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2.1.9 Halbbildung, Vorstufe zur Vollbildung?

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Wer Halbbildung diagnostiziert, meint "punktuelle, unverbundene, auswechselbare … Informiertheit" (so der Philosoph und Soziologe Theodor W. Adorno). Nüchtern betrachtet, ist da nicht einmal Halbbildung. Wenn zum Beispiel jemand weiss, dass Cäsar trotz monatelanger Gewaltmärsche und Riemenlatschen keine Plattfüße und keinen Fußpilz gehabt haben soll, aber ignoriert, was er in Gallien, dem späteren Frankreich, gemacht hat, dann sind das historische Details und keine Bildung. Man ärgert sich schon mal darüber, dass Bildung nicht leicht positiv bestimmbar ist ohne den Ausdruck "elitär" in den Mund zu nehmen. Sie dient aber nicht mehr eindeutig dazu, Schichtenzugehörigkeit zu signalisieren, was früher einmal den sozialen Umgang unter gleich Gesinnten erleichterte und steuerte. Der Gräzist Walter Jens (gest. 2013), rundum belesen und sozialpolitisch engagiert, suchte Anschluss an den Bildungsstand der Nation, deren Präokkupation der Bundesliga gilt, wie er diagnostiziert hatte und was ihn nicht schreckte. Das muss nicht ein Alibi für den Intellektuellen sein, der die Verbindung zu einer "Gegenwelt" nicht abreißen lassen will, denn Fußball macht ja wirklich Spaß und mindert die Liebe zu Homer und Sophokles keinesfalls. Ein Bild aus Punkten, pointillistisch gemalt, ist auch ein Bild, wenn die Distanz stimmt, aus der es genossen wird. Über "Ödipus Rex" im Urtext erreicht Jens auf eigene Gefahr nicht einmal die akademische Welt, die nur noch als sehr kleines elitär-frommes Grüppchen zuhört wie in der Morgenandacht in der leeren Kirche, in der der Pfarrer immer noch zu laut spricht. Der hohe Wert des Bildungsbegriffs erweist sich vielmehr, wenn an ihm geliebt wird, was am sympathischsten ist. Bildung eröffnet eine Welt und erschließt deren Weite, was, um einen Gegensatz zu bilden, das taedium vitae, den immer möglichen Überdruss am Leben, verhindern kann. Man kann das Leben auf vielfältige Weise feiern. Geht es dabei auch um Stil, darum, aus der Enge des Denkens und Fühlens und des Geschmacks heraus in eine nie geahnte Weite zu gehen, handelt es sich um Bildung. Was übergreifend bleibt, ist die Sehnsucht nach einer besseren Welt für alle, die nur der anzusteuern vermag, der beides in sich vereint, das Punktuelle und das umfassende Gesamtbild.

Die Ausbildung, die heute im Mittelpunkt steht, ist die praxisnahe Wissensvermittlung, die darauf abzielt, effizient einen bestimmten Beruf auszuüben. Man orientiert sich in Forschung und Lehre daran, "was man einmal brauchen kann." Der lateinische Spruch "Fürs Leben lernen wir, pro vita discimus", ist aber doppeldeutig. Die Kultivierung einer Selbstbildung kann schon damit gemeint sein, auch wenn lediglich eine Effizienz im Beruf im Vordergrund steht. Es gibt da Huckepack-Qualitäten, die viel bewirken können: Kritisches Denken, Selbstverantwortung und kommunikative Kompetenz, auch eine Fremdsprache. Bis auf die soziale Kommunikation – die Ameise trillert mit den Antennen einen Code – unterscheiden uns die Fähigkeiten von der Ameise, auch wenn anderes behauptet wird. In der letzten Eigenschaft scheinen die Blattschneideameisen sehr viel besser als wir zu sein. Sie erfüllen reibungslos und ohne burn-out Syndrome ihre Aufgaben. Wir hingegen kommen nicht ohne die Kulturtechniken aus, Kreativität zu besitzen, den anderen und uns wahrzunehmen und über uns und die anderen nachzudenken. Dazu gehört auch, mit Personen aus anderen Kulturkreisen, mit verschiedenen Lebenswelten zurechtkommen, in friedlicher oder sogar aufbauender Weise. (Toleranz aufgrund von social awareness). Der Erwerb von Fremdsprachen aus Gründen des Fachstudiums bringt den Nebeneffekt, sie auch im Alltäglichen einsetzen zu können, wenn es sich nicht gerade um Altpersisch handelt oder Sanskrit.

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