Читать книгу Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten - Günter Billy Hollenbach - Страница 17

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Frau Aschauer sitzt bleich und stumm auf der Treppe.

Ich hocke mich wieder neben sie, komme gleich zur Sache.

„Als Sie Petra gefunden haben, erinnern Sie sich an den Augenblick, als Sie das Zimmer betraten?“

Sie antwortet unverzüglich, spricht halblaut vor sich hin.

„Na, Sie ?! Mit allem hätte ich gerechnet, nur nicht mit dem Anblick ...“

„Halt, bitte genau. Unmittelbar davor, als Sie die Tür öffnen. Haben Sie etwas Bemerkenswertes gesehen, gefühlt, gehört oder gedacht?“

Sie atmet hörbar verächtlich aus.

„Ist das eine der typischen Fangfragen aus der Polizei-Trickkiste?“

„Wenn, dann aus der Coach-Kiste. Nein, ich folge meiner eigenen Nase. Na los, gehen Sie einfach in Gedanken noch einmal zurück in das Geschehen. Sie gehen die Treppe hinab, öffnen die Tür ... und dann? Irgendwelche bemerkenswerte Wahrnehmungen?“

„Sie meinen, der Täter könnte noch in der Nähe gewesen sein? Unsinn, da war kein Mensch.“

Dazu ein unnötig heller, zurückweisender Ton in der Stimme. Wie der Anfang eines ertappten Lachens.

Selbst wenn sie es niemals zugibt, ziemlich sicher ist Frau Aschauer beim ersten Anblick der Toten eine Vermutung durch den Kopf geschossen, der Schatten eines Verdachts, wie grundlos auch immer. Jetzt mag er ihr zu abwegig erscheinen, um ihn auszusprechen. Doch sie überrascht mich und flüstert:

Was hast du gemacht, Mädchen?! Das habe ich gedacht. Keine Ahnung, warum.“

Den Satz ,Was hast du gemacht, Mädchen?!’ präge ich mir ins Gedächtnis ein, mit Frau Aschauers Stimme. Höre ihn gleich noch mal in der Erinnerung. Dabei formt sich wie von selbst ein Entschluss. Der begleitet mich von da an, schwach aber beständig wie ein kaum noch wahrgenommenes Rauschen im Hintergrund: Ich will herausfinden, was die Tote selbst mir nicht mehr erklären kann.

Unwillkürlich richte ich mich auf, greife nach Frau Aschauers rechter Hand, ziehe sie im Aufstehen mit. Okay, drängen wir das Entsetzen zurück, tun wir, was nötig ist.

„Führen Sie mich bitte kurz durch die Zimmer des Hauses. Und ein Schluck Wasser wäre gut.“

Meine Kehle ist trocken wie feiner Sand.

Wir beginnen nebenan. Ein schmaler Raum, darin links ein langer hellgrauer Metallschrank mit drei Schiebetüren, ihm gegenüber eine von durchschimmernden Plastikflächen begrenzte Duschzelle, davor ein kleines Waschbecken, ein Stuhl und eine Toilette. Es folgen ein kleiner Raum mit Sportgeräten und zwei breiten Trainingsmatten, ein aufgeräumter Abstellraum, der Heizungskeller. Schließlich eine verschlossene Stahltür an der Hausrückseite hinaus zu einer kurzen Treppe in den Garten.

Hinauf ins kleinere Obergeschoss unter dem Schrägdach zu steigen erspare ich mir. Das Erdgeschoss bietet rechts vom Hauseingang ein Wohnzimmer mit gemauertem, offenem Kamin und einem Essbereich, zum hinteren Garten ein mäßig großes Schlafzimmer, davor ein stattliches Badezimmer sowie hinter dem Kellerabgang die Küche, vorn links vor der Treppe ein sparsam ausgestattetes Arbeitszimmer. Die Zimmer sind geschmackvoll eingerichtet, sauber und aufgeräumt, lassen aber das Gefühl andauernder gewöhnlicher Benutzung vermissen. Kein Raum zeigt Spuren, die auf eine Durchsuchung der Schränke oder Veränderung der Polstermöbel hindeuten. Das Haus ist geräumiger, als von der Straßenansicht zu vermuten. Alle Fenster werden außen durch Gitter aus senkrechten, unten wellenähnlich hervorschwingenden weißen Metallstäben, handbreit nebeneinander, gesichert.

Noch zwei dieser Fragen, die Zeit brauchen, bis sie auftauchen.

„Trug Petra Schmuck, Ohr- oder Fingerringe, eine Halskette?

„Nein, seit längerer Zeit nicht mehr. Sie fand sich attraktiv, wie sie war. Und aus Sicherheitsgründen. Nichts, was Kunden zum Zugrabschen verleiten könnte.“

„Leuchtet mir ein. Als Sie das Kellerzimmer betreten haben, bitte erinnern Sie sich genau; brannte das Licht im Raum?“

Sie schließt kurz die Augen.

„Ja, es brannte. Leicht gedämpft. Weil Petra nicht oben war, dachte ich, dann ist sie unten, lüften, aufräumen, was eben fällig ist.“

„Und beim Verlassen, als Sie aus dem Zimmer gegangen sind, ...“

„Habe ich das Licht ausgemacht, weiß ich noch; ich hab erst mit mir gezweifelt. Aber ich wollte sie nicht auch noch im Hellen liegen lassen. Schlimm genug, wie sie dalag.“

*

Wir setzen uns ins Arbeitszimmer.

Okay, bleib bei deiner Denkweise, Robert; langsam, der Reihe nach.

„Ich erwarte eine ehrliche Antwort, Frau Aschauer. Haben Sie die Frau, ... Petra, richtig?, auf das Bett gefesselt? Bevor Sie in das Autohaus gefahren sind?“

Sie antwortet, kaum dass ich den Satz beende.

„Wo denken Sie hin! Selbstverständlich nicht.“

„Sie sagen das mit großer Bestimmtheit.“

„Allerdings. Weil Petra mich nach Höchst gefahren hat. Mein Wagen ist seit gestern dort in der Werkstatt. Sie war kurz mit mir im Verkaufsraum, hat mit dem Verkäufer gescherzt und ist dann gefahren, allein.“

„Hierher?“

„Ja, nehme ich an. Es gab keine weiteren Termine. Ihr Sportwagen steht in der Garage, gleich nebenan. Außerdem hat sie die Geschirrspülmaschine in der Küche eingeschaltet. Das gehört zu dem, was jeden Samstag zu erledigen ist.“

„Dessen sind Sie sich ebenfalls sicher?“

„Die Maschine war ja schon fertig. Als ich Sie angerufen hatte, ich konnte nicht dastehen und einfach warten. Hätte ich sie nicht ausräumen sollen? Auf den Gedanken bin ich überhaupt nicht gekommen.“

Jeden umsichtig ermittelnden Kriminalisten dürfte dies stutzig machen. Dahinter könnte die absichtliche Beseitigung von Spuren stecken. Frau Aschauer kann damit belastet erscheinen; gerät in Verdacht, jemanden zu schützen, von dessen Anwesenheit sie weiß.

Oder will am Ende sich selbst schützen.

„Okay. Vergessen Sie es. Gibt es irgendeine Möglichkeit ... kann Petra sich selbst auf das Bett gefesselt haben?“

„Wozu? Sie meinen auto-erotisch, als sexuelle Selbstbetätigung?“

Vorsicht, Robert. Du willst Petras Würde wahren.

„Frau Aschauer. Bis auf Szenen aus Fernsehfilmen ist das dort unten für mich eine fremde Welt. Ich weiß nicht, wie Sie zu dem stehen, was wir vorgefunden haben. Ich benutze nur meinen Kopf.“

Sie senkt den Blick, streckt Arme und Beine vor, wie manche Menschen dies bei Gähnen tun, gibt sich einen inneren Ruck und schaut mich mit großen Augen an.

„Petra ist nicht der Typ dafür. Außerdem hat sie das nicht nötig.“

„Das wissen Sie genau? So gut kennen Sie sich?“

Ihr Blick ist eine einzige Zurechtweisung.

„Ja, sehr gut sogar. Sagt Ihnen Eingetragene Lebenspartnerschaft etwas? Wir sind, waren ein Paar, falls Sie es genau wissen wollen.“

Oh! Das ist es wohl, was Claudia am Telefon mit „sehr weiblich“ gemeint hat. Ich schaue Frau Aschauer länger als nötig an, betrachte sie mit anderen Augen. Sie gefällt mir nach wie vor; eine hübsche Person, deren Stimme mich sanft orangegelb anspricht, deren ganze Erscheinung mir angenehm ist. Dennoch wirkt sie wie verändert.

Alleingelassen, verloren.

Lebenspartnerschaft, eingetragen. Ein sperriges Wort mit einem kalten, grauen Klang. Wie von außen angeheftet. Corinna und ich bis vor kurzem?; und jetzt mit Mahina? Nein, wirklich nicht! Wir sehen, riechen, lieben und streiten uns, kochen miteinander, schlafen neben- und liegen aufeinander. Unser Zusammensein amtlich als Partnerschaft abstempeln zu lassen käme uns nicht in den Sinn.

Wenn ich plötzlich erfahren würde, dass Mahina ...? Oder sie in einer derart ungewöhnlichen Lage tot auffände ...? Wie würde ich dasitzen nach einem solchen Schock?

Shit! Wenn ich dem Gedanken länger nachhänge, kommen mir die Tränen. Im Durchatmen befehle ich mir: Dafür hat die Aschauer dich nicht hierher gerufen. Ich kann es nicht begründen; von jetzt an fühle ich mich auf ihrer Seite.

„Bitte nehmen Sie das als ehrlich gemeint auf, Frau Aschauer. Es tut mir leid, was mit Ihrer Partnerin, mit Petra geschehen ist.“

Als wir zögernd aufstehen, ihr wieder die Tränen kommen, schließe ich sie einfach in die Arme, ziehe sie behutsam an mich und halte sie.

Es braucht eine Weile, bis ihr herzhafter Tränenausbruch nachlässt, sie sich von mir löst und verschluckt „Danke, ich danke Ihnen, Herr Berkamp“ rausbringt.

Ich schiebe sie sanft auf ihren Stuhl zurück.

Zeit, die hauptamtlichen Kriminalisten einzuschalten.

Beim leisesten Verdacht auf Fremdeinwirkung müssen Todesfälle von der Polizei vorrangig bearbeitet werden, hat Corinna mir beigebracht.

„Es mag hart klingen, aber wir müssen umgehen mit dem, was ist. Sie sagen, Petra kann sich nicht selbst in die Lage gebracht haben. Nach allem, was sich uns bietet, müssen wir von der Beteiligung einer dritten Person ausgehen. Die dritte Person hat keine Hilfe geleistet, sondern sich vom Ort des Geschehens entfernt. Das spricht für die Möglichkeit einer vorsätzlichen Schädigung. Sind wir soweit einig, Frau Aschauer?“

Durch ein rosa Papiertaschentuch hindurch, mit dem sie sich die Augen abtupft, bestätigt sie schniefend:

„Absolut. Nur, was heißt das? Ich meine, was müssen wir tun?“

„Wir selbst können nicht viel mehr tun. Ich bitte meine Frau, Hauptkommissarin Sandner ...“

„Ihre Frau?,“ unterbricht sie verwundert.

„Frau, Freundin. Corinna Sandner im Dezernat K 11 im Frankfurter Polizeipräsidium. Die schaut sich die Sache an und entscheidet, was weiter geschieht. Stellen Sie sich bitte darauf ein, dass wir es mit dem Tatort eines Gewaltverbrechens zu tun haben. Corinna wird versuchen, Aufsehen zu vermeiden; mit Rücksicht auf die Tote, aber auch wegen der Nachbarschaft. Trotzdem, sobald die Polizei eingeschaltet ist, bestimmt die den Gang der Dinge. Und das hier kann sich in einen unerfreulichen Zirkus verwandeln.“

Inzwischen ist Frau Aschauers Make-up gleichmäßig verschmiert, ihre Wangen sind fleckig gerötet. Ich muss mich bremsen, sie nicht erneut einfach in den Arm zu nehmen.

„Geht das nicht auch ohne Polizei?“

„Ausgeschlossen. Wozu haben Sie mich sonst gerufen? Wir können die Polizei-Station vorn an der Eschborner Straße verständigen, deren Dienstfahrzeuge ziehen sofort Neugierige an.“

„Gut, dann rufen Sie Ihre Frau an. Eine Frau ist mir ohnehin lieber.“

*

Ihre im Satelliten-Telefon gespeicherte Nummer, kurzes Tuten, dann lande ich auf Corinnas Anrufbeantworter. Mist. Und nun?

Bei der sechsten Rufnummer klackt es nach wenigen Sekunden.

„Vera Conrad.“

„Vera, hier ist Robert Berkamp.“

„Robert, mein Schwarm!,“ trällert sie los. „Wie schön. Siehst Du endlich ein, dass wir zwei diesen schönen Sommerabend gemeinsam verbringen müssen?“

„Na klar, mein liebster Schwarm. Ich bitte darum. Gewiss wird es ein netter Abend. Vera, bitte, es ist unschön. Corinna ist nicht erreichbar ...“

Ihr stets heiteres Lachen bekommt einen wissenden Unterton.

„Herzchen, ich nur als zweite Wahl? Oh, oh.“

Sie unterbricht sich mit erneutem Schuss Heiterkeit.

„Deiner Herzensdame so zu kommen, was halte ich denn davon!? Was muss ich mitbringen? Drogenhunde? Ein Sondereinsatz-Kommando? Wasserwerfer? Ist der Tatort gesichert?“

„Ja, ein Einfamilienhaus. Niemand sonst kommt rein.“

„Hat der Hausarzt den Tod bestätigt?“

Ich frage halblaut nach dem Hausarzt in Richtung Zimmertür, wo Frau Aschauer unschlüssig steht.

„Hausärztin ist verreist, höre ich gerade.“

„Besser, wenn der Amtsarzt verständigt wird.“

„Amtsarzt? Wie erreicht man den?“

„Kommt drauf an, Robert. Hör zu, das Opfer läuft nicht davon, nehme ich an. Obwohl wir keine Zeit verlieren sollten. Wo bist Du?“

Auf meine Ortsangabe folgt ein herzhaftes:

„Oh Scheiße.“

„Wieso?“

„Das ist Hofheim, Präsidium Westhessen; nicht unsere Zuständigkeit. Kripo Regionalinspektion Hofheim.“

Huh! In der Dienststelle Hofheim kenne ich niemanden. Vorrangig zählt für mich Veras Sachverstand auf dem Gebiet. Ihre Fähigkeiten und ihr Durchsetzungsvermögen habe ich zu schätzen gelernt, seit wir uns im Zuge des blutigen Treibens der „Rache-Hexe“ erstmals begegnet sind. Vera jetzt dabei zu haben wäre ein Gewinn für alle Beteiligten.

„Verstehe. Ist das schlimm? Kommt ihr nicht klar miteinander?“

„Wie man es nimmt. Diese Vorstadt-Sheriffs meinen immer, wir wüssten alles besser, betrachten sie und ihr Schrebergärtchen von oben herab. Trotzdem, die sind zuständig, eindeutig geregelt. Weil dort das Delikt verübt wurde.“

So wie sie dies betont, schwankt Vera heftig.

„Eine Frau Kommissarin wäre schon besser. Was meinst Du, wenn Du sowieso zufällig in der Nähe bist, und da wir uns von Herzen lieb haben? Es bleibt doch in der Familie; geht das nicht?“

„Völlig klar, Schatz, dass Du dich als Erstes an dein Liebchen wendest. Das Oper, männlich oder weiblich?“

Bei aller Lust, in Gespräche mit mir vergnügliche Zwischentöne einzustreuen, besticht Vera durch Umsicht und Genauigkeit in der Arbeit.

„Eine Frau.“

„Gibt es eindeutige Hinweise auf die Todesursache?“

„Auf den ersten Blick keine Spur von Gewaltanwendung. Allerdings unter ziemlich befremdlichen Umständen.“

„Oh, was heißt das?“

„Nach dem, was ich gesehen habe, würde ich sagen: Edelprostitution in vornehmer Stadtrandlage.“

„Sag das doch gleich, Robert. Wunderbar. Ich bin in zehn Minuten bei euch.“

Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten

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