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Es gibt Ereignisse, die gehen dir unter die Haut.

Obwohl du dich, wie ich, bereits sechzig Jahre auf dieser Erde umtust. Du denkst, so leicht haut dich nichts mehr um. Weil du – gerade in letzter Zeit – Dinge erlebt hast, die Nerven kosten, Angst machen, sogar das eigene Leben in Gefahr bringen. Durch Zufall oder mit Absicht. Auch dank einer Kriminalhauptkommissarin als Lebenspartnerin.

Dank ihres Einflusses bin ich bei manchen Dingen abgebrühter geworden. Abgestumpft hat es mich nicht, glaube ich jedenfalls. Die Bandbreite meiner Gefühle hat zugenommen. Gelegentlich spüre ich, dass ich empfindlicher geworden bin für das Leid von Menschen, zumal wenn ich ihm unmittelbar begegne. Und nachsichtiger bezüglich Irrtümern und Fehlverhalten.

Früher kamen mir schneller abfällige Bemerkungen, laute Zurechtweisungen oder auch beleidigende Sprüche über die Zunge. Jetzt rede ich mit mehr Bedacht, achte stärker auf meine Intuition. Erfahrung ist ein wertvoller Lehrmeister. Als Organisationsberater einer Consulting-Firma habe ich länger als zwanzig Jahre namhafte Zulieferbetriebe für den Automobilbau im In- und Ausland betreut.

Seit gut vier Jahren verdiene ich mein Geld als freiberuflicher Verhaltenscoach. Das gestattet mir einen komfortablen Umgang mit der Arbeitszeit. Auch ohne psychoanalytisches Gefasel, das mir stets zuwider war, vermittelt das Coachen mir immer wieder lehrreiche Einblicke in die inneren Befindlichkeiten von Mitmenschen. Eigenen Abstand zu ihren Seelenfalten zu wahren gehört zu meiner Berufsauffassung als bekennender Anhänger des Neurolinguistischen Programmierens in Verbindung mit Energie-Arbeit.

Mein Verhalten im Alltag hat sich verändert. Rüpeleien oder gar Bösartigkeiten von Mitmenschen nehme ich beinahe sportlich als Denkanstöße; selbstverständlich auch als Aufforderung zum Selbstschutz. Aber erst in zweiter Linie als Anlass zum Einschreiten oder gar Zurückschlagen. Abwarten gilt mir als Zeichen von Umsicht, nicht von Unentschlossenheit. Mit Zögern hat das wenig zu tun. Wenn nötig, entscheide ich sehr schnell. Etwa, wenn jemand mich angreift. Dafür halte ich mich ordentlich fit und beweglich.

Seit einem Jahr habe ich – ausgelöst durch sehr unschöne Erlebnisse – eine neue Einstellung zum Umgang mit Schusswaffen entwickelt. Auch das gehört für mich zur Lernfähigkeit. Früher war ich Kriegsdienstverweigerer. Heute besitze ich eine amtliche Waffenerlaubnis und bin ziemlich gut im Umgang mit Pistolen.

Meine Hauptkommissarin kann es bestätigen.

Wie gesagt, manche Ereignisse gehen mir dennoch unter die Haut.

Nicht das Geschehen selbst. Die Menschen darin berühren mich. Die mit ihrem Tun immer wieder Rätsel aufgeben. Etwa, wie sie ihr Leben in Verschweigen, Lüge und Täuschung einrichten. Und unbeirrbar darauf vertrauen, damit durchzukommen. Aber fast zwangsläufig scheitern; über kurz oder lang, mal erbärmlich, mal grausam.

Es braucht Genauigkeit, um zu unterscheiden, ob die Menschen oder die Umstände verantwortlich sind für das, was geschieht. Um Wegmarken zu finden, an denen eine Person hätte anders handeln können. Wo alles zu einem guten Ende hätte führen können.

Vielleicht.

Oft kommen solche Gedanken später, manchmal zu spät. Weil du längst Teil des Geschehens bist. Es erfasst dich, lässt dich nicht mehr los. Eine ungewöhnliche Beobachtung, eine überraschende Bitte; du gehst darauf ein, zunächst aus reiner Gefälligkeit. Eh du dich versiehst, stehst du betroffen da; begreifst vor allem, wie wenig du verstehst. Siehst nur Schatten von Menschen, findest Spuren ihrer Taten, die zu Bruchstücken hilfloser Einsicht führen. Und gelegentlich einem gehörigen Maß an Trauer.

Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten

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