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2.1.5 Auch reduktiv ist produktiv, sogar kreativ

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Es wird nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Schon die gymnasiale Ausbildung unterrichtet nach der Stunde, die über Genetik und Zellbiologie geht, in der nächsten, wie der Mensch rational handeln, aber emotional zum eigentlichen Ziel kommen will. Die Fallgesetze muss ich nicht bewerten, Faust lohnt sich nur zu studieren, wenn ich ihn verstehe, bewerte und kritisiere, nicht um ökonomische Inhalte bei ihm zu entdecken, was die Literaturkritik auch schon abgeleistet hat. Die Nützlichkeit, die Fallgesetze zu kennen und zu respektieren, liegt auf der Hand. Und Faust? Er ist, so der Germanist Walter Rehm (gest. 1963), der ihn als einen europäischen Archetyp sieht, nicht unbedingt gleich als Vorbild, aber jeder von uns hat etwas von ihm: Rastloses Forschen und Suchen, das Faustische eben, vor und nach dem Abitur, für manchen philosophischen Kulturkritiker der Einstieg in den Untergang, der etwas weniger Tempo allgemein für bekömmlich hält. Erst recht aber, wenn wir auf Mephistos Täuschungen hören. Der Student bekommt, wie zu erwarten, nicht die beste Studienberatung bei ihm. Es beginnt schon ziemlich unheilvoll:

SCHÜLER

Ich bin allhier erst kurze Zeit

Und komme voll Ergebenheit

Kann euch [Mephisto, als Professor verkleidet] nicht eben ganz verstehen

MEPHISTOPHELES (tröstet ihn)

Das wird nächstens schon besser gehen,

Wenn ihr lernt alles reduzieren

Und gehörig klassifizieren.

(Goethe, Faust I, Vv. 1938 ff.)

Wer "alles reduziert", in der vollen Breite und Tiefe möglichen Wissens, der bekommt auch eine entsprechende Antwort auf die Frage nach sich selbst. Mephisto genügt sie für seine Seelenfängerei vollständig, die Reduktion des Menschen ist die beste Vorbereitung auf Mephisto und seine Hölle. Nicht die Formel, begrenzte materielle Bedürfnisse seien des Teufels, an die, schon von Aristoteles erkannt, bestimmte Formen des Wirtschaftens glauben, steht auf dem Prüfstand. Wer alles reduziert und klassifiziert, könnte selbst von kurzem Verstand sein, so die Unterstellung des Gottseibeiuns. Was die ökonomische Basis angeht, meint man mit und seit dem französischen Denker Jean-Jacques Rousseau allerdings, nicht mal sechs, eher drei Stunden Tätigkeit pro Tag seien nötig. Der Rest des Tages wäre dann auszufüllen mit nutzlosem Tun, einmal Tändeln genannt. Was dem gepflegten Römer als Otium (lat. Muße) zur Verfügung stand, könnte eines Tages für alle gelten. Obwohl man nicht übersehen sollte, dass Utopien auch schreckliche Seiten haben können, nicht nur die "Schreckutopien". Sie alle verpflichten auch den freiheitsbewussten Geist mit allem Nachdruck und neigen zu der unerbittlichen Norm, dass alle zur selben Zeit frühmorgens aufzustehen haben. So gesehen wäre Arbeitszeitverkürzung bei gleitenden Zeiten, Mephisto hin, Mephisto her, eine Reduktion ohne Ironie.

Eine Ironie macht immer zwei Aussagen. Damit, dass die Naturwissenschaftler darauf beharren, nur die wörtliche zu verstehen, haben wir, aber besonders doch sie selbst, bis heute zu tun. Sophistik steht nicht im Lehrplan eines Soziobiologen, es sei denn, er verpasst nicht die kreativen Vorlesungen des Studium generale.

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