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13. 2.AUSBILDUNGSSTUFE

Mit der neuen Ausbildungsstufe begannen Unterrichte in Deutsch, Staatsbürgerkunde, Verkehrsrecht, Beamtenrecht, Strafrecht und so weiter.

Der Wissensstand wurde regelmäßig, teilweise auch mündlich aber in der Hauptsache schriftlich, wie damals in der Schule, in Form von Klausuren überprüft und benotet. Die aus dem Schulbetrieb bekannte Kurzarbeit „Ex“ hieß in der Polizeisprache „Zettelarbeit“.

Unsere Lehrer waren fast ausnahmslos hochrangige Polizeibeamte. In Erinnerung geblieben ist mir vorrangig Polizeihauptkommissar Felsen.

Er unterrichtete das Fach „Praktischer Polizeidienst“, war der unumstrittene „John Wayne“ der Lehrkräfte und offensichtlich auch der Erfinder der gesamten bayerischen Polizei.

Nach seinen Erzählungen war er grundsätzlich bei jedem größeren Polizeieinsatz dabei gewesen und nur ihm und seiner Umsichtigkeit, gepaart mit unglaublichem Fachwissen, war

es letztendlich zu verdanken, dass alle unter seiner Regie abgearbeiteten Einsätze glimpflich geendet hatten.

Er machte uns auch weiß, dass er früher im Streifenwagen eine Reiseschreibmaschine dabeihatte. Dies war von erheblichem Vorteil, da er bei größeren Verkehrsunfällen in der Lage war, den schriftlichen Teil der Unfallaufnahme unmittelbar vor Ort zu erledigen.

Er war dementsprechend der einzige Polizist, der nach Beendigung der Streifentätigkeit bereits den fertig geschriebenen Unfall der endsachbearbeitenden Behörde vorlegen konnte.

Gar nicht gerne gesehen wurden von ihm seiner Erzählung nach freihändig fahrende Radfahrer. Einer erdreistete sich doch tatsächlich einmal, ohne die Hände am Lenker an seinem uniformierten Streifenwagen vorbeizufahren. Polizeimann Felsen stoppte den „Verbrecher“ unverzüglich und schraubte ihm, nach einer längeren mündlichen Belehrung, den Fahrradlenker ab.

Nach dem Motto, wer seine Hände nicht an diesem hat, braucht ihn auch nicht mehr.

Somit leistete er nach seiner Auffassung einen wichtigen Beitrag zur Sicherheit im Straßenverkehr.

Was für ein Schwätzer, in Bayern sagt man auch „Dampfplauderer“ dazu. Aber er hatte wenigstens eine lustige Art, seine spielfilmtaugliche Selbstüberschätzung rüberzubringen und sah vor allen Dingen „John Wayne“ auch noch ähnlich.

In den Fächern Deutsch und Staatsbürgerkunde unterrichtete der einzige „normale“ Lehrer und Nichtpolizist, Herr Brellier.

Der Mann war ein Phänomen!

Ein Fachwissen ohne Gleichen, wahrscheinlich sogar ein Genie, aber eine Stimme, so einschläfernd wie eine Wellness-Doppel-CD mit Vogelgezwitscher und dazu ein Temperament wie eine Wanderdüne in der Wüste.

Reihenweise „entschwanden“ die Kollegen im Lehrsaal und fielen still und leise in das Reich der Träume. Für die paar Wachgebliebenen war es unglaublich mitanzusehen, wie Herr Brellier mit seiner hellen und sanften Stimme erfolglos versuchte, die selig ruhenden Kollegen wieder aus dem Traumland herauszuführen.

Zum Beispiel mein ehemaliger Zimmergenosse Walter (2) aus Illertissen. Er „entrückte“ friedlich und leise an der Schulter seines Banknachbarn und befand sich vermutlich gerade in der REM-Phase. Herr Brellier sah dies mit befremdlichem Gesichtsausdruck, „erhob“ seine Stimme und glaubte damit, Walter aus dem Tiefschlaf holen zu können. Da dies trotz mehrerer Versuche wie: „Herr Backer, hallo, hallo, Herr Backer hallo, bitte aufwachen!“ nicht gelang, führte er seinen Unterricht kopfschüttelnd mit den Worten:

„Ja Herrschaftzeiten, was hamms uns denn da wieder für einen Menschen reingesetzt!“ fort und beachtete Walter fortan nicht mehr.

Sein Banknachbar, ich glaube Günter Breidinger, hatte dabei mehr Glück. Da sich Walter immer mehr auf dessen Seite ausbreitete und unter leisem Stöhnen begann, ihn im Schlaf liebevoll zu umarmen, gelang es ihm, Walter durch ein kurzes, aber heftiges Kneifen in die Bauchgegend ins reale Leben zurück zu holen. Walters heftige Aufwachreaktion in seinem Heimatdialekt: „Hargottzack, i hänn grad so sche dräumd und du Saubeitl weckscht mi auf, hatt dess denn jetzat sei müsse!!!!“

Da konnte sich sogar Herr Brellier ein kleines Lächeln nicht verkneifen.

Nicht nur die Stimme und das Temperament von ihm waren ein Ereignis. Er hatte zusätzlich die Angewohnheit, seine Themen an der Tafel mit bunter Kreide zu illustrieren. In seinen kurzen Denkpausen drückte er die jeweils von ihm in der Hand gehaltene Kreide an seine Lippen und betrachtete sein Werk prüfend an der Tafel. Dadurch färbte er seine Lippen und den äußeren Mundbereich, von ihm unbemerkt, bis zum Ende des Unterrichts so bunt wie bei einem Zirkusclown. Was für ein herrlicher Anblick.

Im Lehrplan waren auch Referate vorgesehen, die von uns freisprechend vor der Klasse gehalten werden mussten. Das Thema war egal, nur die Länge von zwanzig Minuten sollte nach Möglichkeit nicht überschritten werden. Es lag bei dem Referenten, ob er Hilfsmittel in Form von beispielsweise Dia-Projektor, die Tafel oder Gegenstände in Bezug auf die Thematik verwenden mochte.

Ich wählte, weil naheliegend und ich dazu noch wusste, dass Herr Brellier auch Fan vom FC Bayern München war, das Thema „Jugendarbeit beim FC Bayern München“. Ich lieferte mit meinem Hintergrundwissen eine Klasseleistung ab und spürte, dass er mir direkt an den Lippen hing und ich stundenlang hätte weiterreden dürfen. Nachdem ich mit meinem Referat nach circa zwanzig Minuten fertig war, wurde ich von ihm aber „nur“ mit der Note 2 bewertet.

Herr Brellier erklärte, dass es eines der besten Referate war, die er je gehört hatte, die Note 1 aber leider nicht vergeben konnte, da ich den ganzen Vortrag auf „bayerisch“ also nicht „hochdeutsch“ hielt. Über meine Antwort, dass wir ja unseren geliebten bayerischen Dialekt gewohnt sind und mich hier eigentlich jeder versteht, lächelte er nur ganz milde und fuhr fort mit den Worten: „Herr Gruber, da haben Sie sich aber jetzt schwer getäuscht und nicht an die Schwaben und die Franken gedacht“. Da meldete sich sofort mein wachgebliebener Kollege aus Illertissen, Walter Backer und widersprach vehement: „Herr Brellier, des stimmt nedda, i hänn fei jeeds Wort sakrisch guad verstanda“. Dieser nahm dies wiederum lächelnd zur Kenntnis aber eine nachträgliche Änderung in eine Note 1 gab es leider trotzdem nicht.

Ein legendäres Referat lieferte unser Angerer Ringer Manfred ab. Er wählte, da er ja in der Nähe von Bad Reichenhall wohnte, das „Salz“ zu seinem Thema. Zur Anschauung für die Zuhörer hatte er aus dem Speisesaal in verbrecherischer Art und Weise unbemerkt eine kleine Büchse mit „Bad Reichenhaller Spezialsalz“ entwendet.

Mehr Aufwand war ihm das Referat seiner Einlassung nach sowieso nicht wert.

Mit dieser Büchse trat er vor die Klasse, ließ das Salz darin auf das Lehrerpult rieseln und hielt seinen Vortag aus dem „Stehgreif“. Seine ersten Worte waren: „So meine Herrschaftn, wos is des? Genau, des is a Soiz und des beste gibt’s nur bei uns, des is as Spezialsoiz vo Reichahoi und kummt ausm Berg!“

Das Referat hatte alles. Vereinte Fachwissen und Humor, einfach grandios. Leider reichte es für Manfred aber auch nur für die Note 2.

Wer do drauf kimmt warum woi nachad, griagt a Hoibe Bier extrig!

Ein bemerkenswerter Zeitgenosse war auch Polizeikommissar Banz. Er war mit der Unterrichtung des Faches Allgemeines Sicherheitsrecht, kurz AS genannt, beauftragt.

Ein kleiner, etwa 165 cm großer Narzisst, mit seitengescheiteltem schwarzem Haar und einem winzigen Oberlippenbärtchen. Er versuchte verzweifelt, uns die trockene Materie der Paragraphen nahezubringen. Hier war aber einfach nur auswendig lernen gefragt und neben den Gesetzestexten im Buch erklärende Randnotizen anzubringen.

Mein Gott war das eine langweilige und öde Geschichte.

Freund Willi fielen des Öfteren seine kleinen Äuglein zu und Herr Banz bemerkte dies natürlich. Ganz leise schlich er sich an um ihn dann mit dem aus nächster Nähe gebrüllten Satz: „Harritttzzzzzz, von was sprach ich gerade jetzt in diesem Moment!!!“ jäh aus seinen Träumen zu reißen.

Der so aus dem Traumland Gerissene schreckte unvermittelt hoch. Er artikulierte schlaftrunken und stehend seine Unterrichtserinnerungen, bevor er sich von der realen Welt verabschiedet hatte. Da diese ja schon lange nicht mehr aktuell waren, gab es von Polizeikommissar Banz die Bestrafung mit den Worten: „Harritzzzzz, setzen! Das ist selbstverständlich eine mündliche Note 6!!!“ Willi fiel aus allen Wolken und wehrte sich lautstark und weiter stehend gegen so eine himmelsschreiende Ungerechtigkeit. Banz benotete ihn daraufhin wegen Ungehorsam gleich nochmals mit einer 6 und als Willi schrie, dass er jetzt zum Hundertschaftsführer gehen und sich beschweren würde, bekam er die dritte mündliche 6.

Willi war leichenblass und konnte von mir nur mit Müh und Not beruhigt werden. Er schaute mich an und sagte: „Wart no, den kauf i mir scho no, des hod der ned umsunst gmachd!“

Wer jetzt glaubt, dass sich der schlaue Willi auf irgendeinen körperlichen Blödsinn einließ, sah sich getäuscht.

Seine „Rache“ war rein psychologischer Art. Irgendwie mochte man es nicht glauben, aber er fand eine unglaubliche Begeisterung beim umfangreichsten Thema im AS, dem polizeilichen Schusswaffengebrauch gegen Personen und Sachen. Wie besessen lernte er den längsten und schwersten Paragraphen höchst konzentriert komplett auswendig. In einer schriftlichen Zettelarbeit schaffte er als einziger der Klasse die Note 1. Sehr gut gemacht Willi!

Kommissar Banz unterstellte ihm vor allen anderen bei der Herausgabe der Arbeiten, dass diese Note aufgrund seiner vorherigen Leistungen nur mit betrügerischen Mitteln zustande gekommen sein konnte, da im Tiefschlaf noch niemand etwas gelernt hat. Er wollte autoritär sein und Willi vor der ganzen Klasse blamieren, weil er ihm halt schon gar nichts zutraute. Er forderte ihn auf, ihm jetzt und vor allen anderen den Paragraphen des Schusswaffengebrauches unverzüglich auswendig aufzusagen. Er setzte sich siegessicher ans Lehrerpult und wartete auf Willis erhofften blamablen Auftritt.

Doch jetzt kam Willis Stunde!

Er begann, den umfangreichen Inhalt auswendig Wort für Wort und ohne zu stocken vorzutragen. Herr Banz wechselte zur Gesichtsfarbe kalkweiß und wurde, ob des Fachwissens meines Freundes, noch kleiner als er schon war. Jede noch so schwierige Nachfrage seitens der Lehrkraft wurde von Willi souverän beantwortet. Um nun eine größere Blamage seinerseits zu verhindern, blieb ihm also nichts anderes übrig als seine „Niederlage“ einzugestehen und Willi für seine herausragende Großtat noch einen mündlichen Einser zusätzlich zu verleihen.

Der zwinkerte mir anschließend zu und sagte glücklich: „Schaug eam o wiar a etz ausschaut, des bläde Gfries zum segn is für mi die reine Genugtuung!“

Er stolzierte nach dem Unterricht mit einer gefühlten Körpergröße von ungefähr vier Metern an dem immer noch verdutzten und stummstaunenden Lehrkörper vorbei in seine wohlverdiente Pause.

Blaulichtgschichten

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