Читать книгу Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten - Günter Billy Hollenbach - Страница 13

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Was halte ich denn davon?

Eine wildfremde Frau, in höchster Not, ruft mich an.

Am geruhsamen Samstag Nachmittag. Immerhin überzeugend genug, dass ich „Ja“ sage. Das Gespräch kaum beendet, hole ich das Satelliten-Telefon, trete auf den Balkon, drücke Claudias gespeicherte Rufnummer. Nach dem vertrauten, sanften Klack, gefolgt von summendem Rauschen, ertönt das Rufsignal. Als hätte sie darauf gewartet, nimmt Claudia beim zweiten Klingeln ab.

„Daddy! Schön, Du bist da! Das ist gut. Hat Sandra dich angerufen?“

„Langsam, Schatz. Erst einmal ,Hallo’; bei dir ist jetzt Vormittag.“

„Lass das, Daddy; es ist dringend und wichtig. Hat sie angerufen?“

„Eine Frau Aschauer? Ja, eben gerade. Sie meint, ich kenne sie ...“

„Klar kennt ihr euch,“ fällt mein „Töchterchen“ mir ins Wort.

„Im Studium war Sandra meine beste Freundin, zumindest bis zum Physikum. Dann hat sie umgesattelt auf Psychologie. Sie ist knapp ein Jahr älter als ich, sechsunddreißig. Erinnerst Du dich, bei meiner Hochzeit, wo sie ,Oh Happy Day’ gesungen hat, nicht mehr ganz nüchtern?“

„Die ist das?! Klar erinnere ich mich daran. Eine hübsche Frau, etwas überdreht, damals.“

„Am Schluss waren wir das alle. Du musst Sandra heute mal sehen, traumhaft attraktiv und total cool. Die waren voriges Jahr hier bei uns zu Besuch. Geh hin, dann siehst Du sie.“

Zu Claudias Hochzeit trug die Frau ein eng anliegendes, hellbeigefarbiges Kleid und führte eine etwas schrille, gleichwohl laut bejubelte Abwandlung von Marilyn Monroes Geburtstagslied für den amerikanischen Präsidenten Kennedy im Madison Square Garden auf.

„Hat sie dir gesagt, was passiert ist?“

„Nein, wollte ich auch nicht wissen. Klang jedenfalls nicht gut. Wenn es nicht wichtig wäre, hätte sie mich nicht ...“

„Ist gut, Claudia-Mädchen. Ich fahre zu ihr.“

„Danke, Du bist ein Schatz. Sieh zu, vielleicht kannst Du ihr helfen. Ich mag Sandra. Aber pass auf dich auf, ... auf dein Herz.“

„Mein Herz?! Wieso das denn?“

„Sandra ist nicht nur weiblich. Sie ist sehr weiblich.“

„Oh nein! Was meinst Du damit? Hysterisch?“

„Unsinn, Daddy. Sandra ist in Ordnung. Den Rest kannst Du selbst rausfinden. Wozu hast Du denn deine Spürnase. Viel Spaß wünsche ich dir vorsichtshalber nicht. Also, mach ’s gut, Vater-Herz.“

„Danke, ich tue mein Bestes. Grüß die Kinder und Brandon.“

„Mache ich. Take care. Love you.“

Von wegen. Nichts ist in Ordnung.

Es wird ein Trip an die Tür zur seelischen Hölle.


*

Mich unbedacht an Orte oder in Verabredungen zu begeben, die mir vorab ein ungutes Gefühl erzeugen, vermeide ich wenn immer möglich. Genau so ergeht es mir jetzt mit deutlichem Kribbeln hinter der Stirn und leichtem Druck im Magen. Gewöhnlich begebe ich mich daraufhin in meinem Meditationssitz, atme in Ruhe und frage meine Intuition um Rat. Sie heißt, wie erwähnt, Cassandra, und hat nichts mit dem landläufigen Bauchgefühl zu tun.

Das Universum scheint davon auszugehen, dass ich diesen Beistand nötig habe. Eines Nachts während der Pubertät erschien sie mir, dichter und eindringlicher als ein Traum. Seither begleitet sie mich mit Rat und Schutz. Sie spricht nur Englisch, was ich mir mit meinem amerikanischen Vater erkläre. Der kam wenige Jahre vor Cassandras erstmaligem Erscheinen über Vietnam zu Tode. Wenn ich sie anrufe, zeigt sie sich meist als zwei strahlend dunkelblaue Augen gut zehn Zentimeter vor meiner Stirn.

Sie verlangt von mir einfache, klare Fragen und festes Vertrauen. Ihre Antworten erklingen unverzüglich und deutlich in mir, obwohl ich dabei ihre Stimme mehr fühle als höre.

Klingt verrückt.

Deswegen spreche ich selten darüber und erwarte nicht, auf gläubige Zustimmung zu stoßen. Selbst wenn Cassandra mich ab und zu auslacht, helfen mir ihre Antworten regelmäßig weiter. Ihre Ankündigungen erweisen sich stets als im Kern zutreffend. So zuverlässig, dass mir auch nach jahrelangem Erleben gelegentlich noch der Atem stockt. Warnungen vor Gefahren teilt sie mir zusätzlich als Bildzeichen mit, die wie in einer unsichtbaren Energiewolke rechts neben meinem Kopf erscheinen. Wenn die Wolke hell leuchtet, wird der nächste Tag erfreulich und wichtige Vorhaben verlaufen erfolgreich. Vor Autofahrten bin ich auf diese Weise wiederholt auf Unfallgefahren, sogar Radarfallen der Polizei hingewiesen worden.

Corinna hat mich wegen dieser „Gabe“ mitunter scherzhaft als durchgeknallt, zumindest beängstigend eigensinnig bezeichnet. Ich dagegen finde mich völlig normal und pflegeleicht. Mahina erklärt mir mindestens einmal pro Woche, welch einen ungeheueren Schatz ich in Cassandra besitze und ermahnt mich, ihn oft und liebevoll in Anspruch zu nehmen.

Frau Dr. Aschauer will ich nicht lange warten lassen. Also begnüge ich mich mit einer Kurzform der intuitiven Beratung. Ich setze mich an den Schreibtisch, schließe die Augen und atme durch.

„Cassandra, I need your help.“

Sofort erstrahlen ihre Augen.

„What do you want?”

„Is it okay to got to Ms. Aschauer?”

„Move! You are good to go. It will be tough. Take a gun.“

Sogleich erscheint eine dunkelrote Lichtwolke über meiner rechten Schulter und darin ein großes, schwarzes X. Ein sehr ungewöhnlicher Hinweis, die Bedeutung des schwarzen X unverständlich. Da ich weder vermehrtes Herzklopfen noch Angstgefühle spüre, folgt für mich: Es dürfte hart werden, und sinnvoll sein, eine Kanone mitzunehmen. Doch wirklich Gefährliches steht mir nicht bevor. Kaum überraschend, da die Aschauer von einer toten Person geredet hat.

Zur Sicherheit frage ich nach.

„Cassandra, will I stay safe?”

Ihre Augen nicken ermutigend.

„Just go, you are good to go.“

„Thank you, my dear.”

*

Dank des intuitiven Hinweises ist meine „kriminalistische Grundausstattung“ angesagt. Obwohl sie eigentlich zu warm ist bei dem Sommerwetter, hole ich meine schussfeste Bomberjacke aus dem Schrank und lege mein Schulterhalfter an. Entscheide ich mich für die Walther P 99. Aus Kalifornien habe ich zusätzlich eine Heckler-und-Koch USP mitgebracht; beide Waffen amtlich gemeldet. Corinna und ich üben regelmäßig Schießen, nach unserer Trennung sogar häufiger als vorher. Hin und wieder auch mit Mona.

Was Mütter und Töchter eben gemeinsam tun.

Die beiden halbautomatischen Pistolen machen jeweils bis zu fünfzehn hässliche, sogar tödliche Neunmillimeter-Löcher. Ganz sicher bin ich kein Waffennarr, schätze inzwischen aber – nicht zuletzt dank professioneller Trainer in San Francisco – den Wert eines guten Umgangs mit diesem Handwerkszeug. Angeregt durch unschöne Lerngelegenheiten, die mir eher unfreiwillig widerfuhren. Mit der P 99 habe ich zwei Menschen „nur“ ernsthaft verletzt, beide Male aus der Not des Augenblicks heraus. Mit der USP habe ich einen Selbstmord verübt; planmäßig, muss man wohl sagen. Gemäß amtlicher Feststellung der Polizei. Vor mehreren Wochen.

Nach mühsamer Suche war es mir gelungen, in einem Haus am Ortsrand von Wächtersbach die vierzigjährige „Rache-Hexe“ aufzuspüren, die Mona lebensgefährlich am Hals verletzt hatte.

Statt aufzugeben erwartete die Frau mich.

Vor meinen Augen erschoss sie einen wehrlosen Verletzten in seinem Bett. Zufällig sah ich es durch ein Fenster, wurde dabei von ihr entdeckt. Keine halbe Minute später trat sie mir neben dem Haus mit der Pistole in der Hand gegenüber, hob den Arm, erklärte, sie werde auch mich erschießen, begann ruhig bis Drei zu zählen ... und fiel tot um. Bei Eins habe ich abgedrückt. Und es nie bereut. Obwohl sich wenig später herausstellte: Die Frau hatte die auf mich gerichtete Waffe kurz zuvor absichtlich entladen.

In diesen Dingen bin ich eigen. Jede der beiden Pistolen trägt diese einmalige Erlebnisenergie in sich. Wenn Sie das für einen sonderbaren Aberglauben halten – Ihre Sache. Wie sagen Sie dazu: Meine hellsichtige „Mond-Göttin“ hat die beiden Waffen nacheinander in die linke Hand genommen, die Augen geschlossen, und unverzüglich mit bestürzender Genauigkeit in Einzelheiten die Personen und Umstände beschrieben, als damit geschossen wurde. Obwohl sie nicht dabei war und ich mit Mahina über diese Ereignisse nie ausführlich gesprochen habe.

Also, los. Geld, Waffenschein, Ausweis, Taschenkamera, Satelliten-Telefon und, ... ja, richtig, vier Latex-Handschuhe.

Unbestreitbar Corinnas gute Erziehung.

„Wenn Du mir schon ins Handwerk pfuscht,“ hat sie mir eingeschärft, „dann gefälligst so, dass Du keinen Schaden anrichtest.“

Als ich ein paar Minuten später zum Wagen gehe, weiß ich, wozu die Ausstattung gut ist. Ich fühle mich anders. Besser gerüstet für unerfreuliche Begegnungen, wacher für mögliche Gefährdungen, vorsichtiger beim Betreten ungeschützter Räume. Und umsichtiger in der Annäherung an Orte, an denen Blut geflossen ist.

Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten

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