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Neue Runde, neue Aufmerksamkeit.

Die Tür ins Arbeitszimmer steht weit offen. Oberkommissar Brückner beugt sich, mit dem Rücken zum Fenster, über den einfachen Schreibtisch, schwarze Holzplatte und vier schlanke Chromstahlbeine. Er hält einen Packen Zeitschriften in Händen, blättert einzelne – erkennbar mit lustvoll ausgekosteter Abscheu – durch und lässt sie nacheinander auf den Tisch fallen. Der Mann dürfte Mitte fünfzig und einen halben Kopf kleiner als ich sein, hat einen mäßigen Bauchansatz und eine dünnrandige Halbglasbrille auf der Nase. Er trägt eine weite, dunkelblaue Jeanshose, über einem matt grüngelb gestreiften Hemd ein leichtes, hellbraunes Leinenjackett. Über der rechten Hüfte beult es sich und gibt, als er sich ein wenig zu uns dreht, den Blick auf den Griff einer Pistole am Gürtel frei; wahrscheinlich die gebräuchliche HuK P 30.

Von seiner äußeren Erscheinung her könnte er als jovialer Gastgeber in eine gemütliche Volksmusiksendung der Sorte „Zum Fröhlichen Äppelwoi-Krug“ passen. Doch beim Versuch, Hinweise auf seine innere Befindlichkeit zu bekommen, ziehen sich meine Schultern spürbar zusammen. Missmut steht dem Mann ins Gesicht geschrieben.

Er gibt sich große Mühe, von unserer Ankunft keine Kenntnis zu nehmen. Sich vorzustellen oder gar auszuweisen fällt ihm nicht ein; ich schätze, es ist Teil einer Angewohnheit, die zeigen soll, dass er hier das Sagen hat. Wenn du dich da mal nicht irrst, Brückner.

Als er uns weiter unbeachtet lässt, schiebe ich Frau Aschauer mit leichtem Druck gegen den Unterarm rückwärts durch den Türrahmen, trete ebenfalls weit genug zurück, um den Beamten gerade noch im Blick zu haben. Wenn er etwas will, soll er sich melden. Doch wie Brückner dasteht und ab und zu flüchtig aufschaut, sind nur die Zeitschriften sowie Vera Conrad seiner Aufmerksamkeit würdig.

Nach einem gutkollegialen Einvernehmen zwischen den beiden riecht das nicht. Vera lehnt seitlich neben dem Schreibtisch gegen eine flache, schwarze Kommode. Deren Türen sind geöffnet. Auf dem Zwischenboden liegen weitere Stapel von Hochglanzmagazinen mit fettgedruckten Titeln wie „Die Welt des S und M“ und „S and M Today“.

Mal schnell, mal stockend durchblättert Brückner die Magazine in seiner Hand, murmelt „das gibt es doch nicht“ und „unglaublich“.

Vera macht eine ratlose Geste in meine Richtung; die Unzufriedenheit mit dem Gang der Dinge ist ihr anzusehen.

Als habe er in Abfall gewühlt, lässt Brückner die letzte Zeitschrift fallen. Wie aufgedeckte Spielkarten breiten sich die Hochglanzhefte auf dem Schreibtisch vor ihm aus. Die Titelbilder zeigen junge Frauen mit strahlenden Kussmundgesichtern; unter anderem als Krankenschwester, Hauslehrerin oder Domina, mit berufsbezogenen Uniformen bekleidet. Deren besonderer Schnitt hebt ihre nackten Brüste hervor. In halber Höhe davor strecken die Offenherzchen dem Betrachter entsprechende Hilfsmittel wie Fieberthermometer, Zuchtgerte oder Fesselgurte entgegen. Auf einem Titelbild lockt eine superblonde, hochgeschlossene Rauschgoldschönheit in grünbrauner Militäruniform mit zackig angewinkelten Armen in lüsterner Drohung, Handschellen und ein großer Vibrator in den Händen.

„Mein Gott,“ durchbricht Brückner das abwartende Schweigen, „muss ich mir mit diesem perversen Schund den Samstagabend verderben?!“

Sein Blick ruht weiter auf den Titelseiten.

„Ach was, Herr Kollege, müssen Sie nicht,“ bietet Vera heiter an.

„Wie meinen Durchlaucht? Haben Sie sich das hier angeschaut? Finden Sie womöglich daran Gefallen?“

„Selbstverständlich, Kollege Brückner, deswegen bin ich ja hier. Das ist mein Fachgebiet,“ verkündet Vera lächelnd. „Sie sind zwar zuständig. Aber ich war zufällig in der Nähe. Wir im K 11 haben ein starkes Interesse an diesen Fällen. Also sollten wir uns zusammentun.“

„Frau Kollegin. Was Sie dazutun können, weiß ich nicht. Ich jedenfalls kann Fällen dieser Sorte so gut gebrauchen wie Dünnschiss beim Faschingstanz.“

Brückner schaut erstmals seit Minuten auf, schneidet eine abfällige Grimasse und betrachtet Vera mit runtergezogenen Mundwinkeln. Lange genug, um mir einige seiner Hintergedanken vorzustellen.

Sie dagegen bleibt bei ihrer heiteren Note.

„Bei Verstopfung oder Dünnschiss schlagen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Alles Weitere klärt sich von selbst, wenn wir unsere Kräfte vereinen, richtig?“

Brückner verzieht abwehrend Mund und Schultern.

„Warten wir es ab. Vielleicht sieht die Welt am Montag schon ganz anders aus. Einstweilen darf ich um die Fotos bitten, die Sie sicher im Keller angefertigt haben. Anschließend lassen Sie mich in Ruhe meine Arbeit machen.“

Der fasst den Fall nur mit spitzen Fingern an oder reicht ihn umgehend an einen Kollegen weiter, überlege ich. Wenn er ihn behält, muss man den Mann wie ein rohes Ei behandeln. Mit Leuten wie mir wird er sich vermutlich nur ungern abgeben. Hoffentlich verhält sich die Aschauer ihm gegenüber verbindlich.

Oh nein! Wenn jetzt auch noch Corinna erscheint. Und sich der Herr Oberkommissar nicht wider Erwarten von seiner zuvorkommendsten Seite zeigt – das kann heiter werden.

Vorerst gebe ich mich damit zufrieden, still zuzuschauen. Ich werfe Vera einen fragenden Blick zu. Sollte sie Brückners Aufforderung folgen und ihre Fotos rausrücken, wäre ich einigermaßen überrascht.

Vera ist mit einem hübschen Gesicht gesegnet, das im Normalzustand immer wie kurz vor einem unbeschwerten Lächeln aussieht. Um ihren herzigen Augenaufschlag und das knapp schulterlange, tiefdunkelbraune, leicht gewellte Haar dürfte manche Puppe sie beneiden; weiblich wie in einem Groschenroman. Zumal Vera, selten in dem Beruf, gern figurbetonte Kleider trägt, auch wildlederne Jeans-Anzüge, dem interessierten Betrachter gestatten, ein Eckchen von ihrem untadeligen Ausschnitt zu erhaschen.

Doch Vorsicht vor dem ersten Anschein! Vera versteht es, ihre Absichten zielbewusst zu verfolgen und ihren Standpunkt gegebenenfalls knallhart zu vertreten. Man muss einige Zeit mit ihr zu tun gehabt haben, um zu erkennen, Brückners Ansinnen, ihr Bildmaterial auszuhändigen, hat sie längst angelehnt. Dennoch bleibt sie unverändert ruhig, ihre Stimme klingt immer noch heiter.

„Das glauben auch nur Sie, Brückner. Lassen Sie Ihre Kriminaltechnik anrollen; das ist ohnehin nötig. Die machen Ihnen garantiert wunderschöne Bilder und Videos, bestimmt sehr anregend für Geist und Körper. Und vergessen Sie nicht, die Titelseiten mit diesen zauberhaften Damen zu fotografieren. Es könnte wertvolles Beweismaterial sein.“

Brückner richtet sich auf, Ärger in den Augen, stülpt die zusammengepressten Lippen vor.

„Was wollen Sie damit andeuten?! Wenn das Ihr Verständnis von Zusammenarbeit ist, sollten wir es sofort bleiben lassen, Ungnädigste!“

Die zuckt knapp die Schultern, antwortet mit milder Belehrung.

„Ah ja? Wie ist das, Herr Kollege?; sind Sie mit mir einer Meinung, dass alle vorgefundenen Umstände auf eine Form der gehobenen Prostitution hinweisen?“

Frau Aschauer dicht hinter mir holt hörbar Luft, als wolle sie sich zu Wort melden. Ich werfe ihr einen verneinenden Blick zu und lege den Zeigefinger an meine Lippen.

Brückner starrt Vera eine Weile an, befindet schließlich mit einer Spur Unsicherheit:

„Bin ich ein Anfänger?! Klar haben wir es mit Prostitution zu tun, wenn auch der feinen, teuren Sorte. Das sieht ja wohl ein Blinder mit einem Nachttopf über der Birne.“

„Na schön, damit ist die Sache entschieden. Ich bleibe am Ball,“ erklärt Vera zufrieden. „Frau Marquardt, unsere zuständige Staatsanwältin, sieht die Sache übrigens genauso.“

Als Brückner überrascht aufschaut, um zu einer Entgegnung anzusetzen, fügt sie beiläufig hinzu:

„Sie kennen sicher den diesbezüglichen, ministeriellen Runderlass. Seit fast zwei Jahren betreiben wir mit dem LKA die Schwerpunktgruppe ,Menschenhandel und Prostitution’. Deren vertretende Leiterin bin zufällig ich. Der Erlass weist alle Dienststellen im Land zu uneingeschränkter Zusammenarbeit mit der Schwerpunktgruppe an. Noch Fragen?“

Jetzt wirkt Brückner mehr ratlos als unsicher. Er runzelt die Stirn, bekommt aber sofort einen harten Blick, wie jemand, der innerlich auf Vergeltung sinnt.

Vera legt unbekümmert nach.

„Im vorliegende Fall haben Sie mein Einverständnis zu einer rechtsmedizinischen Untersuchung der Toten. Angesichts der befremdlichen Todesumstände halten Sie die bestimmt ebenfalls für erforderlich, nicht wahr, Kollege Brückner. Ganz nebenbei fände ich es wünschenswert, wenn Sie sich nach dem, was Sie im Keller gesehen haben, einer etwas respektvolleren Wortwahl bedienen würden.“

„Eben,“ giftet Brückner errötend zurück, „gerade deshalb fällt mir das mit dem Respekt etwas schwer. Oder bei diesem Dreckzeug hier. Aber wie Sie daherreden, fällt der perverse Mist selbstverständlich auch unter Ihre frauenpolitische Korrektheit.“

Er wedelt mit der linken Hand über die Sex-Magazine.

„Der Runderlass?“ Er kratzt sich am Hals. „Von wann soll der sein? Kann mich nicht erinnern, den gelesen zu haben.“

„Haben Sie in Hofheim noch Kreidetafeln oder schon Computer?,“ zirpt Vera mit arglosem Augenaufschlag..

Ich muss mich zusammennehmen, um nicht loszulachen.

Brückner verzieht den Mund, als hätte er Zahnweh.

„Ungeheuer lustig. Möchten Sie sich auf meinen Schoß setzen und mit mir den Tastenanschlag üben? Einstweilen mache ich meine Arbeit. Als Werbetreibende für ihre Schwerpunktsuppe dürfen Sie mir gern zuschauen, aber bitte in gebührendem Abstand. Vielleicht lernen Sie ja etwas über ordentliche Kriminalistik. Wer wohnt noch hier im Haus?“

Erst leise, dann deutlicher höre ich im Hintergrund das Quäken eines Polizeihorns näherkommen.

Vera überhört Brückners patzige Bemerkung und erklärt: „Niemand.“

„Wie bitte, in dieser stattlichen Hütte?“

Nach einem gespielt verständnislosen Stöhnen fügt er an:

„Ich sage es ja seit grauer Vorzeit: Sich legen bringt Geldsegen. Wer erbt das Gemäuer? Wer sind die nächsten Angehörigen?“

Frau Aschauer drängt sich an mir vorbei durch den Türrahmen.

„Ich, ich bin die nächste Angehörige ..., “ sagt sie mit dünner Stimme. Für Brückner muss es kleinlaut oder verschüchtert klingen.

„Sie?“

Sein verächtlicher Blick sagt alles.

„Und Petras Mutter, Else Trautwein; die lebt in Weißkirchen. Ich informiere sie.“

„Es reicht, wenn Sie mir die Adresse der Mutter geben, für ’s Erste. Und Sie sind ...?,“ erkundigt Brückner sich in einem Tonfall, als empfinde er die Frage lästig.

„Die nächste Angehörige.“

„Nächste Angehörige? Schwester, Cousine? Ihr Name?“

„Nein. Wir leben ...“

„Verstehe, Madame Namenlos,“ fährt er ihr über den Mund; „Sie wollen sagen, Sie sind die Managerin, Verbindungsmacherin, in schlichtem Deutsch die Zuhälterin der Toten, oder wie nennt sich das in ihren edlen Kreisen?“

Frau Aschauer steigen Tränen in die Augen. Und mir reicht es.

Ich ziehe sie sanft zurück und trete ganz in den Raum.

„Sie betragen sich ungehörig, Oberkommissar Brückner! Dafür sollten Sie sich bei der Dame entschuldigen.“

Der Mann verhält sich wie erwartet. Er zieht die Augenbrauen hoch, mustert mich über den Rand seiner Brille von oben bis unten, nimmt sich Zeit für die Antwort.

„Na so was?! Wen haben wir denn da? Dieser ungebetene Gast will mir erklären, was ich zu tun und zu lassen habe?! Das ist stark! Was haben Sie hier zu schaffen? Ihr Name? Ihren Ausweis, na los!“

Dummes Geschätz am Anfang, das sich zu Entschlossenheit steigert.

Kein höfliches Wort in Richtung Aschauer.

Also gut. Der Kerl will unbedingt einen auf die Nuss haben!

Geht in Ordnung.

Für einen Sekundenbruchteil stehe ich in Tammys Schießtrainingsbühne in San Francisco. Mein Adrenalinausstoß schaltet mindestens zwei Stufen höher. Atmen, ruhig bleiben, Aufmerksamkeit erhöhen.

„Ich bin Herr Namenlos. Und ermittele im Auftrag der toten Petra Wernecke, über die Sie mit einer Taktlosigkeit sprechen, die eines halbwegs erzogenen Menschen unwürdig ist, erst recht eines hessischen Polizeibeamten.“

Brückner schlägt mit der flachen Hand auf die Tischplatte.

„Donnerwetter! Der Kerl hat Nerven! Das verschlägt mir glatt die Sprache. Die Tote hat Ihnen also vor ihrem unschönen Ableben schnell noch einen schriftlichen Auftrag zur Ermittlung ihres Mörders erteilt. Alle Achtung. Ich nehme an, Sie bestreiten Ihren Lebensunterhalt als Schützer und Bewacher der beiden Damen.“

Ich mag nicht mehr der Jüngste sein; niemand wird mich für einen Revolverhelden halten. Aber mit der unprofessionellen Flegelei erhebt der Oberkommissar endgültig Anspruch auf eine unschöne Überraschung.

„Denken Sie, was Sie wollen,“ gebe ich ruhig zurück. „Es kommt sowieso nicht Gescheites dabei raus.“

Grundregel meiner hawaiischen Kampfsport-Frau:

Nichts ist persönlich. Nur deine Wachsamkeit zählt. Das kalte Erkennen, was der Gegner vorhat, noch ehe er es tut. Allein darauf kommt es an. Entsprechend hart und einigermaßen erfolgreich hat Mahina das mit mir trainiert. Bestens; eine willkommene Gelegenheit zum Auffrischen meiner Fingerfertigkeit.

Vorab drehe ich mich ein wenig zur Seite, um Brückner statt des Oberkörpers die schmalere rechte Schulter zuzuwenden.

Sein eher graues, ein wenig müde wirkendes Gesicht mit der Andeutung von Hängebacken hat etwas Farbe bekommen. Er reckt den fettgepolsterten Oberkörper auf, schließt die Finger der rechten Hand zwei oder dreimal kurz. Danke für den Hinweis.

„Zum letzten Mal: Name, Ausweis! Hiermit betrachte ich Sie bis zum Beweis des Gegenteils als einen Hauptverdächtigen im vorliegenden Tötungsgeschehen.“

Über seine Schulter hinweg durch die dünne, weiße Gardine sehe ich einen beigemetallicfarbigen Opel Vectra GTS mit eingeschaltetem, beweglichem Blaulicht über der Fahrerseite. Er zwängt sich langsam neben meinen BMW in den Einfahrtbereich vor dem Gartentor. Spätestens jetzt darf sich die Nachbarschaft zum Beginn der Versammlung eingeladen fühlen.

„Mann, sind Sie schwerhörig! Ihren Ausweis, aber plötzlich, wenn ich bitten darf,“ blafft Brückner mich an.

Draußen öffnet sich die Vectra-Tür. Mit der vertrauten, seitlichen Bewegung der linken Hand durch die mittelbraunen, gewöhnlich etwas struppigen Haare entsteigt dem Wagen – ihre Majestät, Corinna Sandner, „meine“ Hauptkommissarin.

„Ich denke gar nicht daran,“ teile ich Brückner bündig mit. „Lassen Sie den Unsinn und benehmen Sie sich wie ein vernünftiger Mensch. Anderenfalls könnte es Ihnen leid tun.“

Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten

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