Читать книгу Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten - Günter Billy Hollenbach - Страница 28

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Meine Zuhörer schweigen einige Augenblicke lang. Ihr Unbehagen ist – mehr noch als Überraschung – mit Händen zu greifen.

„Sind Sie Hellseher?,“ platzt es schließlich aus OK Brückner heraus. Worauf Corinna ohne viel Nachdenken sagt:

„Ja, das stimmt. Das kann der.“

In der nächsten Sekunde fliegen ihre Hände vor der Nase zusammen. Sie wirft mir eine bedauernde Grimasse zu.

Ich verdrehe nur die Augen. Meine höhere sinnliche Fähigkeit geht fremde Leute nichts an. Immerhin unternimmt Corinna einen Versuch zur Schadensbegrenzung; wenn auch mit kümmerlichem Erfolg.

„Seit seiner Zeit in Kalifornien. Dort hat er mit einer indianischen Polizeikollegin zusammengearbeitet. Die hat ihn verhext; mit ihren Augen und mit Gedanken, die von Geistern inspiriert scheinen ...“

„Was soll der Blödsinn?,“ stöhnt Brückner verärgert.

„Langsam, Kollege. Das Schlimme ist, die Frau ist sehr erfolgreich. Ihre Tatortbefunde erweisen sich immer als weitgehend zutreffend.“

Brückner bläht mokant die Wangen.

„Verstehe, die Dame betreibt Verbrechensaufklärung mit Kristallkugel und Räucherstäbchen in einem schummrigen Hinterzimmer. Und natürlich mit einer schwarzen Katze im Schoß.“

Corinna findet wieder zu gelassener Sachlichkeit.

„Mann, Brückner, nur weil Sie mit bestimmten Arbeitsweisen nicht vertraut sind, handelt es sich nicht um Lesen im Kaffeesatz. Beziehen Sie Herrn Berkamps Hinweise in Ihre Überlegungen ein; bis zum Beweis des Gegenteils. Nehmen Sie seine Aussagen als eine weitere Möglichkeit neben Ihrer eigenen Herangehensweise.“

Der lacht belustig vor sich hin.

„Sehr gut, Herr Oberindianer. Dann kennen Sie sicher auch den Brustumfang der mörderischen Unbekannten. Und wenn Sie nebenbei noch die Güte hätten, mir zu sagen, welches Nummerschild deren Auto hat, ist der Fall bestimmt in den nächsten zwei Stunden abgeschlossen.“

Wenn schon Spaß, dann richtig.

„Stimmt, Auto. Es würde mich nicht wundern, wenn die uns unbekannte Frau kein eigenes Auto besitzt. Weil ihr dazu die Mittel fehlen.“

Diese letzte Bemerkung dürfte selbst in Corinnas Augen zuviel des Guten sein. Mit wissendem Grinsen beugt sie sich zu Brückner. Wie um ihm einen vertraulichen Hinweis zu geben erklärt sie für alle hörbar:

„Wer weiß, vermutlich handelt es sich um die Leiterin des Amtes für Tugend und Anstand, die verdeckt vor Ort ermittelt hat.“

Vera schmunzelt erheitert vor sich hin.

Oberkommissar Brückner erhebt sich, schaut mit leichtem Kopfschütteln erst zu Vera, dann zu mir.

„Hab schon verstanden. Eine solche Tote geht immer an die Nerven. Am Ende hocken alle da, beschwören Geister oder reißen saudumme Witze. Manchen Leuten hilft es, seelische Anspannung abzubauen. Das kann ich mir schenken. Ich schlage vor, wir beschließen unser trautes Zusammensein. Hatte die Ehre.“

Er tut einen Schritt in Richtung Tür.

Dreht um und setzt sich wieder.

„Allerdings, wenn ich es mir recht überlege. Was dabei rauskommt, gefällt mir überhaupt nicht, Herr Berkamp.“

„Sagen Sie es trotzdem,“ bitte ich.

„Gern. Auf den ersten Blick klingt ihr Gerede wie Räuber-Latein. Falls es jedoch zutrifft, frage ich mich: Wissen Sie mehr, als Sie hier kundtun? Sie können die Kolleginnen beraten, soviel Sie wollen. In meinem Augen rücken Sie diese Aussagen in den engeren Kreis der Verdächtigen. Sie beschreiben eine weibliche Person mit einer Genauigkeit, die stutzig machen muss. Entweder sie ist Ihnen schon begegnet. Und Sie verheimlichen uns Ihren Verdacht gegen sie. Um sie zu schützen. Oder die Dame ist frei erfunden, um von ... von sich selbst abzulenken. Zumal immer noch unklar ist, wann Sie den Tatort betreten haben.“

Ein derartige Unterstellung habe ich fast erwartet, ist mir nicht fremd.

„Herr Brückner, mit ein paar einfachen Überlegungen können Sie mich als Täter ausschließen. Meine Feststellungen entspringen keiner Hexerei, sondern Aufmerksamkeit und Kopfarbeit. Ich habe den Tatort gebeten, mir seine Geschichte zu erzählen, das ist alles.“

„Danke, und wir benutzen nicht unseren Kopf?!“

„Wer weiß? Verraten Sie mir wenigstens, wer sich noch im engeren Kreis Ihrer Verdächtigen befindet.“

„Sie Hellseher wissen das doch längst. Frau Aschauer selbstverständlich. Irgendwelche Einwände?“

Mann, wenn du wüsstest, wie vorhersehbar du dich verhältst.

„Nein, Herr Brückner, was Sie denken, ist Ihre Sache. Ich dagegen halte Frau Aschauer für unschuldig. Allerdings ebenfalls für gefährdet.“

Brückners Kopf ruckt ein wenig zurück.

„Ich glaub’, Sie spinnen! Gefährdet?!“

„Sagte ich eben.“

„Haben Sie den geringsten Anhaltspunkt dafür?“

Natürlich habe ich den nicht. Aber die Möglichkeit gefällt mir.

„Das, was ich dargestellt habe. Denken Sie in Ruhe darüber nach. Schließlich liegt noch das halbe Wochenende vor Ihnen. Wenn ich einen Fehler gemacht habe, brauchen Sie ihn nur zu finden.“

„Geschenkt. Hier, Kollegin Sandner, meine Karte. Ich hoffe, Sie nehmen das Gerede dieses seltsamen Beraters nicht all zu ernst und halten sich an die Tatschen. Wir telefonieren zusammen, Montag, nach dem Mittagessen, einverstanden?“

„Gerne, kommen Sie, ich begleite Sie zum Auto. Und danke nochmals für die gute Zusammenarbeit.“

Brückner nickt kurz in die Runde und folgt Corinna eilig nach draußen.

*

Frau Aschauer, die in den Flur getreten ist, um Brückner Platz zu machen, setzt sich auf Corinnas leeren Stuhl. Ihr Gesicht ist ein großes, sprachloses Fragezeichen. Vera nimmt auf dem Stuhl Platz, den Brückner verlassen hat, schaut mich unsicher an, entschließt sich schließlich.

„Robert, was hat Corinna da gesagt? Mit dem Hellsehen? Weil, ehrlich gesagt, deine Erklärungen klingen wirklich reichlich ungewöhnlich.“

„Vergiss es, Vera, hat sie nicht ernst gemeint. Wahrscheinlich denkt sie an das „Remote Viewing“, was ich gelegentlich mache. Erinnerst Du dich; im Frühjahr nach unserem ersten Rendezvous in der Klinik in Königstein ....“

„Hach, damals war ich schneller mit der Waffe,“ fällt sie mir ins Wort, verdreht stolz ihre glänzenden Puppenaugen.

„Stimmt. Aber nur, weil ich von deiner Schönheit geblendet war.“

„Danke, bitte noch einmal zum Mitschreiben.“

Was Frau Aschauer jetzt wohl denkt? Sie verfolgt unseren Austausch sonderbarer Nettigkeiten mit erstaunten Augen und halboffenem Mund.

„Anschließend beim Apfelkuchen im Schlosshotel habe ich dir von meiner Denkmethode „Schamanische Reise“ erzählt.“

„Stimmt, ja, ja,“ erinnert Vera sich angeregt. „Und Du hast ein Pendel benutzt, nach dem Angriff auf Mona. Hat sie mir später erzählt ....“

„Was höre ich da? Ihr wart zusammen im Schlosshotel und habt Apfeltorte ...! Ja, was halte ich denn davon? Womöglich in der Dienstzeit? Und Du hast mir kein Wort davon gesagt, Vera. Und Du auch nicht, Du Geisterbeschwörer. Nennt ihr das kollegiale Zusammenarbeit?“

In ihrer gespielten Verärgerung sieht Corinna richtig süß aus, ein wenig mädchenhaft. Ich stehe auf, drücke ihr ein Küsschen auf die Wange. Es muss sein.

„Herzblatt, komm her, lass uns fertig werden.“

„Nee, nee, nee, mein Lieber,“ widerspricht sie etwas errötet.

„Ich sehe das ähnlich wie Brückner. Du weißt mehr. Also, erklär uns, was Du eben gemeint hast. Vorher lasse ich dich nicht ziehen.“

„Vera, folgst Du deiner Chefin?“

„Was für eine Frage. Du weißt doch, wie gern ich dazulerne.“

„Gut, ihr zwei Hübschen. Bringt etwas Geduld auf. Und Denkarbeit um zwei Ecken. Dazu gehen wir noch einmal in den Keller. Frau Aschauer, ich schicke Sie zwar ungern weg. Aber jetzt müssen Sie draußen bleiben; tut mir leid.“

Natürlich gibt sie die Gekränkte.

„Wieso denn?! Ich will mitkommen. Warum soll ich das nicht hören? Es betrifft mich doch ebenfalls.“

„Genau deshalb. Sie sind parteiisch, kennen das Kellerzimmer und seine Nutzung. Ihre Anwesenheit würde unsere Arbeit beeinträchtigen. Keine Sorge, alles Wesentliche erzähle ich Ihnen später.“

Frau Aschauer schluckt heftig, blickt erst zu Vera, dann zu Corinna, als erwarte sie von beiden Unterstützung.

„Wir machen das ohne Sie, gnädige Frau,“ befindet Corinna bündig.

Vera steht auf, streicht ihr Kleid glatt.

„Dient allein der Sache, hat mit Ihnen nichts zu tun, Frau Aschauer. Erst recht, wenn Sie unschuldig sind.“

Dass die nicht einverstanden ist, zeigt ein harter Zug um ihren Mund.

„Wie Sie meinen. Ich bin eine Weile im Wohnzimmer und lese.“

Sie steht auf und geht, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

Berkamp - Ein langer schwarzer Schatten

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