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2.2.3 Die Uni bietet neue Chancen

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Wer es mit seiner Spezialbegabung und seinen speziellen Leistungen bis zur Universität geschafft hat, muss feststellen: An der Universität ist alles ganz anders. Wer in Deutsch und Geschichte eine vier hatte und in Chemie eine zwei, macht höchstwahrscheinlich ein sehr gutes Examen, vorausgesetzt, eine unglückliche Liebe zu Deutsch treibt ihn nicht zum falschen Fach. Nach dem Abitur geht man ganz entschieden seinen Stärken nach, was Anerkennung und Wertschätzung nach sich ziehen kann. Ängste kann man verlernen, man sollte sie vergessen, da nicht mehr angebracht, wenn Zufriedenheit über die eigenen Leistungen sich einstellt. Das in der Schule immer mögliche Gefühl, abgehängt zu werden und keinen Respekt zu genießen, ist nicht mehr Bestandteil eines relativ offenen Systems an der Universität.

Die positive Psychologie geht davon aus, und das hat viel für sich, dass eine optimistische Umpolung der Selbsteinschätzung durchaus erlernbar ist. Wenn man sagt, die Psychotherapie diene der "Vermittlung gelungener zwischenmenschlicher Wirklichkeit", so fragt man sich, auf welches Medium sie sich dabei beschränken will und vor allem, was sie unter Wirklichkeit versteht. Die Wissenschaften sind auf jeden Fall eine Art von Wirklichkeit, die auf Zuverlässigkeit größten Wert legt. Die sich und andere Wirklichkeiten in überprüfbarer Weise interpretiert oder objektiviert und auch Bewertungen anbietet. Da die Wissenschaft immer "weil" sagt, hat sie nicht die Arroganz, die in anderen behauptenden Wirklichkeits-Vermittlungen schon mal enthalten sein kann. Das sind nicht zu verachtende Sicherheiten. Wenn mit zwischenmenschlicher Vermittlung von Wirklichkeit allerdings die Gefühle gemeint sein sollen, ist nicht der Hörsaal, eher der Flur und das Stehkaffee der bessere Ort.

Was sonst diese erwünschte Sicherheit bedeutet, diese zuverlässige Art, in jedem Augenblick der Interaktion das Niveau der akademischen Welt zu haben, so kann sie hergestellt werden. Es gibt Länder wie Baden-Württemberg, die mit Auswahlgesprächen und "Studierfähigkeitstests" den Studenten eine zweite Chance geben, deren Qualitäten, die nicht durch die üblichen Zeugnisse abgefragt werden, wichtig zu nehmen:

Der Test fragt Textverständnis, Sprachgefühl und schlussfolgerndes Denken ab. Fachkenntnisse werden nicht vorausgesetzt. Bewerber können sich mit der Prüfung nur verbessern. … Überhaupt hilft ein gutes Abitur bei der Bewerbung um einen Studienplatz immer noch am meisten.

(BZ, 4. Juni 2011, Chancen auch ohne Topabitur).

Man kann sich auch auf eigene Faust auf das Abitur vorbereiten. Dann ist es möglich, eine Prüfung als Externer abzulegen. Es sind nicht viele, die das auf sich nehmen; denn die Prüfungen werden meist als relativ schwierig eingeschätzt. Schriftlich werden die Kenntnisse Deutsch, Mathematik, Englisch und Geschichte abgefragt, mündlich sind es noch weitere vier Fächer. Die Prüfer sind einem nicht bekannt. Es gibt "Nachhilfe-Schulen", die bei der Vorbereitung auf die Prüfung helfen. Einrichtungen des zweiten Bildungswegs wie Abendgymnasium oder Kolpingkolleg sind staatlich anerkannt und dürfen das Abitur abnehmen.

Von den etwa 450 000 Studienanfängern im Wintersemester 2010/2011 hatten knapp 10 000 kein reguläres Abitur noch die Fachhochschulreife. In vier Jahren hat sich die Quote derer verdoppelt, die ohne Abitur Zugang zur akademischen Welt fanden.

Die vorgelegten Prüfungstexte können schon mal kompliziert sein und schwer zu interpretieren. Leider fehlen die Scherzfragen mit höherem Niveau: "Er fühlte sich als Maikäfer und übte sich im Rückenflug. Was trennt ihn vom Junikäfer?" Antwort natürlich "eine Minute zwischen Mai und Juni". Unter dem Niveau eines jeden angehenden Biologen, gewiss, aber Geistesgegenwart lässt sich auf viele Weisen testen, die unter etwas Druck nicht leiden sollte. Auch auf dumme Fragen kann man intelligent antworten, wenn einem die Phantasie nicht vor Schreck abhandenkommt.

Die Merkfähigkeit soll gut ausgebildet sein. Logisches Schließen müsste funktionieren. Für das Denken ist es wichtig, ein räumliches Vorstellungsvermögen zu besitzen. Auskunft darüber, ob man über genügend Qualifikationen verfügt, erhält man in manchen Sekretariaten aufgrund von Testmaterial für Studierende.

Das Studium hält ganz andere Aufregungen bereit. Tatsächlich sind es geistige und persönliche, die mehr die Phantasie herausfordern als dass man sich in der Hängematte seiner sicheren Planungen ausruhen könnte. Es gibt den roten Faden mit seinen kausalen Zwangläufigkeiten, der das Grundmuster für den Tag abgibt und für Sicherheit und Beruhigung sorgt, wenn man ihm einigermaßen folgen kann. Die zufälligen Aufregungen, die hinzukommen, sind schon mal von der Sorte, dass sie Erinnerungswert behalten. Daher ist die Studienzeit, zwischen Indifferenz und Abenteuer, für viele eine ganz besondere Zeit ihres Lebens.

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