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3.2 Kosmische Suppe und die Kultursuppe 3.2.1 Beispiel: Cross-over als Analogie-Technik

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Wer es schafft, mit seiner Vorstellungskraft eine Beziehung zwischen zwei Wissensinhalten, sagen wir beispielshaft "Entropie" und "Aufklärung", kognitiv, das heißt im Bewusstsein, herzustellen, erreicht zweierlei. Er speichert sie unter Umständen dauerhaft und er macht aus seinem Wissen sinnvoll erweitertes Wissen. Das könnte schon Bildung pur sein, wenn der Inhalt stimmt.

"Entropie" besagt, dass sich aus Ungleichverteilung der elementaren Bestandteile wie zum Beispiel bei einem Organismus oder bei einem Gasgemisch in einem Behälter Gleichverteilung der Moleküle entwickelt, also auch die Auflösung seiner Ausgangs-Struktur in einer Art Kompostierung. Verwirbelte Gas-Atome in einem Zylinder, die sich gleich verteilen und zur Ruhe und damit auch zu einer endgültigen niedrigeren Durchschnittstemperatur kommen. Weil dieses Bild der Gleichverteilung mit dem Begriff "Abnahme von Organisiertheit" (Ernst Peter Fischer) bei organischen Stoffen nicht übereinzustimmen scheint, muss man seine Vorstellungsgabe bemühen.

"Aufklärung", im modernen Sinne als dialektischer Prozess gesehen wie von der Frankfurter Schule, endet beim homo oeconomicus, der Omi und Opi gerade noch den erwähnten Pappsarg aus dem Erbe herausrechnet. Mehr ist für sie nicht übrig und auch nicht nötig. Das ist das Grab der mythischen Grundverfassung des Menschen. Im Kalkül wird er auf Soll und Haben bilanziert und ausgeglichen und kommt zur Ruhe.

Der kosmische Wärmetod der Entropie ist ein Topos (das heißt, ein allgemein anerkannter Gesichtspunkt – "Liebe macht blind" ist ein solcher Topos) geworden wie der von der Aufklärung, die sich selbst, vergleichbar der politischen Revolution, eines Tages auffrisst und das Ende bedeutet. Es ist die Frage, ob sich unwiderstehliche Untergangsszenarien aufdrängen aus einem „natürlichen“ Pessimismus. Auf jeden Fall, wem es gelingt, auf solche Weise eines Cross-over seine Argumente aus dem stofflichen wie aus dem geistigen Bereich zu verstärken, erreicht eine gewisse Überzeugungskraft. Kosmologisch ist unser Ende bestimmt und soziologisch ebenfalls. Eine physikalische Suppe trifft mit einer Kultursuppe zusammen. Wenn das so ist, hat der Komponist Otto Reutter (gest. 1931) recht, wenn er singt "In 50 Jahren ist alles vorbei". Nur über die Nullen der Jahreszahlen muss man sich noch verständigen.

Dann aber noch das Lernen mit Hilfe der Lücke. Man kann sie daran erkennen, dass einem etwas fehlt, das einen interessieren könnte. Unter Umständen genügt es, wenige Daten zu wissen,1789, da war die Revolution und 1815 Sankt Helena, wo Napoleon seine letzten Jahre verbrachte. Was dazwischen passierte, weiß man ungefähr und ist abrufbar als ein ungefährer Sinnzusammenhang. Wir interpolieren sehr häufig und schätzen auch gekonnt ab. Logisch hochrechnend oder mit Phantasie das fehlende Glied sehend. Gerade diese Verfügung über das Wissen ist souverän, weil wir nicht erwarten müssen, dass es präzise stimmt. (1813 war die Völkerschlacht bei Leipzig, etwa 1815 ging Napoleon nach Sankt Helena und starb 6 Jahre später.) Während das Lernen nach einem Kanon eine Anzahl weiterer Daten vorschlägt. Sie decken dann gerne zu, was wir als Inhalt und Sinn bezeichnet haben. Zum Beispiel, was passierte alles zwischen der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 und dem Wiener Kongress 1815? Was ist da alles wichtig für mich?

Schließlich die cross-over-Falle Sie besteht darin, dass man in sie, vor allem in der mündlichen, bedeutungsvoll gemeinten Rede hineintappt. Sie sitzt im Bundestag und hat Botanik studiert. Als sie in ihrem sozial engagierten Statement die kalte Progression und die regressiven Steuern erwähnt, fühlt sie sich noch wohl. Bei ihren Bemerkungen zur antizyklischen Haushaltspolitik schwant ihr allerdings, dass andere es besser, professioneller beurteilen könnten.

Sie hat zu spät gemerkt, dass sie in das Räderwerk dieser Wissenschaft hineingerutscht ist, obwohl sie nur über die erforderliche Angemessenheit der Einkommen bei Biobauern, die Genmais nicht anbauen, ausführen wollte. Schlagartig nehmen die Parameter zu, die hier ein ausgeklügeltes Spiel zu spielen beanspruchen. Einen guten Politiker zeichnet aus, dass ihm in dieser Situation nicht mulmig zu Mute wird. Wie die meisten cross-over-Kandidaten recht unverfroren glauben, sie seien der Aufgabe gewachsen, sans facon, einfach so.

Eine kurze Erklärung von einem Kollegen in den Wandelhallen reicht nicht aus. Die Falle wird mit großen Schritten erreicht. Wenn dann noch "Prozente" mit "Prozentpunkten" verwechselt werden, wird der Kompetenzplafond schmerzhaft unterschritten und das offenkundig.

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