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8. ORIENTIERUNGSMARSCH

„Ein Orientierungsmarsch ist das Zurücklegen einer bestimmten Strecke im Gelände unter Einbeziehung von Orientierungspunkten, um die Fähigkeit zu trainieren, innerhalb einer vorgeschriebenen Zeit in dem fremden Gelände den Weg zu finden.“

Warum auch immer, ein derartiger Marsch war auch in unserem Ausbildungsplan vorgesehen.

In einigen wenigen Unterrichtsstunden erlernten wir in der Theorie die Kenntnisse zur Bewältigung dieser Aufgabe.

Gruppenführer Hertle erklärte uns die Geländekarte, den Kompass und wie die dazugehörige Marschzahl zu verwenden ist.

Mit dem Gefühl, uns richtig an diese Herausforderung herangeführt zu haben, ging es an die praktische Umsetzung.

Für die Übung war ein ganzer Tag eingeplant.

An einem Mittwochnachmittag wurden wir in Halbgruppen zu je vier Mann aufgeteilt und mit den „Hilfsmitteln“, wie oben beschrieben, ausgerüstet. In meiner Gruppe befanden sich Harry, Engelbert und Sigi.

Am Donnerstag in den frühen Morgenstunden erfolgte der Transport. In unserem Kampfanzug, bewaffnet und den Stahlhelm untergehängt, bestiegen wir die Gruppenfahrzeuge. Der Marsch fand überraschender Weise nicht im Kasernengelände statt. Ganz im Gegenteil! Wir wurden ins Dachauer Hinterland in Richtung Markt Indersdorf transportiert und nach kilometerlanger Fahrt in der „Pampa ausgesetzt“, fern ab jedweder Zivilisation.

Gruppenführer Hertle verabschiedete sich mit den Worten: „Ich hoffe für euch meine Herren, ihr findet den Weg zurück, denn eine Abholung und Rückführung ist nicht vorgesehen!“

Wir trennten uns von ihm mit den leise zu uns gesprochenen Worten: „Red Du nur, mia sann schnella wieda da als du denkst!“

Dieser Satz sollte sich jedoch nicht so ganz bestätigen!

Schon bald bemerkten wir, dass doch ein gewaltiger Unterschied zwischen Theorie und Praxis bestand.

Innerhalb kürzester Zeit war unser erlangtes „Theoriewissen“ über Marschzahl etc. komplett aus der Gehirnregion „ich weiß was ich tue“ gelöscht.

Nun war guter Rat teuer.

Erster Ansprechpartner bezüglich Rückführung in das Kasernengelände war natürlich Harry aus Dachau. Wir gingen davon aus, dass er als gebürtiger Dachauer selbstverständlich auch sein Umland wie seine „Westentasche“ kennen müsste.

Dies war aber leider nicht der Fall und Harry antwortete leicht genervt: „Mich braucht ihr da gar nicht fragen, weil ich meiner Lebtag noch nie im Hinterland von Markt Indersdorf war!“

Da wir also seitens des „Eingeborenen“ somit keinerlei Hilfe erwarten konnten, gingen wir jetzt erst einmal los. Vermutlich in unser sicheres Verderben.

Nach einigen beschwerlichen Kilometern Marsch durch Wälder und über Wiesen das Licht am Ende des Tunnels. Ein kleiner Bauernhof!

Nachdem wir diesen erreicht hatten, sahen wir aus einer Scheune kommend einen kleinen älteren Bauern. Sichtlich erschrocken empfing er uns mit den Worten: „Jetz is so weit, anscheinend is der Krieg ausbrocha und ich hob nix mitkriagt davo!“

Wir beruhigten ihn selbstredend sofort und erklärten ihm unsere missliche Lage. Er fing daraufhin an zu Lachen und klärte uns dahingehend auf, dass wir nicht nach Dachau, sondern in entgegengesetzter Richtung unterwegs wären. Nach einer kurzen Stärkung, es gab netterweise von seiner Frau Milch und Butterbrote, marschierten wir mit einer von ihm erhaltenen Wegbeschreibung weiter.

Wieder in den tiefen Wäldern unterwegs verloren wir Superhelden erneut die Orientierung und standen nach ungefähr einer halben Stunde wieder vor dem Bauernhof. Der Bauer und seine Frau schüttelten sich jetzt beide vor Lachen. Er bot uns mit feuchten

Augen an, dass er uns mit seinem Traktor an einen Ort in der Zivilisation bringen würde. Von dort aus sollten sogar wir problemlos den Rückweg schaffen. Dieses Angebot nahmen wir freudig an und bestiegen das landwirtschaftliche Gerät.

Nach einer längeren Fahrt über holprige Feldwege erreichten wir das Pfarrdorf Hirtlbach, etwa zehn Kilometer von Dachau entfernt.

Wir verabschiedeten uns von unserem „Retter“ freudig mit den Worten „leben Sie wohl“ denn das übliche „auf Wiedersehen“ war hier unsererseits nicht mehr wünschenswert.

Nach kurzer Zeit erreichten wir glücklicherweise eine Bundesstraße aber immer noch weit entfernt von unserem Zielort.

Engelbert war das Marschieren zu blöd geworden und Sigi hatte sich bereits blutige Blasen gelaufen. Beide schlugen aufgrund der noch zu gehenden Kilometer vor, eventuell per Anhalter eine Mitfahrgelegenheit zu bekommen. Wir waren einverstanden und stellten uns an den Straßenrand mit erhobenem Daumen.

Vier Beamte der Bayerischen Bereitschaftspolizei mit Stahlhelm und Kampfanzug - was für eine Szene!

Nach kurzer Zeit stoppte doch tatsächlich ein kleiner Transporter. Der Fahrer, ein freundlicher Italiener, fragte neugierig: „Wassa ihr machen da alle neben Straße? Habt ihr nix Bundeswehrauto oder issa kaputt?“

Peinlich berührt klärten wir ihn über unseren Status als Polizeibeamte auf und baten um Mitnahme. Er meinte lächelnd, dies sei „naturalmente no problema“ und öffnete die Heckklappe seines Fahrzeuges.

Erleichtert stiegen wir in den Frachtraum und ließen uns ungefähr einen halben Kilometer vor der Kaserne absetzen.

Den Rest der Strecke legten wir korrekterweise zu Fuß zurück und erreichten zwar spät, aber überglücklich ob des „Erfolges“ unser Hundertschaftsgebäude.

Auf Nachfrage unseres Gruppenführers wie es denn so war, erklärten wir lässig unisono: „Das ist ja bis jetzt eine unserer leichtesten Übungen gewesen. Das könnten wir jeden Tag machen! Wir haben extra ein bissl länger gebraucht, weil die Gegend so schön anzusehen war!“

Was für eine Bande von Schwätzern!!!

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