hat hier Beethoven "zitiert", der Zitierte sollte sich doch freuen, so schön beachtet worden zu sein. Bestohlen zu werden als Auszeichnung könnte sogar schon mal zutreffen. Im 16. Jahrhundert war alles abgegolten, wenn man nur schrieb: Ich bin ein Zwerg auf den Schultern von Riesen. Da hat man alles verstanden und brauchte nichts zu verzeihen.

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