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Оглавление20. MÜNCHNER OKTOBERFEST
Privat
Es waren einige Wochen ins Land gegangen und ich hatte seit kurzem eine feste Beziehung. Lydia aus München, Ortsteil Trudering. Sie machte eine Ausbildung zur Frisörin, 2. Lehrjahr, achtzehn Jahre alt, blond und hübsch.
Sie war mir immer schon eine gute Freundin gewesen, aber irgendwie hatte sich erst jetzt unsere Freundschaft in Richtung Beziehung entwickelt.
In unserem Freundeskreis war es damals gerade modern, sich in jungen Jahren ein gegenseitiges Eheversprechen abzugeben.
Mindestens drei befreundete Pärchen waren miteinander verlobt. Um unter den Freunden nicht als spießig zu gelten, beschlossen Lydia und ich, diesem Trend ebenfalls zu folgen.
Wir planten unsere Verlobung für den Samstag am ersten Wochenende im September ab 19.00 Uhr.
Der Ort der Feierlichkeiten sollte die höchst romantische und mit dunklem Holz vertäfelte Kellerbar in der Vereinshalle des Sportvereins ESV München-Ost, München Berg-am-Laim, sein.
Lydias Eltern waren in der Sportschützenabteilung Mitglieder. Aufgrund dessen war die Anmietung der Bar kein Problem und sogar kostenlos.
Wir gingen zusammen wie Turteltauben in die Stadt und kauften uns in der Schmuckabteilung im Kaufhof am Marienplatz passende Verlobungsringe aus Weißgold für insgesamt 60 Mark. Wir wollten unser abgegebenes Eheversprechen auch nach außen hin jedermann zeigen. Der entscheidende Tag nahte und ich hatte vor lauter „Liebesglück“ vollkommen vergessen, dass unser erster richtig großer dienstlicher Einsatz bevorstand. Die Absperrung eines Einsatzabschnittes beim Münchner Oktoberfest, der sogenannten „Wiesn“, für den
legendären Einzug der Trachtenvereine. Dieser fand am Sonntagvormittag nach meiner samstäglichen Verlobung statt.
Genau für dieses Wochenende war vom „Pa“ eine Ausgangssperre verhängt worden, um sicher zu gehen, dass jeder am Tag des Einsatzes anwesend und auch dementsprechend ausgeruht war.
Lydia war natürlich ob der Tatsache nicht ganz so erfreut und ich fragte vorsichtig bei unserem Zugführer nach, wie ich aus dieser Bredouille noch herauskommen könnte.
Er erklärte mir, dass es die Möglichkeit gäbe, offiziell und schriftlich bei der Abteilungsführung einen Eilantrag für eine Dienstbefreiung zu stellen. Da seines Wissens kein weiterer Antrag eines anderen Kollegen vorlag, standen meine Chancen auf eine Genehmigung nicht schlecht. Dienstbefreiung ging vor Ausgangssperre.
Ich setzte mich sofort an die Schreibmaschine und verfasste mein Gesuch, welches auch wirklich genehmigt wurde. Ich bekam zumindest den Samstag frei, musste aber am Sonntag früh morgens den Dienst zum Oktoberfest-Einsatz antreten. Der Dienstbeginn bzw. die Abfahrt von Dachau nach München war um sechs Uhr vorgesehen.
Samstag, Tag der Verlobung, 18.30 Uhr
Mein Vater saß im Wohnzimmer und schaute seine geliebte Sportschau, meine Mutter war in der Küche. Geschniegelt und gestriegelt war ich gerade dabei, die elterliche Wohnung zu verlassen. Mein Vater fragte mich, wo es denn jetzt und noch dazu so fein gekleidet, wohl hingeht. Ich antwortete ihm ganz lässig, dass ich mich jetzt mit Lydia verloben werde und mich beeilen muss.
So schnell habe ich meinen Vater noch nie aus dem Wohnzimmersessel aufspringen sehen.
Er schrie: „Was machst Du?? Ja bist Du denn völlig narrisch wordn?? Lisa (damit meinte er meine Mutter), kimm sofort her, DEIN Sohn spinnt komplett!“
Meine Mutter ging leichenblass auf mich zu und versuchte mich von meinem Vorhaben doch noch abzubringen. Sie sagte: „Ja Bua, du bist doch grod amoi achtzehn wordn und wiust di jetzt verloben? Des derf doch nicht wahr sein! Obwoi die Lydia ja a nette is aber lass des Ganze einfach. Des konn ned guad geh!“
Da ich für diese Art der Kritik gar nicht empfänglich und die Vorbereitungen schon abgeschlossen waren erwiderte ich, dass Lydia auf alle Fälle die richtige wäre und wir das beide schon immer gewusst haben. Zusätzlich zum besseren Verständnis zählte ich die Namen der anderen, bereits verlobten Pärchen auf.
Meine Eltern kannten die Pärchen auch und schüttelten nur noch heftig den Kopf, ließen mich aber dann doch mit einem beiderseitigem „Mei oh Mei“ ziehen.
Die wussten im Grunde bestimmt schon, wie diese Geschichte ausgehen wird, schlau wie sie waren. Sie sagten aber nichts weiter nach dem Motto: „Nur aus Fehlern wird man klug!“
Die Verlobungsfeier war heftig und dauerte bis in den frühen Morgen. Gegen fünf Uhr früh fuhr ich als zukünftiger stolzer Ehemann ohne geschlafen zu haben mit meinem weißen VW-Boliden in Richtung Dachau.
Dienstlich
Da ich in weiser Voraussicht keinen Alkohol getrunken hatte war ich im Großen und Ganzen gut beieinander aber doch irgendwie ausgelaugt und müde wie ein Stein. In Dachau angekommen schnell die Uniform angezogen, die „sibirische Punktwäsche“ durchgeführt und nachfolgend die Abfahrt nach München. Willi und Manfred saßen neben mir und wollten natürlich den Ablauf der Feierlichkeiten ganz genau erzählt bekommen. Völlig übermüdet gab ich den beiden im Lauf der gesamten Fahrtstrecke umfangreich Auskunft.
Ankunft München, 06.30 Uhr
Unser Einsatzabschnitt erstreckte sich in der Innenstadt vom Promenadeplatz zum Lenbachplatz und über die Schwanthaler Straße zur Festwiese an der Theresienhöhe.
Der Auftrag war, den gesamten Straßenverlauf für Fußgänger und Schaulustige abzusperren, um ein reibungsloses Durchkommen des Trachtenzuges zu gewährleisten.
Unser Gruppenführer Hertle schätzte die voraussichtliche Dauer des Dienstes auf circa acht Stunden. Nachdem ich das gehört hatte wurde mir schlecht. In meinem erschöpften Zustand auch noch stundenlang am Straßenrand stehen, da kam keine Freude auf!
Am Einsatzort angekommen, wurden wir auf die gesamte Länge des Einsatzabschnittes verteilt. Alle hundert Meter stand ein junger Polizeibeamter der 21. Ausbildungshundertschaft.
Als ob es allgemein nicht schon reichen würde, traf es mich von allen am schlimmsten.
Mein Standort war am schönen Lenbachplatz gegenüber der damals befindlichen Melli-Iran-Bank.
Für die Bank war eine erhöhte Sicherheitsstufe ausgerufen. Ich sollte das Gebäude, den Eingang der Bank und die dort versammelten Schaulustigen ganz genau beobachten. Ein Anschlag konnte laut Polizeiobermeister Hertle nicht hundertprozentig ausgeschlossen werden.
Zusätzlich befand sich dort gegenüber beim Lenbach-Brunnen ein extra aufgestellter, großer Baucontainer. In diesem war die Einsatzzentrale der Polizeiführungskräfte untergebracht. Hertle wollte in keinem Fall sehen, dass irgendeiner von uns sich unkorrekt verhielt und womöglich die Hände in den Hosentaschen hatte.
Ich wurde von ihm ganz besonders auf die Wichtigkeit meines Verhaltens, im Fokus der Vorgesetzten, hingewiesen: „Oiso nachad Gruaba, wehe dir, i hör wos negativs, dann rumpelts im Karton!“
Na Bravo! Nicht nur den ganzen Tag das alte Gebäude, Bank und Leute anstarren, sondern auch noch die höchsten Vorgesetzten im Rücken. Da kam sogar ab und zu der Münchner Polizeipräsident vorbei und schaute nach dem rechten.
Die Straßen begannen, sich mit tausenden von Zuschauern zu füllen und mein Zustand wurde immer mieser.
Ich konnte mir nicht die kleinste Erholung oder Pause gönnen, sondern stand und stand und stand, stundenlang und korrekt. Meine Hände waren durch das Herunterhängen mit der Zeit so angeschwollen, dass mein Verlobungsring fast nicht mehr zu sehen war.
Ich musste einen bemitleidenswerten Eindruck gemacht haben, da immer wieder nette Menschen zu mir kamen und mich fragten: „Herr Wachtmeister, derf ma eana a Brotzeit und a Maß Bier dazu bringa, des hilft eana wieda auf die Fiass“
Ich musste, ob der dienstlichen Gefahr im Rücken, immer wieder den Satz sagen: „Vielen lieben Dank, aber ich darf leider nicht, ich bin im Dienst!“
Mir war zum Heulen und dachte mir das erste Mal, dass mir die gesamte Polizei jetzt den Buckel komplett bis zum Allerwertesten runterrutschen kann.
Aber auch der schrecklichste Tag hat irgendwann mal ein Ende und gegen 16.30 Uhr war die Tortur für mich ohne weitere Vorkommnisse endgültig vorüber. Die Melli-Iran-Bank stand auch noch immer unbeschädigt da.
Andere Kollegen aber, insbesondere Herr Harritz und Herr Derringer, bewerteten den Einsatz bei weitem positiver. Mit Augen so rot wie Rücklichter und einem eindeutigen Mundgeruch erzählten sie euphorisch von ihrem Standort in der Schwanthaler Straße. Ich musste mir so Sachen anhören wie: „Du Willi, hod dir des Wiesnbier von de Trachtler und de Leberkassemmel a so gschmeckt wia mir!“ Antwort: „Ja Manfred, war bei mir genauso super, do hätt i no stundenlang steh kenna, i hob sogar no a Lebkuachaherzerl von de Leid
gschenkt kriagd!“ Weiter: „Lauter hübsche Madl warn unterwegs, a paar warn sogar aus Dachau und de hob i fei glei in Rigan Club eingladn!“
Diese Art der Nachbesprechung war mir aber gerade jetzt zu viel, da ich wirklich sehr müde und kaputt war.
Um 18.00 Uhr erreichten wir erfreulicherweise Dachau. Um 18.30 Uhr lag ich im Bett und wachte erst am nächsten Tag um 06.00 Uhr wieder auf.
P.S.
Keines der Pärchen aus unserem Freundeskreis hat jemals untereinander geheiratet - Lydia und ich haben uns nach circa vier Wochen entlobt und anschließend getrennt. Es hat doch nicht so funktioniert, viel Rauch um nichts. Mama hat es, wie Mütter halt so sind, gleich gewusst und richtig beurteilt. Ich blieb für die kommende Zeit erst mal wieder Single.
Nach diversen Wachperioden, Bereitschaftsdiensten sowie anderen Einsätzen ergab sich die seltene Möglichkeit für einige wenige Jungpolizisten, genau zwei Mann, dem Ganzen zu entkommen.
Es wurden neue Mitarbeiter für die bereits erwähnte Krankenabteilung gesucht.
Ich meldete mich, zusammen mit Kollegen Horst Hafft, einem Ur-Bayern aus der Burghausener Gegend, unverzüglich bei Hundertschaftsführer Sattler. Zu unserer allergrößten Freude erhielten wir den Zuschlag und die Möglichkeit, bis zum Ende der gesamten Ausbildung als Sanitäter tätig zu werden und Gutes zu tun.
Die unregelmäßigen Dienstzeiten des „Wacheschiebens“ und die damit verbundenen nächtlichen Strapazen waren von nun an Geschichte.
Ich war aufgrund der Dienstzeiten leider nicht mehr imstande gewesen, weiter beim FC Bayern München Fußball zu spielen. Ich konnte aufgrund des Wachdienstes nicht mehr regelmäßig trainieren und beschloss, meine mögliche Karriere, sehr zum Leidwesen meines Vaters, dem damaligen Trainer und meiner Mitspieler, zu beenden.
Ich glaube bis heute noch, dass es damals ein Riesenfehler war und ich dies hätte weiter durchziehen sollen - aber was soll es, nachgekartet wird nicht, nach vorne geht der Blick.