Читать книгу Allgemeinbildung in der Akademischen Welt - Gerd Breitenbürger - Страница 33
3.1.3 Von den Inhalten zu den Strukturen
ОглавлениеDas unordentliche, also nicht-systematische Lernen, vielleicht kombiniert mit gelegentlichem Nachschlagen in Handbüchern, Lexika und Internet, ist interessengeleitet und ergibt sich aus den Bedingungen der eigenen Lern-Biographie und auch Wissbegier. Es gehört zum motivierten Wissenserwerb dazu und ergänzt den Lernstil, bei dem man eher systematisch vorzugehen hat. Lernen aus Neigung verknüpft häufiger die Inhalte, lebt von Beziehungen zu anderen Ereignissen. Man sucht automatisch multiple Verknüpfungen, wie Ernst Robert Curtius, der von Einzelbeobachtungen des europäischen Manierismus zu diesem Phänomen gelangt, das seit der Antike bis zur Jetztzeit immer wieder anzutreffen ist. Die jeweiligen Inhalte erlauben es, von einer eindeutigen Struktur zu sprechen, die auch noch von ihrem Gegensatz zur Klassik schärfer konturiert wird. Wer über die Details seine Gegenstände differenziert wahrnimmt, ist auch aufnahmebereit für die Abstraktion, für die generellen Oberbegriffe. Wer mit diesen, also Manierismus, Klassik, Biedermeier usf. umgeht, ohne überhaupt die Detailsituation zu kennen, kommt leicht "ins Schwimmen" und verwendet schon mal fehlerhafte Merkmalszuweisungen.
Die Begriffe wie "Homologie", "Analogie", "Assoziation", "Denken" etc. gebraucht man mit mehr Sicherheit, wenn man ihren Bedeutungsumfang nicht nur eng ("intensiv"), sondern auch zusätzlich weit nimmt ("extensiv", ausgedehnt auf mehrere Gebiete) und wenn man ähnlich klingende Wörter abgrenzen kann. "Homolog" = Organe von gleicher entwicklungsgeschichtlicher Herkunft: zum Beispiel die Lunge, aus der Schwimmblase der Fische entstanden, "Homogen" = gleichartig, gleichmäßig zusammengesetzt. "Homogenisieren": Kuhmilch hat ungleichmäßige Fetttropfen, die maschinell homogenisiert werden.
Lernen ist auch dann leichter, wenn man sich Begriffe anschaut wie den „Formalismus“, die vielseitig verwendet werden und eine große Reichweite haben. Sie und andere führen schnell aus der einen fachlichen Enge hinaus, wenn man ihre Verwendungsweisen kennenlernt, die in guten Lexika aufgeführt werden. Man kann Lexika für verschiedene Fächer benutzen, auch wenn man nur eines studiert: Philosophie, Soziologie und weitere etwa für Fremdwörter, in denen die Nomenklatur vieler Fächer erklärt wird, allerdings meist ohne Verwendungsbeispiele. Mehr ist aber klar zu erreichen, wenn quantitatives Wissen zu einem strukturierten Wissen führt, das die allseits günstige Position in der Metasprache einzunehmen erlaubt. Der oppositive Charakter der sprachlichen Phoneme im Detail (b:p, g:k, stimmhaft: stimmlos usf., der Begriff "Opposition" findet sich auf der Ebene der Metasprache) erlaubt dann den Aufhänger, den Transfer, die Sprache als ein System, in dem alles aufeinander bezogen ist (so der Linguist Ferdinand de Saussure, gest. 1913) und dann, die Welt zu strukturieren. Der oppositive Charakter, den man sich sehr schön in der Sprache vor Augen führen kann, lässt sich dann generalisieren bis in die Natur hinein und bis in die Logik. Verneinung ist dann ein A, das nicht non A ist, so schon Aristoteles. Das Positive setzt voraus, dass es das Negative gibt Von daher kommt man auf ganze andere Gedanken, wenn man über Ethik, Moral und die Utopie nachdenkt, logisch, systematisch. Das vorgeführte Schema soll lediglich zeigen, dass es geistig fruchtbare Verfahren gibt, die aus dem trockenen Lernen eine spannende Schnitzeljagd machen können.
Genügt dir Wissen modular
Ist eng die Welt, der Geist ist rar
Nur wer weiter zieht die Kreise
Vernimmt Verkalkung spät und leise
Natürlich ist es immer eine ganze Welt, die man die eigene nennt. Aber nicht unbedingt eine weite, eine interessante, eine, die so offen ist, dass mühelos Neues in sie einströmt. Strukturen sind ergiebig für die Intelligenz, sie spannen einen Erwartungsbogen auf. Die Inhalte füllen ihn auf, mit Redundanz und Anschauung der Welt, mit visueller Kraft. Es gibt Definitionen, die abstrakt und das heißt unanschaulich sagen wollen, was Eifersucht oder Aufmerksamkeit oder Blasphemie sind. Die Angst, den geliebten Menschen an einen anderen zu verlieren etwa. Fokussierung der Wahrnehmung auf ein Ziel über eine Zeitspanne. Für das Gedächtnis sind die abstrakten Formulierungen weniger gut geeignet, um sich zu merken, was ich unter diesen Abstrakta verstehen möchte. Heißt es aber, jemand ist eifersüchtig, denn er benimmt sich so und so, kontrolliert die Taschen des Partners, leidet, wenn er eine andere Person freundlich anschaut. Vielleicht nicht immer perfekt, aber der Zutritt zur Abstraktionsebene ist leichter über passsende Bilder und beispielhafte Handlungen. Es geht auch ganz kurz. Was ist Humor. Wie soll ich ihn bestimmen? Wilhelm Busch bietet an: "Humor ist wenn man trotzdem lacht." Und das Bild eines Vogels auf dem Leim, der die letzten lebensbedrohten Augenblicke zum Singen nutzt.