Читать книгу Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten - Günter Billy Hollenbach - Страница 20

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Mit Anstand eine ungewisse Wartezeit verbringen, während im Keller eine tote Frau liegt. Das erfordert Selbstbeherrschung.

In mir wächst der Drang, mich abzusondern. Um die Eindrücke von unten zu verarbeiten, in Ruhe eigenen Überlegungen nachzugehen.

Doch ich bleibe verlegen sitzen; nach draußen zu gehen hätte ich unhöflich gefunden. Vera Conrad schließt häufiger die Augen, schiebt schnaufend die Lippen vor und zurück, wirkt nervöser als unten auf der Treppe. Mehr wohl in Erwartung des Kollegen als wegen des unerfreulichen Falls. Eine herzliche Begrüßung zwischen den beiden erwarte ich nicht.

Nach kurzweiliger Unterhaltung steht uns nicht der Sinn. Dass Vera keine Neigung zeigt, Frau Aschauer ohne den zuständigen Kollegen zu vernehmen, finde ich naheliegend. Die scheint unser Unbehagen zu spüren und meldet sich ab ins Wohnzimmer.

„Wenn es weitergeht, finden Sie mich nebenan.“

Vera und ich trinken Tee, knabbern Salzstangen und blicken wie ein missgestimmtes Ehepaar in unsere Teepötte oder aneinander vorbei. Nach einer Weile erfahre ich den Hintergrund der vorauseilenden Geringschätzung für den Hofheimer Kollegen. Wie so oft wohl mehr Vorurteil als sachlich gerechtfertigt.

Hinlänglich brauchbare Zeugenaussagen lagen vor. Eine ausgedehnte Beobachtung hatte stattgefunden. Im Visier befand sich eine rumänische Bande von sechs Automatenknackern. Die in wechselnden Kombiwagen mit Anhänger und einem gestohlenen Kleinbagger darauf anrollten und bei Tankstellen und Kaufhäusern Geldautomaten von den Außenwänden rissen und abtransportierten. Gezielt, schnell, kraft- und personalsparend.

Unter Führung des Landeskriminalamtes fand ein Großeinsatz mit Beteiligung von Frankfurter und Hofheimer Kräften statt. Vor mehreren Monaten. Als der Zugriff erfolgte, waren die beiden führenden Bandenmitglieder unauffindbar.

Wie sich bei den Vernehmungen der übrigen Festgenommenen und einer internen Nachforschung herausstellte, waren sie gewarnt worden. Durch eine unbeabsichtigte Bemerkung gegenüber einem Zeugen. Ein Missgeschick, wie es in der Polizeiarbeit gelegentlich vorkommt. Weil nie alle Beteiligten das ganze Bild überschauen. Oder ein Beamter im dienstlichen Trubel leichtfertig mit einem Hinweisgeber umgeht, der neben ihm am Schreibtisch sitzt und etwas aufschnappt, was nicht für ihn bestimmt ist. Dass sich der „Zeuge“ allein deshalb gemeldet hatte, dämmerte den Beamten erst nachträglich.

Die Panne war in der Dienststelle Hofheim geschehen. Jedenfalls sprachen die Zeugenkontakte und weitere Erkenntnisse dafür. Daraufhin ging es dort wohl ziemlich laut zu. Oberkommissar Brückner soll dabei durch besondere Stimmgewalt und wenig feine Wortwahl aufgefallen sein. Letzter Stand der Dinge: Einer der beiden Bandenführer wurde zufällig wenige Tage später auf einer Müllkippe hinter Leipzig tot aufgefunden.

*

Ob Hölle oder Hochwasser kommen, hat mich mein Bodyguard in San Francisco bei der Übergabe eingeschworen, du behältst die Jacke an. Unter der Dusche darfst du sie natürlich weglassen. Jetzt wird mir darin etwas warm. Hier im Haus werde ich sie wohl ausziehen können. Andererseits will ich nicht wie ein Vorstadt-Rambo im Jeanshemd mit Schulterhalfter und Kanone unter dem Arm Vera in der friedvollen Küche gegenübersitzen.

Das „Bimbam“ der Türglocke kommt meiner Entscheidung zuvor.

Gleich darauf ertönt eine männliche Stimme.

„Hallo! Jemand daheim? Die Wachablösung ist da!“

Die Haustür war nur angelehnt.

Mit leisem „Ich hab’s geahnt“ rafft Vera sich auf. „Robert, Du hältst dich zurück. Ich teste, wer hier wen anblafft und führe ihn in den Keller. Bleib bei Frau Aschauer und beschäftige sie. Sie muss nicht mitbekommen, wenn wir Leuchten des Rechtsstaates uns beharken.“

Damit läuft sie in den Flur.

„Herr Kollege, schön, dass Sie überaus schnell kommen konnten. Wir erwarten Sie, die Schuhe dürfen Sie anbehalten. Wenn ’s recht ist, gehen wir gleich zu dem Opfer, dann führe ich Sie durchs Haus.“

Ich lehne in der offenen Küchentür und erfreue mich an Veras feiner Art, für Brückner die Stühle zurechtzurücken.

Die männliche Stimme im Flur, eine nett klingende Spur Hessisch darin, gibt sich spöttisch überrascht:

„Ich wusste gar nicht, dass Sie hier die Hausherrin sind, Frau Kollegin.“

„Na, kommen Sie, Brückner, Sie Brummbär, hier geht es lang, runter in den Keller. Keine Angst, ich bin bei Ihnen.“

Die beiden steigen bereits die Treppe hinab, als Frau Aschauer aus der Wohnzimmertür in den Flut tritt. Brückner bemerkt sie, will wohl umkehren und nach oben kommen. Aber Vera schnappt ihn am Arm und zieht ihn mit sich.

„Meister, hier spielt die Musik.“

Der breite Kopf mit den deutlichen Geheimratsecken in nach hinten gekämmten, welligen Grauhaar verschwindet in Richtung abwärts.

*

„Kommen Sie, wir bleiben in der Küche, Frau Aschauer.“

Sie schaut mich unsicher an.

„Müssen wir nicht, ich meine, wenn dieser Kommissar ...?“

„Das hat Zeit. Lassen Sie die zwei machen. Das kann heute noch Stunden dauern. Vera Conrad weiß, was sie tut.“

„Hoffentlich. Die Frau gefällt mir.“

Sie errötet leicht, beeilt sich, „ohne Hintergedanken“ anzufügen.

Schöner Hinweis. Er treibt meine Neugier, privat und kriminalistisch, auf das Naheliegende, Unausgesprochene.

„Wissen Sie, meine neue Frau, Freundin, stammt aus Hawaii. Sie hält viel vom traditionellen Frauenverhalten dort. Dadurch habe ich ein paar Dinge gelernt, die mir früher fremd waren. Im eigenen Erleben, meine ich. Setzen wir uns. Wir müssen ohnehin warten.“

Ich rücke Frau Aschauer den Stuhl zurecht, setze mich ihr gegenüber. Ihr Blick wirkt nicht mehr verhangen; ihre Augen beginnen, verhalten zu strahlen.

„Sie meinen zum Thema Geschlechterverhältnis,“ stellt sie fest. „Sagen Sie mal ein Beispiel, was Sie gelernt haben.“

„Etwa dies: Die Liebe zwischen Frauen war auf Hawaii nicht ungewöhnliches, selbst wenn die Frau mit einem Mann verheiratet war und mit ihm Kinder hatte. Gleich am Anfang unserer Beziehung hat Mahina, so heißt sie, mir das vorgeführt. Zu dritt mit einer anderen Frau im Bett. Wobei wir uns reihum kannten und mochten.“

„Schau einer an. Demnach besteht noch Hoffnung bei Ihnen,“ bemerkt Frau Aschauer mit einem erfreuten Lächeln.

„Das kommt drauf an, worauf Sie hoffen.“

„Dass Sie sich nicht von Oberflächlichkeiten in die Irre führen lassen, Herr Berkamp.“

„Dann sagen Sie mir rechtzeitig, wo es lang geht.“

„Ich fürchte, das wird nicht einfach.“

Die Dame versteht sich auf hinhaltende Andeutungen. Ich hatte gehofft, sie spricht ausführlicher über ihre Beziehung zu Petra.

„Wie soll ich das verstehen? Haben Sie doch etwas mit dem Tod der Frau, ... Ihrer Petra zu tun?“

„Na klar,“ kommt schnippisch zurück. „Am Ende war ich es. Aber nicht wie Sie jetzt denken.“

Für eine gebildete Frau in der jetzigen Lage ist ihre Antwort eine Zumutung. Ich verkneife es mir, sie daran zu erinnern, dass sie mich zu Hilfe gerufen hat. Ich sehe sie ruhig an, warte einige Sekunden.

„Und wie denke ich, Frau Aschauer?“

Sie beginnt unerwartet heftig:

„Damit das klar ist: Mit Petras Tod habe ich nichts zu tun!,“ um beinahe flüsternd fortzufahren, „aber ich habe ihn nicht verhindert. ... Petra war meine bessere Hälfte. ... Für mich ist das mehr als eine landläufige Redensart, selbst wenn es Ihnen schwer fällt, das zu verstehen. Aber, Sie wollen je dazulernen.“

Die Aussage verdient weitere Erklärungen, meiner Meinung nach.

Frau Aschauer sieht mich jedoch nur aufmerksam an, als warte sie auf meine Antwort oder eine nächste Frage.

„Klingt nicht gut, was Sie da sagen. Sie sind ziemlich sperrig, meine Dame, wissen Sie das?! Nicht verhindert? Hätten Sie ihn verhindern können? Haben Sie etwa einen Verdacht, wer der Täter sein könnte?“

Sie schnappt nach Luft.

„Waaas? Wie meinen Sie? Nein, einen Verdacht habe ich nicht, Herr Berkamp. Ich hätte das Geschehen auch nicht verhindern können. Ich war ja weit weg zu der Zeit, Autofahren. Ich meine ,verhindern’ in einem anderen Sinn.“

„Sie fangen an, meine Geduld zu testen, Frau Aschauer.“

Prompt bekommt sie feuchte Augen. Kann man so etwas üben?

„Hach, Mann!“

Sie schluckt heftig, schlägt die flache Hand sanft gegen ihre Lippen.

„Entschuldigen Sie, ja, nein. Allein durch unsere Beziehung trage ich eine Mitschuld. Wie wir gelebt haben. Herrje, es klingt alles falsch, was ich daherrede. Ich glaube, ich bin mehr durcheinander, als ich wahrhaben will.“

„Was wollen Sie mir denn nun sagen, Frau Aschauer?“

Sie hebt den Blick mehrmals blinzelnd zur Zimmerdecke, fährt sich mit der rechten Hand durch die goldblonden Haare. Und schaut mir, wie nach einer neugewonnenen Einsicht, geradeheraus ins Gesicht.

„Ganz einfach: Sie können Petra nur verstehen, wenn Sie mich verstehen. Jetzt noch mehr als früher. Das will ich damit sagen.“

Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten

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