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Politischer Flüchtling

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Nachdem ich mich von der Gruppe trennte, war ich ruhig und musste mir keine Sorgen machen, weil ich alles bereits zuvor genau geplant hatte. Ich rief Filip, einen Freund von Cezary, an, der seit einiger Zeit in Hamburg wohnte. In meinen ersten Tagen in Hamburg war mir die Unterkunft besonders wichtig sowie die fachliche Unterstützung von jemandem, der die deutsche Sprache gut beherrschte, um mir bei den amtlichen Formalitäten zu helfen. Cezary konnte mir nicht helfen, weil er schon früher nach Regensburg in Bayern verlegt wurde. Glücklicherweise hatte er seine Kollegen in Hamburg. Noch vor seiner Abreise gab er seinem Freund entsprechende Anweisungen und bat ihn darum mir zu helfen, sobald ich abhaute und mit ihm Kontakt aufnahm. Filip nannte mir die Adresse, zu welcher ich mich begeben sollte. An diesen Ort musste ich mit dem Nahverkehrszug fahren, weil meine Anlaufstelle 15 km von dem Stadtzentrum entfernt war. Dort konnte ich die notwendige Unterstützung und wichtige Informationen erhalten. Unter dieser Adresse waren die Freunde von Cezary und Filip wohnhaft. Deshalb musste ich mir keine Sorgen machen. In der Reihe unserer Clique aus Radom gab es nur zwei Menschen, die beabsichtigten, nicht mehr nach Polen zurückzukehren, und zwar mich und Kazik. Er vermied mich am Bord. Anscheinend glaubte er, dass ein leichtsinniger Typ wie ich keine Fluchtpläne aus Polen schmieden konnte und seinen eigenen Absichten im Weg sein konnte. Der arme Kerl hatte gar keine Ahnung, dass ich nur eine Maske trug, unter der ich mich perfekt tarnte. Diejenigen, die im Westen bleiben wollten, machten einen großen Bogen um mich. Die Leute, die mit mir feierten, waren jene, die Geschäfte in Polen hatten und die Auswanderung gar nicht in Erwägung zogen. Es ging mir genau darum die Geheimspione zu täuschen und ihrer aufmerksamen Beobachtung zu entkommen. Hätte Kazik begriffen, worum es mir ging, so hätte er sich bestimmt wie eine Klette an mich gehängt und wäre mir auf Schritt und Tritt gefolgt. Mit mir hätte er es viel einfacher gehabt, da er kein Deutsch sprach. Ich hätte ihm helfen können. Wahrscheinlich war Kazik der Meinung, dass ich zu den Menschen gehörte, die einfach viel Spaß haben wollten, und er hatte doch so ernsthafte Pläne! Er verließ die Gruppe einen Tag vor mir und war felsenfest davon überzeugt, dass er mit offenen Armen empfangen werden würde.

Kazik, der immer alles so genau wusste und eine super verlässliche Kontaktperson vor Ort zu haben glaubte, stand jetzt hilflos genau an der Stelle, an welcher unser Reisebus ankam. Er war pleite, weil die Reise zu dem angeblich verlässlichen Mann, den er einst in Polen kennenlernte, sein ganzes Erspartes gefressen hatte und erfolglos war – und zwar nicht deshalb, weil die Adresse falsch war. Diesmal geriet das Gespräch aber ins Stocken. Der angebliche Wohltäter konnte Kazik lange nicht in Erinnerung bringen. Er half ihnen eifrig und betonte ständig, dass er ihm Unterstützung versprach, sobald er nach Deutschland kommen würde. Der Landwirt jagte ihn zum Teufel und bat ihn darum ihm nicht mehr auf den Wecker zu fallen. Er fügte noch hinzu, dass man manchmal viel dummes Zeug erzählen würde, wenn man betrunken sei. Man solle diese Geschichten nicht allzu ernst nehmen, weil Alkohol zum Spaß diene und nicht dazu, Geschäfte zu machen.

Kazik, der am Bord nichts mit mir zu tun haben wollte, schaute mich jetzt mit einem flehenden Blick an, damit ich ihm gnädig sein würde und ihm seine frühere Arroganz vergab. Er war hilflos und wollte, dass ich ihn mit mir nahm, weil er kein Deutsch sprach und mittellos war. Ich kam auf ihn zu, klopfte ihm auf die Schulter und sagte lächelnd: „Alter, mach dir keine Sorgen. Du gehst mit mir!“. Kazik atmete erleichtert auf. Obwohl er fast doppelt so alt wie ich war, schaute er mich dann so an, als ob er mein Sohn wäre. Auf dem Hauptbahnhof kaufte ich zwei Tickets für den Nahverkehrszug und fuhr mit Kazik in das Viertel, wo wir Filip treffen sollten.

Unter der vereinbarten Adresse gab es die Wohnanlagen für die Asylbewerber verschiedener Nationen und Rassen. Dort nahmen wir Kontakt mit den ersten Polen auf, die wir trafen. Ich rief erneut bei Filip an. Ich sagte, wo ich war, und dass ich auf ihn wartete. Er traf gleich ein und nahm mich mit zu seinen Kollegen, die in der Nähe wohnten und mich bei meinen ersten Schritten in der freien Welt unterstützen sollten. Kazik blieb zu dieser Zeit bei den Polen, die wir zuvor getroffen hatten. Ich konnte dort auch bleiben, aber Filip wollte mir einen Deal vorschlagen, der mit keinem Risiko verbunden war.

Das Wochenende begann gerade, und erst am Montag konnte ich mich um das politische Asyl in dem zuständigen Amt (Biberhaus) bewerben. Ich hatte die Gitarre dabei und spielte unseren Asylanten die polnische Musik vor, die sie so sehr vermissten. Bei den Kollegen von Filip gab es auch viele „Ausflugsflüchtlinge“, die viel Schnaps mitbrachten. Die Stimmung war super, und alle, die es aus Polen erfolgreich hierherschafften, konnten nun erleichtert aufatmen. Ich feierte mit meinen neuen Freunden das ganze Wochenende über in der demokratischen Welt. Ich sollte nur singen und spielen. Ich musste mich um nichts anderes sorgen. Ich erhielt alle nötige Unterstützung.

Nachdem ich mich ums Asyl bewarb, bekam ich eine Unterkunft in einem kleinen Gasthaus mitten im Stadtzentrum von Hamburg und verhältnismäßig gutes Geld für den Neustart. Das Gasthaus war nicht besonders interessant, aber es gab nichts auszusetzen. Auch Kazik wurde hier untergebracht.

Deutschland machte einen enormen Eindruck auf mich. Der Lebensstandard war hier himmelweit höher als in Polens düsterer kommunistischer Realität. Alles sah hier anders aus, war besser organisiert. Die Leute waren höflich und heiter. Hamburg war eine sehr belebte und prachtvolle Weltmetropole.

Am Anfang meines Aufenthalts erkundete ich diese schöne und imposante Stadt fast die ganze Freizeit über. Dabei genoss ich das gute deutsche Bier. Ich lernte alles langsam zu tun, weil ich es nirgendwo eilig hatte. Meine Integration in diesem Land wurde von den entsprechenden Behörden geregelt, die verschiedene Genehmigungen und Verfügungen erteilten. Würde ein Migrant wie ich etwas in diesem Bereich eigenständig unternehmen, so würde solches Handeln wie ein Vergehen betrachtet, was wiederum ernsthafte Folgen haben könnte. Auf jeden Verfahrensfortschritt musste man ziemlich lange warten, weil am Anfang des Asylverfahrens jede staatliche Entscheidung von oben getroffen werden musste. Wir mussten auch eine Übergangsphase durchgehen, um die deutsche Realität besser zu verstehen und uns mit der Kultur unseres neuen Einwanderungslandes vertraut zu machen.

Nach einem Monat in Hamburg wurde ich für vier Tage in ein anderes Auffanglager versetzt, und zwar nach Karlsruhe im Südwesten Deutschlands. Das Saufgelage war dann voll im Gange. Uns Polen kam in Bezug auf diese Sache niemand gleich. Keine Konkurrenz war in Sicht, weil die Russen zu diesen Zeiten noch nicht in Deutschland ankamen. Eine Woche lang war ich dann in Göppingen. Danach wurde ich nach Stuttgart verlagert. Ich und einige andere Polen, unter anderen Kazik, bekamen eine Wohnung mit ein paar Doppelzimmern zugeteilt. Ab dem Zeitpunkt, als ich ihm in Hamburg auf den Arm geklopft hatte, folgte er mir wie ein Schatten. Das war aber ein purer Zufall. Genauso gut konnte einer von uns nach Bayern versetzt werden, wo es den Asylbewerbern nicht so gut ging wie in Baden-Württemberg.

Nun begann ein anderthalb Jahre dauerndes sorgenfreies Leben eines Asylbewerbers. Das war eine unrühmliche Zeit mit vielen Trinkereien. Die Alkohol-Gewohnheiten, die uns allmählich zum Alltag wurden, konnten wir später nicht aufgeben. Diese Gelegenheiten erschwerten den Alltag vieler Asylanten deutlich und trugen in einigen Fällen zu ihrem Tod bei. Vielen Polen nahm der Alkohol frühzeitig das Leben. Ich persönlich kannte viele Polen und Polinnen, die sich zu Tode tranken. Alkohol tarnt sich nur als Freund, und in Wirklichkeit ist er ein Vorbote für den Tod.

Kazik wurde davon auch nicht verschont. Nach einigen Jahren eines Aufenthalts in Deutschland starb er, weil der Alkohol seine Leber so geschädigt hatte, dass sie sich nicht mehr beleben ließ. Ein Jahr vor dem Tod gab er das Trinken auf, aber das war schon zu spät, um sein Leben zu retten. Wahrscheinlich hätte er in Polen, in den Armen seiner Frau viel länger gelebt. Nicht allen kam die Auswanderung zugute, weil man dafür einen hohen Preis zahlen musste – und zwar die Sehnsucht nach Familie und Heimat. Daraufhin ertränkten viele ihre Sorgen im Alkohol. Viele aber tranken einfach zum Spaß; ich war einer davon. Fast jeder, der gerne trank, brachte seine Trinkgewohnheiten schon aus Polen mit, um sie hier sorglos und leichtsinnig zu entwickeln.

Durch die Hölle in die Freiheit

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