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3.1.1 Rationalität ist ein Instrument

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Wo Rationalität aufhört, die kalkulierende, beginnen die Chancen der Bildung. Als Scharnier verbindet sie aber durchaus das, was notwendig ist mit dem, was auch durchaus spielerisch vorgenommen werden kann: Es ist die Bewertung, zu der jeder fähig sein muss.

Der Philosoph und Soziologe Jürgen Habermas hat in seiner Theorie des kommunikativen Handelns (Band 1, S. 28) "Rationalität" als einen Begriff gebraucht, der für das kommunikative Handeln positiv und unerlässlich ist. Die in zwangloser Situation argumentierende Rede kann Übereinstimmung herstellen. Das wäre ein Verlauf, weg von Emotion und Parteilichkeit, zu einer gezügelten Interessenlage, zur Rationalität. Für einen Psychologen aus Israel spitzt sich die Frage zu. Statt ewiger Konfrontation, müssten Israelis und Palästinenser sich zusammensetzen und eingestehen, dass sie sich gegenseitig Schmerzen zugefügt hätten. Das sei aber utopisch. Der utopische Charakter von Rationalität als Methode politischer Konfliktbewältigung spricht nicht gegen sie, er macht sie unmöglich. Es ist aber wichtig, sich bei den vielen Arten, Rationalität zu verpassen, sich auf die womöglich eine effiziente zu besinnen. Denken und Handeln mögen besondere Befriedigung bringen, wenn sie in egoistischer Form nicht rational sind. Das gilt aber nicht auf dem Terrain der Wissenschaft, wobei wir nicht immer wissen, welchen optimalen Wert wir erhoffen können. Auch auf anderen Gebieten begnügen wir uns mit einer Annäherung an positive Höchstwerte wie die Wahrheit oder die hochprozentige Energieausnutzung eines Quasi-Perpetuum mobile. Welche Rationalität da angebracht ist, leitet sich aus ihnen zwangsläufig ab.

Für die Volkswirtschaft, für den eigentlichen Forschungsablauf, beinhaltet der Begriff "Rationalität" die Qualität einer grundlegenden Methode, mit Knappheit effizient umzugehen. Man müsste dann nachweisen können, dass auch das überreiche Warenangebot des kapitalistischen Marktes, das es ja in vielen Fällen gibt, etwas mit Knappheit zu tun hat, wenn Knappheit als relative Einschätzung, die sie ja ist, gedacht werden kann. Scheinbare Fülle als Ansprechen und Ausschöpfen aller Geschmacks- und Bedarfsfälle zum Beispiel beim Zigarettenangebot sorgt dann auch für Knappheit, Knappheit erzeugt durch differenzierte Angebote. Hier gibt es wohl eine Überschneidung von rational und nicht mehr rational, ein Fall für die moderne Volkswirtschaftslehre.

Rationalität scheint auch da eigentlich nur eine Möglichkeit zu sein und nur im seltenen Ereignisfall "wirklich", es sei denn, es wird gerechnet, wie der Kaufmann nur rechnen kann, auf den Bruchteil eines Cent. Deswegen ist der durch und durch "ökonomische Mensch" ein Modell, eine konstruierte Metapher und erst für die Frankfurter Soziologie, die ihn aus Erbitterung aus seinem metaphorisch-bildlichen Wortgebrauch zurückholt hat in die eigentliche Bedeutung eines realen Wesens, wird es zu einem "Schreckgespenst wie du und ich". In jedem Ehestreit, der zur Friedfertigkeit zurückfindet, zeigt sich Rationalität als ein dynamischer Prozess, der Habermas am Herzen liegt. Sie ist ein Instrument, das nicht über Werte entscheidet, aber einen praktischen Wert besitzt. Wenn es heißt,

Die Bedürfnisnatur ist gleichsam der Hintergrund einer Parteilichkeit, die unsere subjektiven Einstellungen gegenüber der Außenwelt bestimmt.

(Jürgen Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns, Band 1, S. 138).

dann wird erkennbar, dass Rationalität es schwer haben wird, sich gegen die eigene Bedürfnisstruktur und schließlich gegen die ausformulierte Parteilichkeit mit Verstandesargumenten durchzusetzen. Aber gerade um dies zu leisten, sind beide, Sache und Begriff, erfunden worden, die für Habermas utopisch sind. Wer kann schon sagen, dass sein zweckgerichtetes Handeln einer rationalen Überlegung und dann auch noch einer rationalen Durchführung zu verdanken ist, die er rational vor anderen zu vertreten in der Lage ist. Weg von der Empirie und immer wieder eingestimmt auf sie zu, das ist schon anspruchsvolle Wissenschaft.

Für den Friedensforscher lässt sich dieser Begriff heranziehen, um das nicht selbstverständliche Verfahren zu empfehlen, auf Gewalt nicht mit Gegengewalt zu antworten. Die Geschichte kennt das "Gesetz": "Druck führt zu Gegendruck", "Gewalt führt zu Gegengewalt", selbst im Volksmund verankert: "Wie du mir so ich dir". Die "Spirale der Gewalt" und die der Aufrüstung leiten sich daraus ab. Eingeübt und im Transfer weitergeleitet wird es im Kindergarten, wo man es noch "Tit for tat" ("Wie du mir so ich dir"), ein Spiel nennt. Rational wäre, herauszufinden, welches die Gründe sind, die Ursachen, die Motive für das Handeln der anderen Seite. Kann ich sie beeinflussen. Die Spirale durchbrechen bedeutet Deeskalation, Stressabbau. Die hohe Zeit der Rationalität im utopischen Sinn, über Vermittlung ("Mediation") und "Appeasement" hinaus.

Die Rationalität des ökonomischen Denkens kommt schon bei der banalen Güterabwägung ins Spiel, einmal Malediven sind mir so viel wert wie vier einhalbmal Lüneburger Heide mit Heidschnucken inklusive. Solche Indifferenzkurven haben durchaus ihren tieferen Sinn. In der Berechnung der Rationalität zeigt sich, dass da offensichtlich ein Wert mitlaufen muss. Diesen muss ich außerhalb ausgebildet haben. So heißt es in einer Handy-Reklame "Schlau gekauft". Zur Rationalität gehört eine Bewertung. Sind die Wegekosten, einen Schatz zu finden und zu heben, höher als der erwartete Gewinn, lasse ich es doch bleiben. Oder eben gerade nicht. Dann zeigt sich das, was so ambivalent unser Schicksal bestimmt, auch das des mit viel Vernunft Studierenden: Unser Leben ist hochgradig irrational. Wir benötigen, um es zu führen, schon jetzt viel Utopie und/oder die Kunst, mit Irrationalität zu leben, die nicht dem Streit verpflichtet ist sondern der Erwartung.

Für die Wirtschaftswissenschaften war es immer wichtig, sich überhaupt vorstellen zu können, wie der wirtschaftlich handelnde Mensch gestrickt ist. Es ergeben sich ganz andere Überlegungen, wenn er immer von Eigeninteressen geleitet wird. Es gab einen cleveren Verkäufer, der einem Nonnenkloster in Süddeutschland Toilettenpapier für 35 Jahre verkauft hat. Rational ja (Mengenrabatt), aber was ist das? Deswegen hat man in heutiger Zeit – in der Volkswirtschaft – entdeckt, dass Gefühle wie Vertrauen, Angst und Vergnügen eine Rolle spielen und dass sich die Menschen am Verhalten anderer orientieren. "To keep up with the Johnsons" ("Mit den Nachbarn Johnsons mithalten") kippt das Rationalprinzip und ist volkswirtschaftlich höchst wirksam. Das ist nicht die Erweiterung des homo oeconomicus. Das ist die Entdeckung des "normalen" Menschen mit dem großen Nachteil, dass er schwerlich in die Formeln passt. Vieles wird da umformuliert werden.

Es sei denn, wie es so schön in der etwas anderen "Allgemeinbildung" der Wirtschaftssubjekte heißt, ich kann den Gewinn behalten und die Kosten sozialisieren (Tarnung und Abschreibung der Schatzsuche als Expeditionsreise, für deren Kosten andere aufkommen. Der Veräußerungsgewinn bleibt netto wie brutto bei mir). Mit der Einführung von Zertifikaten für externe Kosten zum Beispiel wird die Rationalität des "normalen" Menschen immer normaler. Rationalität ist herstellbar, auch indem man die Situationen verändert.

Die Kosten für Horizonterweiterung, wenn ich ein Jahr im Ausland Fremdes erlebe, sind schließlich minimal. Man will erreichen, dass jeder zweite Studierende für ein Jahr eine andere Kultur erlebt. 2011 sind etwa 30 Studenten mit dem Erasmus-Programm ins Ausland gegangen und etwas weniger mit einem Stipendium des DAAD. 2014 meldete dieser Dienst, dass 2012 etwa 30 Prozent zeitweise im Ausland studiert hatten, und die Quote sei in den letzten 12 Jahren relativ konstant geblieben. 2013, so hieß es, seien 29 000 Erasmus-Aufenthalte gefördert worden. Eine gewisse Zurückhaltung seitens der Studierenden besteht wegen der Anerkennungsproblematik bei immer spezialisierteren Studiengängen. Was ein Auslandssemester kostet inklusive Krankenversicherung, kann ich abschätzen. Aber über kein Jahr meiner Studienzeit werde ich lange so engagiert erzählen können. Fremde Auffassungen und Lebensstile muss man erleben, um sie als Bereicherung zu empfinden, um sie zu begreifen, auch als Herausforderung, die eigenen zu modifizieren oder auch schlicht bewahrenswert zu finden.

Die nun folgenden Darlegungen sollen zwanglos, nicht übertrieben systematisch aber engagiert, Hinweise geben auf interessante Errungenschaft in der akademischen Welt des Geistes und der Natur. Sie sollen so etwas wie ein Brandbeschleuniger für den sein, der Feuer fängt, wenn er eine erste Lust verspürt, sich neben dem Notwendigen auch das Überflüssige zu gönnen. Weiter nichts, nur ein Anschub, nur ein Amuse-bouche. Möglich bleibt immer, den Schmerz zu empfinden, nicht viel Zeit für den Luxus zu haben. Schließlich gibt es für ihn immer eine Schmerzgrenze, aber auch den Trost, wenigstens eine Minimaldosis vom Überflüssigen genossen zu haben.

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