Читать книгу Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten - Günter Billy Hollenbach - Страница 12
Samstag, 20. Juli
ОглавлениеIhre Freundin Sabine hat Mona zu sich nach Frankfurt eingeladen.
Zeit nur für mich. Eine knappe Stunde Hantelbank in ruhiger Konzentration, anschließend Duschen, ein Pott grüner Tee, dazu Jogurt, Banane und ein knackiger Proteinriegel. Ich mag diese Form der Freizeitgestaltung aus Körperbelastung, Tagträumen und anschließender Belohnung.
*
Gießen hat Mona als überwiegend enttäuschend beschrieben.
Das Studienangebot sagt ihr zwar zu. Doch die Stadt fand sie dröge. Ich dachte, die hätten wenigstens eine historische Altstadt, die etwas hermacht, mit richtig vielen Fachwerkhäusern in winkligen Gassen, hat sie donnerstags beim Abendessen gemuffelt.
Noch weniger angetan war Mona von den Gegebenheiten in Sachen Wohnen. Eine Stecknadel im Heuhaufen ließe sich leichter finden als eine kleine Wohnung in vertretbarer Nähe zur Universität, von den Wuchermieten gar nicht zu reden. Dafür könnte sie gleich ins Hotel gehen, befindet sie. Das Zimmerangebot in Wohngemeinschaften dürfte sich zwar günstiger gestalten. Aber mit Leuten zusammenleben, die nächtelange Party feiern und sich den Rest der Zeit um das Kloputzen und die Müllbeseitigung streiten?
„Tut mir leid, dafür bin ich zu alt und zu ordentlich,“ eröffnet sie mir.
Wäre ich nicht drauf gekommen.
Später am Abend tut Mona das Erwartete.
Sie kommt, bereits bettfein, ins Schlafzimmer. Ich verstaue gerade meine zwei frisch geputzten Pistolen in den Kleintresor. Mona hockt artig auf der Bettkante, bis ich vom Händewaschen zurück bin. Schließlich erkundigt sie sich mit mädchenhaftem Klang in der Stimme. Wenn sie mich ganz lieb bittet, ob ich mich an die Vorstellung gewöhnen könnte, dass sie für einige Semester bei Mahina und mir wohnt. Falls ihre Entscheidung auf ein Studium in Frankfurt fallen sollte. Es ist aber noch alles offen, ehrlich, Berkamp?!
Ich beiße mir, wie man so sagt, auf die Zunge, um nicht loszulachen.
Bekräftigung durch Infragestellen zum Schein, obwohl die Sache längst beschlossen ist. Die Verhandlungskünste meines Mona-Herzchens in Aktion. Erwartungsgemäß verziehe ich den Mund, gebe den Nachdenklichen. Mit der gebotenen Verzögerung knie ich nieder, lege die Handflächen zusammen, flehe hörbar unernst:
„Hochgeborene, zutiefst verehrte Mona, bitte erweise mir die Ehre deiner Anwesenheit für die nächsten hundert Jahre.“
Worauf sie die Nase rümpft, erhobenen Hauptes von der Bettkante aufsteht und über die Schulter erklärt:
„Sehr wohl! Etwas Anderes habe ich nicht erwartet, Johann!“
Als ich wieder stehe, fällt sie mir strahlend um die Hals und sagt ein schlichtes „Danke dir, Bear.“
„Endgültig entscheiden wir das, wenn Mahina zurück ist, okay?“
„Nöh, kommt nicht in Frage,“ hält Mona selbstsicher dagegen.
„Sie hat bereits vor ihrer Abreise zugestimmt.“
Phantastisch. Meine Frauen.
Doch dann schnappt Mona meine Hände, schaut zu Boden und sagt halblaut:
„Und, Bear, wenn ich wie bisher neben dir schlafe, das hat mit der Entscheidung nichts zu tun, verstanden. Auch wenn es zwischen uns so bleibt, wie es ist. Was den Sex betrifft.“
Sie ist und bleibt ein Schatz, meine Mona.
*
Samstags ist Tochter Claudia in Santa Fe besser erreichbar als während der Woche. Beim Spülen meines Teepotts beschließe ich, sie anzurufen. Dank des Zeitunterschieds von acht Stunden ist es in Neu-Mexiko erst kurz nach neun vormittags. Das wenig benutzte Satelliten-Telefon liegt in meinem Schreibtisch.
Auf dem Weg dorthin klingelt das Festnetztelefon in der Diele. Im Sichtfeld erscheint die für mich nichtssagende Nummer eines Mobiltelefons.
„Ja, bitte.“
In Erwartung lästiger Telefonwerbung habe ich mir angewöhnt, mich ohne Namensnennung zu melden.
„Herr Berkamp?! Robert Berkamp?!“
Eine vor Erregung hell flatternde Frauenstimme.
„Ja, der bin ich. Mit wem spreche ich? Worum geht ’s?“
„Bitte! Sie müssen sofort kommen!“
„Ich muss?,“ unterbreche ich. „Wer sind Sie?“
„Ja, nein. Es ist etwas Schreckliches passiert. Bitte ...!“
Mona, hoffentlich ist nichts mit Mona! Wie heute steht mir augenblicklich das Bild ihrer offenen Halsschlagader unter meinen blutnassen Fingern vor Augen. Zugleich pulst mein Herz spürbar stärker. Zudem durchfährt mich ein Funke Zorn auf die Anruferin und ihre Art, mich in Aufruhr zu versetzen.
Ich unterbreche sie schroff.
„Halt! Wer sind Sie? Was ist passiert?“
Die Frau schnüffelt, kämpft wahrscheinlich gegen Tränen, braucht eine halbe Ewigkeit, bis sie antwortet.
„Sandra, hier ist Sandra. Wir kennen uns ...“
Ein Glück, nicht Sabine, deren Stimme ich vielleicht nicht sofort erkannt habe. Auch kein Personal einer Polizei- oder Unfallstation.
„Augenblick, ich fürchte, nein; Sandra wer?“
Der Name sagt mir im ersten Anlauf nichts.
„Sandra Aschauer, Doktor Aschauer, Claudias Freundin seit ...“
„Ist etwas mit Claudia?“
„Wie? ... Claudia? Nein, wieso? Es ist hier. Bitte, ich flehe Sie an, bitte kommen Sie her, ich weiß mir keinen Rat! Es ist etwas Schlimmes passiert. Ich brauche dringend Hilfe. Und vertraue Ihnen.“
Ich Blödmann hätte das Telefon klingeln lassen sollen.
„Gut, ich höre.“
Was man eben so sagt.
Nichts ist gut.
„Claudia hat mir Mut gemacht, ... Sie zu fragen. Weil ... weil Sie sich mit so etwas auskennen und ...“
Sie schnieft laut Rotze durch die Nase.
„Entschuldigung, ich bin ganz durcheinander. ... und weil Sie Verbindungen zur Polizei haben.“
Vor Erleichterung gönne ich mir zwei tiefe Atemzüge, spreche bewusst langsam weiter, um die Frau zu beruhigen. Und als kleine Vergeltung für den Schrecken, den sie mir im Auftakt bereitet hat.
„Jetzt mal langsam. Ist jemand verletzt, Frau ...?“
„Aschauer. Schlimmer.“
Oh. Da ist ein Mensch ums Leben gekommen.
Was sonst bedeutet ihre Antwort.
„Ein Unfall? Oder sprechen Sie von einer Gewalttat.“
„Ja.“
Ich hole erneut tief Luft. Das „Ja“ gilt wohl einer Gewalttat. Damit ruft die Frau ausgerechnet mich an, Claudias Freundin hin oder her. Samstag Nachmittag gegen fünf. Muss ich mir das antun? Dazu eine Autofahrt, wer weiß wie lange? Dann ist der Abend für mich gelaufen.
„Bitte, Herr Berkamp!“
„Wo sind Sie?“
„Ganz in der Nähe, ,Schöne Aussicht’ in Niederhöchstadt, praktisch ihre Nachbarschaft.“
Na ja, das geht. Und Claudias Freundin.
„Kenne ich, nette Wohngegend. Auf eine Minute mehr oder weniger kommt es jetzt nicht an; sehe ich das richtig, Frau Aschauer?“
Sie schluckt beinahe grunzend.
„So gesehen, ja. Bitte, es ist dringend, ehrlich.“
„Also gut. Wenn Sie mir versprechen, niemanden hereinzulassen, nichts anzufassen und mit keinem zu sprechen, komme ich. Wir beraten, was zu tun ist. Sie wissen, ich bin keine Polizei.“
„Eben deshalb brauche ich Sie, bitte Sie zu kommen.“
„Okay, geben Sie mir zehn Minuten. Hausnummer? Also, beruhigen Sie sich. Und unbedingt alles unverändert lassen. Versprochen?“
„Ich verspreche es. Vielen Dank, wirklich.“