Читать книгу Allgemeinbildung in der Akademischen Welt - Gerd Breitenbürger - Страница 36

3.1.6 ANALYSE: Methodische Fehler bei Hausarbeiten

Оглавление

Ein Vinologe, das ist ein Wissenschaftler, der alles über Wein weiß wie der frühere Bundespräsident Theodor Heuss. Er hat alles über ihn gewusst, aber natürlich auch ihn gerne getrunken, weswegen er in diesem Fach eine Doktorarbeit geschrieben hat. Ein Vinologe also soll eine Auftragsarbeit über Wein und französischen Käse schreiben, weil da ja ein Bezug besteht. Eine erste Stoffsammlung führt dazu, dass die Stubenfliege zur Auflockerung des Themas als running gag für das cheering in Frage kommt. In der gehobenen Werbung ist es ein Maskottchen-ähnliches Begleitwesen, das trockene Sujets emotionalisiert und damit dem Kunden näher bringt. Ein unerhebliches Motiv kann zur Begleitmusik werden, das die Spannung aufrecht hält. In wissenschaftlichen Arbeiten nicht wünschenswert, in literarischen Texten oder in Werbetexten fast unvermeidbar. Es ist ein Element der Animation. Eine Strukturierung durch Leitmotive. Hier soll es darum gehen, dem Käse Beine zu machen, damit er den rechten Weg in die Abnehmerkanäle findet.

Wein und Käse sind affin, verwandte Gründe für Gaumenfreuden. Was ein Epitheton ornans in einer homerischen Passage ist, ein schmückendes Adjektiv, das immer auftaucht, wenn eine bestimmte handelnde Person erwähnt wird, "der schnellläufige Achilles", "der siegreiche Kommunismus", "die kurvenreiche Monroe", "meine über alles geliebte Frau", das ist natürlich der Rotwein mit Käse. Man sieht, dass es einleuchtende, motivierende Anlässe gibt, mit denen Assoziationen gestiftet werden. Zwei Geschmackseindrücke wie Wein und Käse zusammen zu erleben, hat sich verfestigt. Eben dieses Ziel muss Propaganda, Reklame, Marketing erreichen wollen. Terroristen = Attentat, Waschpulver Henkel = superweiss, killt den Gilb, Coca Cola-Flasche = Elviras Körperform. Marketing ist eine Wissenschaft, die nie aufgibt, Assoziationen einzurichten. Hier ist es die Stubenfliege und deren Bezug zum Käse, geadelt vom roten Wein aus dem Burgund. Der Arbeitstitel wird gewählt: "Die Frivolitäten einer frustrierten Stubenfliege unter besonderer Berücksichtigung von 300 Haupt-Sorten französischen Käses." Entscheidend die Antwort auf die thematisch wichtige Frage:

1a. Was ist unter den im Titel angesprochenen Begriffen zu verstehen? Unter "frustrierter Stubenfliege" zum Beispiel? Ergeben sich aus ihnen die Hauptlinien der Abhandlung? Grundsätzlich wichtig: Irreführung durch Doppeldeutigkeiten, Mehrdeutigkeiten vermeiden, Disambiguieren (Doppeldeutiges auflösen) absolut notwendig. Der Begriff "Käse" ist doppeldeutig. Einmal bezieht er sich auf ein Lebensmittel, dann auf etwas Abgelegtes. Ein unklarer Begriff wie "frivol" im Titel ist das Grab aller guten Vorsätze. Er bezieht sich auf schlüpfrige Dinge, die zweideutig formuliert werden wie auf Leichtfertigkeiten ohne ausgesprochenen Bezug auf Erotisches. Die Sprache soll einfach und klar in ihren Distinktionen sein.

1b. Besteht ein plausibler Zusammenhang zwischen Käse, besser noch 300 Käsesorten, und einer Stubenfliege?. Welche Folgen ergeben sich, wenn die Stubenfliege bestimmte Sorten bevorzugt? Für eine Mouche bleue käme nur Bleu in Frage usf. Solche Fliegen sind parteiisch, ideologisch geradezu belastet. Der Text soll aber wissenschatlich sein. Auch bei einem Fliegenthema haben Vorurteile, Stereotype, nichts verloren.

2. Wie gewichte ich? Stubenfliege 1/2 Seite, 60 Seiten Käse. Das heißt, worum geht es eigentlich? Welche Aspekte sind zentral und welche eher nebensächlich. Geht es in erster Linie um den Käse und seine Anzahl? Um den Käse als Kultur oder als Wirtschaftsfaktor. Die Bewertung sollte feststehen, bevor der Artikel geschrieben wird. Umbauen und Umgewichten ist nachträglich ungleich schwieriger. Je klarer die Hauptlinien der Gedankenführung, um so leichter die Durchführung.

3. Man kann von den Ergebnissen seiner Arbeit am Schluss selbst überrascht werden. Besser ist es aber, wenn man von Anfang an abschätzen kann, wohin die Reise geht. Gibt es einen gemeinsamen Sinnhorizont, in diesem Fall die segensreichen Wirkungen von Käse und Rotwein, wäre hier ein global steuernder Ansatz. Solche Fragen sind zu klären, bevor geschrieben wird. Aus der Intuition des Ganzen leiten sich die Einzelfragen leichter ab. Ausgearbeitete Einzelbeobachtungen modifizieren dann die Sicht des Ganzen und liefern stützende Argumente.

Wo eine Stubenfliege ihre Kreise fliegt, sitzt eine frustrierte Stubenfliege nur auf dem Käse. Sie hat Angst vorm Fliegen, weiß aber, dass nur Fliegen schöner ist. Eine frustrierte Stubenfliege ist immer schon auf dem Weg zur Neurose, aber noch nicht auf dem Weg zum behavioristischen Psychologen. Das sollte sie aber tun, denn frustrierte Fliegen ruhen nicht, bis sie alle 300 Käsesorten verkostet haben. Sie mutieren zum Brummer. Wo eine schlank trainierte Fliege Bauch- und Rückenflüge vorführt, Schraube und Looping und Stillstand in der Luft, zur Freude des begeisterten Beobachters sich in allen Facetten ihres Körpers darbietet, hockt die vom Käse gezeichnete Brummer-Stubenfliege da in ihrer verhinderten Frivolität als Sexbrumme. Muffig. Untergründig aggressiv, bisweilen aggressiv wie Kampfjets, wobei sie ihren Körper um 90 Grad zur Seite kippen (Das Manöver der Fruchtfliege, BZ 11. April 14). Nicht eine Beleidigung der Natur, aber auch nicht ihr Lobgesang.

Fazit und Zusammenfassung: Zwischen Angst vorm Fliegen und einer verhinderten Sexbrumme besteht ein, so dürfen wir als wissenschaftlich hier erwiesen ansehen, ein circulus vitiosus. Je mehr Angst, umso mehr Käse. Je mehr Käse, umso mehr Angst. Ein fehlerhafter Zirkel(schluss). Es ist sehr wichtig, solche verdeckten Schemata nicht zu übersehen. Dieser Zirkelschluss wird auch Teufelskreis genannt und verdient seinen Namen. Therapievorschlag: Reduzieren von Käse, Gewicht zurückführen bei gleichzeitigen vorsichtigen Flugmanövern unter Aufsicht. Später Übernahme der Flugfiguren der normalen Stubenfliege, bei Sicherheitsabstand der Flugbahn über der Käseglocke, als sei es die Konditorei, die Schlemmer sich verbieten. Die Maßnahmen, einen Zirkel zu durchbrechen, sind meist komplex wie das Hexeneinmaleins. Auch mancher Politiker wäre froh zu wissen, wie er die Spirale der Gewalt zurück drehen könnte. Je mehr Raketen, umso mehr Angst, je mehr Angst, umso mehr Aufrüstung. Das Schema ist gleich, die Handlungsstruktur ist leicht zu analysieren. An dieser Stelle wird deutlich, dass im Cross over Erkenntnisse aus anderen Fachgebieten herbei zu holen sind. Wenn das angeführte Gewaltargument zutrifft, dann trifft a fortiori (vom stärkeren Argument her, erst recht, um so mehr) das Käseargument zu. Ein Wein- und Käsespezialist weiß aber noch nicht, wie man Teufelskreise aufbricht. Man muss erkennen, dass man Hilfe von außen braucht. Hier ist es die Diathetik. Eine Abhandlung, die sich mit einem Problem beschäftigt, sollte eine Lösung anbieten oder, falls keine zur Hand ist, begründen, warum das Problem nicht oder zur Zeit nicht zu lösen ist.

Schließlich das Glück des Wissenschaftlers: Die Arbeit hat ein Ergebnis erbracht, 80 Seiten lang, das darin besteht, annehmbare Gedanken produziert zu haben. Am Ende sollte ein Ausblick stehen, Schlussfolgerungen und Anregungen für weiterführende Untersuchungen. Auch ein Therapievorschlag ist als praktische Anwendung dabei herausgesprungen. Aber: Wer auf die Zahl von 300 französischen Käsesorten explizit hinweist, der denkt sich doch was dabei. Ist die Arbeit von außen gesponsert, etwa, verborgen unter der Hand, von der französischen Käseexportindustrie? Die Expertise ist trotz allem total nutzlos, wenn sich herausstellt, dass Käse impotent macht. Wenn es Harzer Roller mit dieser Wirkung wäre, ja, Harzer Roller wär gut, aber französischer …. Der Auftraggeber hatte sich im Vorgespräch naiv gedacht, die Stubenfliege ist frustriert, weil sie an den herrlichen Käse aus Frankreich nicht herankommt und kompensatorisch französische Leichtfertigkeiten begeht. An diesem Punkt ergeben sich komplexe Aspekte. Psychologie vom Feinsten muss her, um abzuwägen. Fressen die Auftraggeber den Käse, wenn ihre Erwartungen, für die sie bezahlen wollten, enttäuscht werden. Wir behaupten doch, auf slim-line zurückgeschraubte Sexbrummen sind hier das Ziel. Sie sind begeisterte Abnehmer von französischem Käse, da immer ausgehungert, aber im Gleichgewicht eines Systems genannt Jo-Jo. Dann die Fragen: Können wir auf die nächste Spende verzichten von Seiten der französischen Käseindustrie, was sagt der Haushaltsentwurf dazu. – Oder müssen wir andeuten, diskret, dass wir darauf verzichten könnten, unter gewissen Umständen, den Artikel in dieser unvorteilhaften Form international zu publizieren mit einem Hinweis auf erwiesene Impotenz-Conséquences. Auch zum Leben eines Akademikers kann es gehören, umsichtig seine Interessen und die der anderen zu wahren. Es ist nicht alles Käse, und der Mensch lebt nicht vom Käse allein. Und schließlich ist es Geld, das nicht stinkt: moneta non olet. Fromage si, aber jeder mag ihn.

Ein typischer Fehler ist unterlaufen, den man auf keinen Fall begehen darf. Eingangs spricht man von einem Weinkenner und Wein. Da Käse naheliegt, fällt nicht weiter auf, dass man das Thema abgebogen hat, da es von Wein nicht handelt. Entweder man formuliert das Thema um oder integriert das Fehlende in sinnvoller Weise. Es gibt kaum Arbeiten, bei denen nicht geflickt werden muss.

Allgemeinbildung in der Akademischen Welt

Подняться наверх