Читать книгу Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten - Günter Billy Hollenbach - Страница 26

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Brückner, unverhofft zum Meister im Erkennen von Körpersprache befördert. Er betrachtet Corinna mit ergebenem Kopfschütteln von der Seite. Sie zieht geschäftig ein knapp handgroßes Tonaufzeichnungsgerät sowie ein graues Klemmbrett für Notizen aus der Tasche, schlägt die Beine übereinander und verkündet beiläufig:

„Los geht’s. Dieser harmlos aussehende Herr heißt Robert Berkamp, berät unser Kommissariat ... und hat Beziehungen zur Polizei in San Francisco. Er ist zum Tragen einer Schusswaffe berechtigt.“

Alle Achtung. Für sie ist der Name der Stadt ein Reizwort. Was ich im vorigen Oktober dort getrieben habe, fand ihr gesteigertes Missfallen. Auch, weil ich ihr – dank misslicher Umstände – erst nachträglich von Janey Wong und den zwei chinesischen Gangstern berichtet habe.

Brückner mustert mich unverhohlen.

„So, so,“ bemerkt er hörbar unbeeindruckt. „Herr Kriminalberater, in welcher Beziehung stehen Sie zu der Toten ... und Frau Aschauer; verwandtschaftlich, geschäftlich, privat?“

„Nichts dergleichen. Ich bin zum ersten Mal hier.“

Corinna fügt ihre Frage nahtlos an.

„Du warst noch vor OK Conrad am Tatort. Wieso kommst Du hierher, wenn ihr euch vorher nicht kanntet?“

„Claudia hat mich dazu überredet.“

„Das ist seine Tochter,“ erklärt Corinna in Brückners Richtung.

Der stutzt, blickt missvergnügt im Raum umher und verrät seine Gedanken mit Fragen, sich selbst beantworten.

„Aha, eine weitere Frau für besondere Stunden? In Beziehung zu diesem ehrenwerten Haus? Und wo ist diese Claudia jetzt? Warum ist die Dame nicht hier, obwohl sie Kenntnis hat von dem ...“

Corinna rollt die Augen, bleibt aber sachlich.

„Das geht schlecht. Claudia lebt in Santa Fe. Das liegt im amerikanischen Bundessaat Neu Mexiko.“

„Wie bitte? Wollen Sie mich auf den Arm ...?“

„Brückner, ich bitte Sie, bei Ihrem Gewicht?!“

„Ganz einfach,“ mische ich mich ein, „Claudia und Frau Aschauer sind Freundinnen. Vorhin, als sie die Tote fand, hat sie meine Tochter in Santa Fe angerufen und gebeten, mich hinzuzuziehen.“

„Gut. Weiter im Text. Ich unterstelle, Robert, Du hast dort unten äußerste Vorsicht walten ...“

„Also bitte,“ unterbricht Brückner, „die professionellen Grundregeln wird er wohl beherrschen, nach dem Auftritt, den er hier hatte. Lasst uns über den Fall reden.“

„Was hat der Amtsarzt festgestellt?,“ frage ich. Natürlich habe ich kurz auf den Totenschein geschaut, möchte aber hören, was Brückner sagt. Ihr Sprechstil gibt Hinweise auf die Art, wie Menschen denken.

Der Oberkommissar stöhnt gequält, kaut zwei-, dreimal still. Er leckt seine Lippen, beginnt halblaut, zunächst stockend.

„Wenn schon ... das Wochenende versaut, dann richtig ...“

„Stimmt,“ kichert Vera dazwischen.

Brückner verdreht die Augen.

„Danke, Ungnädigste. Egal. Eigentlich habe ich auf einen einfachen, bilderbuchreifen Mord gehofft. Ruckzuck durchermittelt; Täter wie üblich am Abend ermittelt und am nächsten Tag überführt. Aber nein! Ich fürchte, die Sache wird mühsam.“

Er seufzt verhalten vor sich hin, schaut in die Runde, als erwarte er unser Bedauern für sein schweres Berufsschicksal. Wir anderen blicken nur abwartend zurück.

„Also, gar nicht gut. Laut Amtsarzt ungeklärte Todesursache. Der Todeszeitraum entspricht der vorläufigen Annahme, die Ihre reizende Kollegin Conrad nach Einlassungen des pistoleschwingenden Herrn Kriminalberaters getroffen hat. Die Einweisung in die Rechtsmedizin wurde einvernehmlich beschlossen. Ansonsten gibt es nichts, was wir nicht bereits wissen. Die Spurensicherung ist noch nicht ganz fertig, aber einstweilen unergiebig.“

Brückner stützt die Ellbogen auf die Knie und lässt sich Zeit.

Er hat ein kleines Notizbuch und einen Kugelschreiber aus der Jacke gezogen, blättert das Büchlein langsam auf, schaut stumm vor sich hin. Auf mich wirkt er nachdenklich, beinahe unsicher.

„Ich denke, alles hier ist unter Vorbehalt zu behandeln. Und selbstverständlich vertraulich. Stimmen Sie mir darin zu? ... Das gilt auch für Sie,“ hängt er mit knappem Blick in Frau Aschauers Richtung an.

„Falls etwas von hier an die Presse geht, und Sie dafür verantwortlich gemacht werden können, sollten Sie sich warm anziehen.“

Reihum gemurmelte Zustimmung und Kopfnicken. Als unsere Blicke zu Frau Aschauer gehen, nickt sie ebenfalls.

„Ja, selbstverständlich, vertraulich.“

Ansonsten gibt sie sich als aufmerksame Beobachterin.

„Gut, weiter,“ bittet Corinna.

Brückner setzt sich aufrecht.

„Bezüglich Todesursache und Todesart sind wir noch nicht klüger. Solange diese Punkte ungeklärt sind, bleibt offen, wovon wir sprechen.“

Er räuspert sich, blickt auf sein Notizbuch, dann zu Corinna.

„Möglicherweise liegt überhaupt kein Gewaltverbrechen vor.“

Kunstpause, um dem Gesagten Nachdruck zu geben.

Okay, Mann, Ziel erreicht; weiter. Wenn Brückner so umständlich denkt, wie er spricht, sitzen wir heute nacht noch hier.

„Eine Gewalttat – zweifellos. Sicher voller Rätsel. Einen natürlichen Tod anzunehmen fällt schwer. Dagegen spricht der Zustand des Opfers, seine Auffindsituation, wehrlos, erkennbar unfreiwillig. Sie hat versucht, sich zu befreien. Es hat das gegeben, was man langläufig Todeskampf nennt. Hinweise auf äußere Gewalt fehlen; keine Schlag-, Stich- oder Schussverletzungen, auch nicht auf der Körperrückseite. Keine Würgemale, keine Gesichtsverfärbung, wie sie meist bei Ersticken durch zweite Hand auftritt. Naheliegende Frage: Hatte die Frau ein ernsthaftes Herzproblem, war sie Diabetikerin oder Asthmatikerin?“

Er spricht in den freien Raum zwischen uns, schaut nicht zu Sandra auf, die reglos und still im Türrahmen lehnt.

„Ist Ihnen davon etwas bekannt, Frau Aschauer, bezüglich des Gesundheitszustands?,“ nimmt Corinna dem Kollegen die Frage ab.

„Mir? Nein, nichts dergleichen. Petra ist ... war kerngesund.“

„Na schön,“ fährt Brückner fort. „Es können toxische Einwirkungen vorliegen, eine Drogenüberdosis oder die Verabreichung von Gift. Das muss die Blutuntersuchung zeigen. Selbst eine suizidale Absicht ...“

„Sie meinen ...?,“ unterbricht Corinna.

Brückner macht eine wegwischenden Handbewegung.

„Was ich meine, Frau Kollegin, spielt keine Rolle. Aber es ist schon vorgekommen, dass Leute Selbstmord begehen wollen, sich in eine Ablenkungslage bringen, aber im letzten Augenblick ihren Entschluss bereuen. Bei einer Überdosis Tabletten kommt die Reue allerdings zu spät, wenn man sich vorher selbst gefesselt hat.“

Corinna schaut fragend zu Vera, dann zu mir.

Vera nickt verhalten. Mir fällt nur „klingt gut“ ein.

Im Geist bin ich zwar auch im Keller, folge aber einer völlig anderen Gedankenlinie. Diese außergewöhnliche Empfindung ... dieser stumme Schrei unvermittelt beim Öffnen der Tür. Hätte ich das Zimmer achtsamer betreten können? Ich brauche mehr Ruhe. Müsste allein sein, um all die Eindrücke erneut wachrufen zu können.

Vera räuspert sich kurz.

„Sehr einverstanden, Kollege Brückner. Ich denke, bei dieser Sachlage haben Frau Aschauer und Herr Berkamp ein Lob verdient. Dafür, dass sie uns zügig eingeschaltet haben ...“

„War ja wohl das Mindeste,“ unterbricht der Oberkommissar.

Vera spricht ungerührt weiter.

„Herr Kollege; haben Sie noch nie etwas von fahrlässiger oder vorsätzlicher Verbrechensverschleierung gehört?! Ich möchte nicht wissen, in wie vielen Fällen die peinlich betroffenen Angehörigen dem Arzt ihres Vertrauens gut zureden. Worauf der den Totenschein mit einer natürlichen Todesursache schmückt. Das erspart manch unangenehme Frage und unerwünschte Folgen.“

Brückner nickt anerkennend.

„Sehr richtig, Schönste. Na, denn,“ erklärt er bedächtig. „Ungeachtet der erwähnten medizinischen Möglichkeiten gibt es eine Reihe von Fragezeichen; der Ort des Geschehens, der Zustand der Frau, das Fehlen jeder Art von Einbruchsspuren. Entweder der Täter besaß einen Türschlüssel, oder die Frau muss ihm Zutritt zum Haus ermöglicht haben, höchst wahrscheinlich freiwillig. Wenn sie an der Tür überwältigt worden wäre, hätten sich Druckstellen an ihrem Körper abzeichnen müssen. Wo sie fest gepackt worden wäre, im häufigsten Fall an den Armen. Doch die fehlen, soweit sich jetzt sagen lässt.“

„Es gibt auch sonst keine Kampfspuren,“ wirft Vera ein, die sich mit Brückners gemächlicher Sprechweise schwer tut.

Der macht eine abwehrende Handbewegung.

„Bei einer vorgehaltenen Waffe fügt sich das Opfer in der Regel. Pistole, hässliches Kampfmesser; in der Hand eines großen, kräftigen Kerls mit furchterweckender Erscheinung. So verschaffte sich der Täter die Gelegenheit. Reine Mutmaßung, klar?!“

Da niemand Brückner widerspricht, fährt er flüssiger als bisher fort. „Schön. Stellt sich die Frage nach dem Motiv. Hinweise darauf und das naheliegende Geschehen finden sich im Offensichtlichen. Es gab eine Form von Sex-Spiel, das unschön entgleist ist. Die Frau lässt sich fesseln, womöglich freiwillig, derbe Wortwechsel gehören dazu, am Anfang nicht einmal ernst gemeint. Wer weiß? Es fällt ein falsches Wort, dazu eine unpassende Berührung, oder, was nicht ungewöhnlich ist, sein ... sein männliches Gerät verweigert den Dienst. Sie lacht ihn aus, er dreht durch, knebelt die Frau, hält ihr die Nase zu, sie verschluckt sich, erstickt an ihrer Zunge.“

Corinna schreibt eifrig Stichwörter mit, sagt ohne aufzuschauen:

„Wenn Sie so weitermachen, Brückner, beantrage ich Ihre Versetzung in mein Kommissariat.“

Der darauf: „Eher sterbe ich freiwillig an Herzinfarkt.“

Immerhin bringt er ein Grinsen zustande, als Vera herzhaft loslacht.

„Verstehe ich Sie richtig, Ihr Szenario liefe auf Todschlag im Affekt hinaus?,“ überlegt Corinna unverändert sachlich.

„Oder auf Mord,“ hält Brückner dagegen.

„Wieso Mord,“ wirft Vera ein, „heimtückischer Vorsatz fehlt, falls es so geschah, wie Sie annehmen.“

Brückner bedenkt sie mit einem Blick milden Bedauerns.

„Ich dachte, Sie sind die Fachfrau. Jedenfalls sollten Sie die Möglichkeit einer entsprechenden Vorprägung in Erwägung ziehen. Die meisten Morde an Prostituierten werden von Männern begangen. Ich hoffe, es bleibt bei dem einen.“

„Halt, Brückner. Wie meinen Sie das?,“ hakt Corinna nach.

„Mord an Prostituierten ist fast immer getrieben von einem tiefsitzenden Hass auf Frauen, in der Regel stellvertretend für die eigene Mutter, Tante oder große Schwester. Falls in unserem Fall jemand die innere Vorprägung von Frauenhass mitbringt – eine Kleinigkeit bringt ihn zum Ausrasten. Doch dabei entdeckt er, dass ihn das aufgeilt, und wie einfach es geht. Das Töten. Zusammen ergibt das beste Voraussetzungen für den Einstieg in eine Laufbahn als Serientäter, oder?“

Corinnas Verhalten zeigt wachsende Aufmerksamkeit für Brückners Ausführungen.

„Okay, einverstanden. Vorausgesetzt ...“

Der schiebt weitere Erklärungen nach.

„Natürlich gibt es auch Männer, die sich zu kurz gekommen fühlen. Arme Wichte, die seit ihrer Jugend vergeblich Mädchen nachgerannt sind. Voll Neid und Wut über entgegangen Sex-Erfahrungen. Die endlich haben wollen, was ihnen zusteht. Im Ernst, Leute. Die Vorstellung macht mich mindestens so nervös wie ... was auch immer. Deshalb sind für mich die nächsten Schritte: Computerabgleich, ob sich vergleichbare Fälle finden lassen. Und bezogen auf jetzt und hier: Terminkalender, Adressbuch, Kundenliste, Telefonkontakte und Internet-Auftritt der Dame auswerten. In dieser Preisklasse dürften das die gebräuchlichen Mittel der Geschäftsverfolgung sein. Der Punkt gefällt mir überhaupt nicht.“

Er hebt Stimme und Blick in Richtung Sandra Aschauer.

„Was gefällt Ihnen nicht?,“ fragt Vera nach.

Brückner starrt weiter zum Türrahmen.

„Das sehen Sie doch selbst. Nichts davon haben wir gefunden. Also, haben Sie diese Gegenstände an sich genommen, Frau Aschauer? Womöglich eilig beiseite geschafft? Kalender? Karteikasten? Handy? Einen Laptop-Computer? Das wäre so gut wie ein Geständnis. Es sei denn, Sie übergeben uns diese Sachen sofort.“

Alle Blicke richten sich auf Frau Aschauer. Die lehnt weiter am Türrahmen, zieht die Augenbrauen zusammen und erklärt unerwartet schroff:

„Selbst wenn ich sie hätte, Sie bekommen von mir nichts, nicht soviel.“

Zur Verdeutlichung wischt sie mit dem ausgestreckten linken Zeigefinger über den dunkelroten Nagel ihres rechten kleinen Fingers.

Corinna streckt ihren linken Arm bremsend in Brückners Richtung.

„Frau Aschauer, daran führt kein Weg vorbei. Wenn wir Sie als Zeugin ansehen und nicht als Beschuldigte, sind Sie verpflichtet, uns ...“

Doch die bleibt abweisend, stellt sich aufrecht und wird nachdrücklicher.

„Es gibt nichts zum Beiseiteschaffen. Petra nimmt samstags keine Termine wahr. Computer-Spielzeug, Terminkalender oder Kundenlisten besitzt sie nicht. Auch keine eigene Seite im Internet. Wenn überhaupt bespreche ich das nur mit Ihnen, Frau Sandner. Ansonsten muss ich einen Anwalt bitten ...“

Corinna wirft mir einen fragenden Blick zu. Auf mein knappes Nicken hin erklärt sie:

„In Ordnung, Frau Aschauer. Wir greifen den Punkt später wieder auf. Ansonsten, wie Kollege Brückner bereits feststellte, wir brauchen zunächst Todesart und Todesursache, um über die nächsten ...“

Der geht, auch dieses Mal bemerkenswert ruhig, dazwischen.

„Einspruch. So geht das nicht, Frau Kollegin. Wollen Sie verantworten, dass entsprechende Beweismittel vernichtet werden?“

„Ach, mein Lieber, seien Sie unbesorgt. Frau Aschauer wird sich hüten, uns zu belügen. Falls sie Beweismittel vernichtet, macht sie sich strafbar. Ich erwarte, dass sie ebenso sehr an der Aufklärung des Todes interessiert ist wie wir. Sie wird nichts tun, was sie noch verdächtiger macht, als sie schon ist.“

„Na, na, lang lebe Ihre Zuversicht. Ich lehne dafür jedenfalls die Verantwortung ab.“

Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten

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