Читать книгу Allgemeinbildung in der Akademischen Welt - Gerd Breitenbürger - Страница 6

1 Die akademische Welt 1.1 Wahrheit und Phantasie 1.1.1 Original oder Plagiat

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Dies ist ein persönliches Buch. Ich habe es auch selbst geschrieben. Nun ja, schon da bin ich mir nicht ganz sicher. Einmal gibt es die anonymisierte, aber unverkennbare Mithilfe vieler Jahrhunderte und Jahrtausende mit schönen Gedanken und schönen Sätzen. Auch die Sprache selbst ist ein altes Erbstück.

Alles in allem aber nichts gestohlen, das darf ich sagen, allerdings auch nicht alles selbst erfunden. Man nennt es, ob man will oder nicht, die unvermeidbare Tradition. Auf ihrem Hintergrund spielen sich Originalität ab, Kreativität und Phantasie. Ihr janusköpfiger Charakter bringt das Kunststück zuwege, den Menschen von dem unerbittlichsten Zwang, der ihn regiert, der Zeit, zu befreien. Sein erstes Denken kommt aus der Dimension, die hinter ihm liegt. Und seine Ziele kann er ohne einen Entwurf in die Zukunft nicht finden. Man muss kein Philosoph sein, um zu bemerken, dass die Tradition etwas Außergewöhnliches darstellt. Sie ist geordnete, vergangene Zeit, die aber die Phantasie anzuregen vermag, als hätte alles ganz anders sein können oder sogar sein müssen. Der Mensch gewinnt aus ihr Orientierung für sein Handeln, sie vermag aber auch sein Handeln zu bestimmen.

"Originalität" ist der Ausdruck dafür, dass niemand weiß, woher der Mensch seine Einfälle hat. Goethe ist immer dabei. Er war ehrlich und spricht von Knöchelchen, die halbverdaut im Magen darauf hinweisen, dass wir Dinge aufnehmen und nicht mehr wissen, woher sie kommen. Das deutet auf Bildung. Klauen hingegen ist, wenn man nimmt und nicht, obwohl man es könnte, sagt, woher man es genommen hat. Weil diese Aneignungsform nicht in unsere leicht idealisierte akademische Welt gehört, wird sie hier vor die Klammer gesetzt, als Vorwort. Es ist ein Thema, das sich gar nicht erst stellen sollte. Es ist von besonderer Dramatik, wenn es anfängt, die Atmosphäre zu vergiften. Jeder kennt den verführerischen Impuls, fremdes geistiges Eigentum als eigenes auszugeben. Man darf aber dieser Art der Arbeitserleichterung und des sich mit fremden Federn Schmückens nicht erliegen. Wer das nicht sieht, muss mit bösen Folgen rechnen. Auch wenn es sybillinisch (rätselhaft) heißt, die Bundesministerin habe "mit ihrer Zitierweise gegen gängige Regeln wissenschaftlichen Arbeitens (zu) verstoßen." (BZ, 21. Januar 2013), führt das immer noch zu einem Aberkennungsverfahren. Die Zeit des Kohle-Klauens, den selbst Kardinäle duldeten, ist definitiv vorbei. Denn geistiger Notstand herrscht, gemessen an unseren hohen Zielen, immer, kann aber nicht herhalten, den Ideendiebstahl zu rechtfertigen.

Es gibt da ein "Stehlen" vor aller Augen, was durchaus im Film amüsant sein kann, wenn der Dieb ein mitwissendes Publikum auf seiner Seite weiß. So Jean-Louis Barrault in dem uralten Streifen "Les enfants du paradis" ("Die Kinder des Olymp") mit seinem pantomimischen Griff voller Anmut in die Gesäßtasche seines virtuellen Opfers. Dann gibt es den wirklich heimlichen Wörterdieb, der einen einzigen Gedanken stiehlt und sich dabei vor einem wissenden Publikum blamiert. Das Thema muss einfach hier vom Tisch, weil es nicht zu einer ständigen Belastung werden darf, ob dieses oder jenes von mir stammt oder doch, bei aller Bescheidenheit, von Goethe, Mao Tse Tung oder den Beatles, und ich hätte es sagen sollen. Die akademische Welt ist heikel. Es geht immer auch um Vertrauen. Was darf ich, wo ich so viel sollen soll. Hier liegen die Schätze nur so herum und die Versuchung ist groß. Man sucht sie, man findet sie, warum nicht beherzt zugreifen, wenn niemand es sieht. – Es sind aber Früchte, die man wohl nehmen darf, ja nehmen soll. Nur die Aneignung steht unter Bedingungen. Nicht verfälschen, was man übernimmt. Und kenntlich machen, dass sie auf dem Humus eines anderen Geistes entstanden sind. Man bekommt sie ja sowieso auf dem Silbertablett serviert, dann kann man dem Autor aber nicht das Renommee vorenthalten, das ihm gebührt. Hier greift man nach Fremdem und bekommt das, was andere, zum Teil mit hohem Einsatz und einer gewissen Anerkennung, gefunden haben, nämlich Forschungsergebnisse oder interessante Gedanken. Großzügig werden sie offen angeboten. Sie dann aber noch nehmen, indem man sagt, den anderen gibt es gar nicht, es ist alles von mir, ist nicht Mundraub, nicht Felddiebstahl. Es ist eine Form intellektuellen Totschlags, weil ich den Urheber nicht einmal erwähne. Ich nehme ihm das einzige, was ihm je geblieben ist, die Anerkennung und den Nachruhm. So oder so kommt der Betrug häufig genug vor. Dass wir ihn immer noch nicht mögen, spricht für unsere Kultur.

Man war nicht immer so sensibel bei geistigem Eigentum wie man sensibel war bei Steckrüben eben doch, die der Verhungernde auf dem Feld mitgehen ließ und mit dem Strick bezahlte (England, 16. und 17. Jahrhundert). Im selben Jahrhundert wurden ganze Kapitel beim Konkurrenten abgeschrieben, ohne dass man es anstößig fand.

Heute noch wird wie ein Kriminalfall die Entstehungsgeschichte der Evolutionstheorie behandelt. (Mathias Glaubrecht , Am Ende des Archipels – Alfred Russel Wallace) Sie wurde 1858 in London vorgestellt. Es interessiert viele immer noch, ob Charles Darwin von Alfred Russel Wallace abgekupfert hat oder nur eine zeitliche Koinzidenz vorliegt. Plagiat und Täuschung wären sensationelle Vorwürfe, wenn sie sich belegen ließen. Aber sie lassen sich nur zum Teil belegen, es gibt Lücken in der Indizienkette, aber auch starke Hinweise. Leibniz hat nicht von Newton und umgekehrt abgeschrieben, als sie gleichzeitig die Infinitesimal-Rechnung entdeckten. Ideendiebstahl kann nur behauptet werden, wenn er sich zweifelsfrei nachweisen lässt. Bei Darwin-Wallace geht es darum, wie lang das Postboot vom fernen Orient nach England unterwegs war. Wie beim Patentamt in München, wer zuerst da ist, bekommt das Patent.

Die Überlegung, "Was ist der Mensch", ist eine sehr akademische Frage, die Aristoteles formuliert und beantwortet hat und die man 2 1/2 Tausend Jahre später noch gelten lässt. Die Antwort war originell, man kann sie nicht stehlen, und sie ist heute noch brauchbar. Der Mensch als = "zoon logon echon." "Der Mensch ist das Lebewesen, das spricht." "Ein der Sprache mächtiges Wesen." Wer hier mit einer Anspielung umformuliert und Wasser auf sein Mühlrad leiten möchte, hat kaum eine Chance. Nur zu leicht erinnert dann das Ergebnis an die Wanze, die einen gestohlenen Schatz versteckt. Es ist ihre Geschichte, warum ist die Wanze platt und warum sieht sie nicht, was all die anderen sehen. Die Urangst eines jeden Plagiators muss sein, gesehen zu werden. Er kann aber auch den Spieß umdrehen, wenn er mit Aplomb (Frechheit) argumentiert und behauptet, er sei unschuldig, die Universität habe ihn mangelhaft betreut, sie ist es, die hätte sehen und verhindern müssen, was geschah (Veronica Saß, 25. Mai 2012, BZ). Die Wanze zieht einen Kreidestrich um ihren gestohlenen Schatz herum und hält ihn für sicher. Aber alle Nicht-Wanzen schauen amüsiert zu. So wie bei Jean-Louis Barraults beobachtetem Taschendiebstahl. Denn es kommt der Mensch und nimmt, da er über eine dritte Dimension verfügt, den Schatz von oben heraus, was die Wanze nicht verstehen kann und sie sagt den klassischen Satz der Verblüffung "Da bist du platt".

Auch gut gestohlen wird der "Uni-Ausschuss" holen.

Aber es gibt immer noch die völlig schamlose Variante. Unter der Überschrift "Der Plagiator von Budapest" heißt es in der BZ vom 30. März 2012, Ungarns Präsident Pal Schmitt verliere seinen Doktortitel und sein Amt. Von 215 Seiten waren 180 Seiten wörtliche Zitate und natürlich nicht ausgewiesen. Siebzehn weitere Seiten waren aus einer zweiten Quelle.

Zurück zu Aristoteles. In etwas gesuchter Art wäre es denkbar, von dem „Humanum der Sprache“ zu sprechen, um die aristotelische Definition zu umgehen, die da besagt, die Sprache sei das Wesensmerkmal des Menschen. Diese Definition kennnt jeder Fachwissenschaftler. Sich so durchsichtig an Aristoteles anzulehnen, würde bedeuten, gerade auf den hinzuweisen, dessen Name nicht erwähnt wird. Man kann sich nicht sehr gut Zitate zu eigen machen, indem man sie geringfügig abändert. "Wer immer eifrig sich bemüht …" (statt „strebend“) Ist das noch Goethe oder bin ich das schon. Sprachlich ist beides korrekt. Aber stilistisch vermisst man doch den Klassiker. So selten ist die trickhafte Verwendung von fremden Ideen nicht, bei denen die Umformulierungen amüsant sein können. Irgendwann erfüllen sie dann aber den Tatbestand des Plagiats.

Die sprachliche Abänderung eines Zitats, um es für sich zu reklamieren, fällt mit Sicherheit auf, wenn es um das Abkupfern von Buchtiteln geht, die im Wissenspool wohl bekannt sind. Wer aus dem Titel eines Psychologen "Flüchten oder Standhalten" (Horst-Eberhard Richter) ein "Fliehen oder Standhalten", sogar „Fliehen oder Stehenbleiben“ macht, um den Gedanken zu usurpieren, fällt mit Sicherheit auf.

Die Sprache ist schließlich zu allem fähig, selbst zu Kapriolen wie diesen. Das Großartige ist, dass man trotzdem versteht, was gemeint ist. Die meisten Menschen sagen ja auch, was sie meinen. Manchmal aber mit abenteuerlichen Begriffen. Das kann so weit gehen, dass man sich herausgefordert sieht, ihnen mit Wohlwollen entgegen zu kommen, das heißt, sich mehr anzustrengen, sie zu verstehen als sie sich Mühe geben, klar zu sein. Es ist nicht eigentlich Sache des sprachlichen Ausdrucks, durch Unklarheiten kostbare Aufmerksamkeitsenergie zu binden, vor allem, wenn kein Witz und keine geistreiche Pointe damit verbunden sind.

Das geistige Haschmich ist dann die zu vermutende Überlegung: Wer sich gedanklich klar erkennbar anderweitig inspirieren lässt und sprachlich so dicht am Vorbild handeln will, muss wohl denken, nach 2300 Jahren ist auch bei einem Aristoteles schließlich das Copyright abgelaufen oder, wer will sich nach 2300 Jahren noch an die Wortwahl seiner Definitionen erinnern. Es gehört zur Grundausstattung der akademischen Welt, dass man weiß, woher und von wem bestimmte Begriffe unserer Ideengeschichte stammen und in welchen gedanklichen Situationen man auf ihre Quelle hinweisen muss. Die "Idee" ist Allgemeinwort, "Entelechie" ebenso, bei " a priori", "Phänomenologie" oder "Zufall und Notwendigkeit" kann man schwanken und die Ursprünge nennen. "Unschärferelation" ist fest an einen Namen gebunden. Dann kann man auch sehen, dass ein Begriff wie "Evolution" frei verfügbar ist, da er schon im Mittelalter gebräuchlich war und ausreichend nivelliert (die Bedeutung ist nicht mehr scharf abgegrenzt) ist.

Allgemeinbildung in der Akademischen Welt

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