Читать книгу Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten - Günter Billy Hollenbach - Страница 19

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Das Licht im Zimmer brennt noch. Doch der Raum riecht anders, zumindest kommt es mir so vor.

„Mindestens ein paar Stunden,“ befindet Vera. „Stell den Koffer da an die Tür und verzieh dich.“

In der kurzen Zeit.

Was bleibt von einem Menschen? Vor Stunden noch voller Leben, Wünsche und Träume. Geliebt, vielleicht auch gehasst, jedenfalls ein Mensch und als solcher unendlich wertvoll. Ich hocke mich auf den Treppenteppich und spüre das Seelenelend in mir aufsteigen.

Durch die angelehnte Zimmertür sehe ich etliche Lichtblitze zucken, höre wenig von dem, was Vera tut. Nach einer Weile klingt leises Sprechen heraus; sie diktiert ihre Wahrnehmungen in einen Digital-Recorder. Die Stoffauskleidung der Wände sorgt für eine wirksame Geräuschdämpfung.

Gut fünfzehn Minuten später verlässt Vera den Raum, schiebt ihren halboffenen Arbeitskoffer mit dem Fuß vor sich her, zieht die Tür ins Schloss und klebt ein Stück oberhalb des Türgriffs ein Dienstsiegel in den Winkel zum Türrahmen.

Sie setzt sich zu mir auf die Treppenstufe.

„Nimm mich mal in den Arm, Robert. Nur kurz.“

„Na, komm her, Du Schatz.“

Ich lege meinen rechten Arm um ihre Schultern und ziehe sie sanft gegen meine zähe Lederjacke.

„Gott, was für ein Unglück. Ein hübsche Frau,“ stöhnt Vera langgezogen in sich hinein.

Als ich sie wieder loslasse, rücke ich etwas weg von ihr, um mich seitlich zu ihr zu drehen.

„Bis auf die Augenlider habe ich nichts berührt, Vera.“

„Gut gemacht. Danke. Das finde ich immer am härtesten, die Augen. Wenigstens gibt es keine Fliegen hier unten. Diese Entwürdigung bleibt ihr erspart.“

Sie dreht sich ebenfalls zu mir. Ihr freundliches Gesicht ist weit weg von dem gewohnten Strahlen.

„Also, was haben wir? Ein Sex-Spielzimmer wie im Lehrbuch. Und eine hübsche Frau. Bei der Aufmachung wird man sie wohl als Domina bezeichnen, Fachrichtung Sado-Maso, einverstanden?“

Ich entscheide mich für Zurückhaltung mit voreiligen Schlüssen. Meine Gehirnzellen befinden sich noch im Zustand der Datenverarbeitung.

„Dein Fachgebiet, Vera. Ich kann da nur mit dummen Fragen aufwarten. So wie es aussieht, denke ich, hast Du recht.“

„Eine vorläufige Annahme. Kennst Du die Tote, Robert?“

„Nein, ich habe ihren Namen vorhin zum ersten Mal gehört. Ich war noch nie hier, bin der Dame vorher noch nicht begegnet.“

„Wieso bist Du überhaupt hier?“

Ich berichte von dem Telefonanruf und meiner Rücksprache mit Tochter Claudia.

Vera springt auf, zieht aus dem Arbeitskoffer ihr schlankes, silbergraues Aufzeichnungsgerät heraus, setzt sich wieder zu mir, beginnt mit „Ergänzende Feststellung“ und spricht ein paar Sätze zu meiner Person und die Erklärung für meine Anwesenheit in das Gerät.

„Schön,“ nickt sie mir zu. „Ich habe die Fesseln gelöst und sie zusammengelegt, die Frau. Dann kann sie wenigstens unbeschadet transportiert werden. Die Leichenstarre dürfte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Breite, kräftige Schlaufen mit starken Metall-Ösen und Klettenband; keine Chance, sich selbst daraus zu befreien.“

Ich warte, ob sie mehr sagen will.

Vera starrt in Gedanken vor sich hin.

„Aber sie wollte sich befreien?“

„Keine Frage.“

Sie schaut mich forschend an, bis ich rot werde; worauf ihr Blick sich aufhellt.

„Sag mal laut, Robert! Was hast Du eben gedacht?“

„Wirres Zeug.“

„Höre ich gern. Sag schon.“

„Sie ist allein gestorben, ohne eine anwesende Person. Ist nur so ein Gefühl in mir. Und ... ich wüsste gern, wie das geht. Wie sich das anfühlt, so dazuliegen, völlig wehrlos.“

Vera neigt den Kopf ein wenig, zieht den Mundwinkel wie bei einem Augenzwinkern zur Seite.

„Hä! Macht dich das womöglich an?! Sollen wir es mal ausprobieren?“

Als ich begreife, wie sie mich verstanden hat, lache ich verlegen.

„Mensch, Vera, Du spinnst. Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Obwohl, falls Du gerade eine Einladung ausgesprochen haben solltest, bin ich nicht abgeneigt, wenn auch nicht an diesem Ort. Im Ernst! Was ich meine? Ich stelle mir vor, wie man da liegt.“

„Na und, siehst Du doch.“

„Nein! Überleg doch mal. Du bist gefesselt. Für die Frau ist das wahrscheinlich eine alltägliche Sache. Ihre Lage erscheint aufreizend, ist aber nicht zwangsläufig unbequem. Halbwegs erträglich. Wieso fügt sie sich nicht einfach ...“

„Sich fügen, wie? Wem? Verstehe ich nicht,“ unterbricht Vera.

„Indem sie ruhig liegen bleibt und wartet, bis ihre Freundin erscheint, die Frau Aschauer? Das meine ich. Selbst wenn die nicht gleich ins Zimmer kommt und sie befreit. Einfach gesagt, dann liegt Petra eben ein paar Stunden da. Das ist irgendwann nicht mehr lustig oder sexy, aber eine ganze Weile verkraftbar, verstehst Du?“

In Veras Augen blitzt ein Funke auf.

„Interessant, gefällt mir. Dringend pinkeln musste sie auch nicht. Davon hätte man jetzt etwas gesehen. Unerträglich kühl ist der Raum auch nicht. Wir zwei sind gut zusammen, Robert. Weißt Du das?!“

Sie steht unerwartet auf, kramt aus ihrem Koffer eine Lupe hervor, durchtrennt das Papiersiegel und verschwindet in dem Zimmer. Als sie zurückkommt, wirft sie die Lupe in den Koffer, lässt das zerrissene Türsiegel unbeachtet. Sie hockt sich wieder zu mir, legt ihre linke Hand auf mein rechtes Knie.

„Du hast mich auf einen Gedanken gebracht. Ich bin zwar keine Pathologin, aber ... in den Pupillen oder um die Augen, die typischen Einblutungen bei einer klassischen Erstickung finden sich nirgends; auch keine erkennbaren Druckstellen im Gesicht, wie von einem fest aufgepressten Kissen. Aber die Frau liegt nicht zufällig so verbogen da. Sie hat heftig an den Fesseln gezerrt. Frage, demnach: Wer oder was hat sie in Angst, womöglich in Panik versetzt? Warum wollte sie auf keinen Fall liegen bleiben und warten?“

„Frag mich etwas Leichteres, Vera!“

„Gift oder Gas. Jedenfalls fällt mir das als Erstes ein. Jemand hat sie vergiftet, sie hat sich ahnungslos fesseln lassen. Dann verkündet der Täter ihr höhnisch, was er ihr verabreicht hat und verzieht sich. Oder sie ist gefesselt und erfährt, dass jemand das Zimmer mit Gas füllt, unter der Tür durch. Kohlenmonoxyd wäre nicht undenkbar.“

„Pah, irre! Also brauchen wir die Todesursache.“

„Hiermit beschlossen, wir hängen uns rein in den Fall. Die Frau wandert in unsere Rechtsmedizin. Komm, Robert, lass uns tätig werden.“

Frau Aschauers leicht überprüfbares Alibi, ihre Fahrt in das Autohaus, behalte ich für mich. Ich glaube der Frau, möchte aber Vera gegenüber nicht den Eindruck des Vordrängelns erwecken. Sollen sie und der Kollege aus Hofheim erst einmal Frau Aschauer befragen. Später wird sich mit Vera immer noch die Gelegenheit bieten, die Darstellungen zu vergleichen.

Wenn sie übereinstimmen, um so besser.

*

Vera spricht, halb gehend, halb stehend, nahe der Windfangtür angeregt in ihr BlackBerry.

Frau Aschauer liegt im Wohnzimmer auf einer breiten, dunkelgrünen Ledercouch, die quer vor dem großen, aus grob behauenem Grünstein gemauerten Kamin steht. Ich ziehe einen Ledersessel heran. Als ich sitze, ruckt die Aschauer empor und setzt sich in einer schwungvollen Drehbewegung mir gegenüber. Sie hat sich das Gesicht gewaschen und ein wenig geschminkt, sieht zwar erschöpft, aber beträchtlich hübscher aus als bei meiner Ankunft.

„Oberkommissarin Conrad hat alles dokumentiert und die Fesseln gelöst. Sie verständigt die Kollegen in Hofheim und den Amtsarzt. Hofheim ist für hier zuständig. Aber sie will den Fall von Frankfurt aus weiterbetreuen und ...“

„Vielen Dank. Geht das ohne Weiteres?“

„Hoffen wir es. Die Amtsbezirke lassen sich ungern von anderen reinreden. Nicht bloß, weil es entsprechend geregelt ist. Das hat manchmal etwas mit Fachwissen zu tun, mit Arbeitsbelastung, aber auch mit der Medienaufmerksamkeit, die ein Fall erregt. Falls die Kollegen sich nachher deswegen kabbeln, hören Sie einfach nicht hin.“

Sie nickt unsicher.

„Bleiben Sie noch hier, Herr Berkamp? Bitte, ja?! Das wäre mir wirklich lieb. Wir können auch ein Honorar vereinbaren. Schließlich opfern Sie Ihren Nachmittag und ...“

„Einverstanden. Als Honorar ein Pott Tee für Vera Conrad und mich.“

„Na, klar. Kommen Sie mit in die Küche.“

Vera steht vor der Eingangstür und telefoniert lautstark, was bei ihrem freundlichen Wesen etwas heißt.

„Sagen Sie, Frau Aschauer,“ frage ich über das zunehmend laut bollernde Teewasser, „Sie wären in jedem Fall hierher zu Petra gekommen nach Ihrem Besuch bei dem Autohändler.“

„Ganz sicher, wir wollten zusammen in die Stadt; was essen und ins anschließend Kino gehen.“

„Und als sie kamen, war die Eingangstür verschlossen. Also, ohne Schlüssel kommt man nicht ins Haus.“

„Ja. Wir haben eine Alarmanlage; Bewegungsmelder im Garten, die rote Alarmleuchte unter dem Dach. Und Druckfühler an der Eingangstür. Die Anlage war ausgeschaltet. Das ist normal, wenn wir da sind.“

„Sie sprachen von einem Haus gegenüber. Wohnen Sie dort?“

„Ja und nein. Zeige ich Ihnen später. Wir lieben die Abwechslung, wohnen in beiden Häusern; drüben sind meine Praxisräume.“

Oh, oh? Etwas Ähnliches wie hier? Nur in schwarz statt rot?

*

„Oh, ja, Tee! Ich habe einen Riesendurst,“ platzt Vera dazwischen und wirft sich auf den nächsten freien Küchenstuhl. „Und wenn Sie etwas zu knabbern hätten, einen Keks oder einen Apfel ...“

„Bitte sehr, bedienen Sie sich.“

Vera greift nach einer der vollen Teetassen, geht zur Edelstahlspüle, schüttet einen Schwapp Tee weg und füllt kaltes Wasser nach. Ich tute es ebenfalls, trinke einen langen Schluck.

Frau Aschauer bemüht sich um ein nachsichtiges Lächeln.

„Stimmt, ich mache das auch ganz gern. Wenn ich Durst habe und ungeduldig bin mit dem vielen Pusten.“

Vera nimmt einen Schluck, verdreht die Augen, verzieht die Lippen, schmeckt hörbar den Tee.

„Könnte ich vielleicht ...“

„Bitte, tun Sie sich keinen Zwang an. Hier, Honig, Zucker haben wir keinen. Obst steht dort auf dem Seitenbrett.“

Vera rührt in ihrer Tasse herum, bleibt vor Frau Aschauer stehen.

„Also, Hofheim weiß Bescheid. OK Brückner ist auf dem Weg hierher. Der Amtsarzt ist benachrichtigt, kommt von Schlossborn runter, dauert mindestens noch eine halbe Stunde.“

„Vielen Dank, Frau ... Frau?“

„Conrad, Vera Conrad. Mein aufrichtiges Beileid, Frau Aschauer. Petra ist, war eine sehr hübsche Frau. Es ist einfach schade. Viel mehr kann man da nicht sagen. ... Wenn man ehrlich ist.“

Sie setzt sich wieder, reißt eine Banane auf und beißt ein Stück ab. Im Kauen beugt sie sich zu mir und flüstert mir ins Ohr:

„Ich habe Corinna benachrichtigt. Sie kommt her. Sie kennt Brückner und hält ihn nicht für die erste Wahl bei Fällen wie diesem.“

Auch das noch!

Damit dürfte an- und aufregende Unterhaltung für den restlichen Nachmittag beziehungsweise Abend gesichert sein.

Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten

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