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Erster Urlaub im freien Polen

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Im Jahr 1989 war das kommunistische System in Polen in seinen Grundfesten erschüttert. Die Demokratie gewann allmählich die Oberhand. Als politischer Flüchtling konnte ich meine Heimat schon ohne Angst besuchen. Und das tat ich auch. Im August stieg ich in den Bus eines neugegründeten Reiseunternehmens und fuhr nach Katowice.

Wir standen etwas lange an der Grenze zur DDR, weil die Zöllner eine Routinekontrolle durchführten. Auch über dieses Land sollte bald der Wind der Wahrheit wehen. Eine Chance für die Wiedervereinigung Deutschlands sollte zeitnah am Horizont auftauchen. Das war ein Traumszenario für die Leute wie mich, weil ich dann auf dem Weg nach Polen nur eine Grenze, und nicht – wie bisher – zwei überschreiten müsste. Und davon, dass es in Zukunft gar keine Grenzkontrollen geben würde, wagte ich gar nicht zu träumen. Bald sollte es sich zeigen, dass der märchenhafte Traum der Europäischen Union Schritt für Schritt in Erfüllung ging. Und Deutschland spielte eine Schlüsselrolle in der Verwirklichung von diesem Traumszenario. Einen wichtigen Beitrag dazu leistete die polnische Massenbewegung „Solidarność“ [Gewerkschaftsbund Solidarität], die bei dem Sturz des Kommunismus in Osteuropa mitmachte und dadurch den Weg für die Wiedervereinigung Deutschlands ebnete. Man kann daher schlussfolgern, dass der erste Stein der Berliner Mauer von der Solidarność-Bewegung abgerissen wurde.

Die polnischen Zöllner kontrollierten uns nicht besonders genau. Ihnen war wiederum wichtig zu wissen, wie viel Geld jeder nach Polen mitbrachte. Für die junge Demokratie von Polen war dieser Mittelzufluss lebenswichtig und sehr erwünscht. Viele Jahre destruktiver Staatsführung der Kommunisten brachten das Land an den Rand des Konkurses. Die Unterschiede zwischen West- und Ostdeutschland waren riesig. Polen war noch weiter hinterher. Ich zog voller Freude durch meine Heimat, weil es schon drei Jahre her waren, dass ich zum letzten Mal in meinem Vaterland war.

In Katowice begrüßten mich meine Brüder, die wie vereinbart von Zwoleń mit dem Taxi ankamen, um mich abzuholen (Zwoleń ist mehr als 250 km von Katowice entfernt). In dem Restaurant des Hotels „Katowice“ aßen wir üppig zu Mittag. Auf dem Rückweg in mein polnisches Haus kaufte ich mir ein paar Flaschen Bier aus der Brauerei Żywiec (Saybusch). Ich fühlte mich sehr wohl. Letztendlich verbrachte ich Zeit mit meiner Familie. Die Fahrt mit dem Taxi und die Plaudereien bei einem Bier bereiteten mir eine große Freude. Ich schwebte wie auf Wolken und war restlos glücklich darüber, dass ich wieder daheim war und mich mit meinen Brüdern unterhalten konnte. Sie waren gespannt zu wissen, wie es mir im Ausland ging und wie ich dort zurechtkam. Meine Mutter begrüßte ich mit einem Blumenstrauß, den ich unterwegs gekauft hatte. Sie war sehr froh, dass ich das Familienhaus endlich wieder besuchte. Als ich 1986 nach Deutschland abreiste, weinte sie, weil sie gar nicht wusste, wann sie mich zum nächsten Mal zu sehen bekommen würde. Jetzt konnte sie die Anwesenheit ihres Sohnes genießen.

Als ich die Zeit mit meiner Familie genoss und meine Freunde und Verwandten besuchte, stand das Vergnügen bei mir auf der Agenda. Mir ging es nämlich darum, Alkohol und Frauen im freien Polen zu genießen. Ich reiste damals mit dem Taxi, weil dieses Transportmittel zu dieser Zeit spottbillig war. Zwei Jahre später war dies schon aus und vorbei, weil die Preise rasant in die Höhe schnellten. Polen, welches jahrzehntelang hinter Westeuropa hinterherhinkte, begann nun, seine Rückständigkeit gegenüber dem Westen aufzuholen. Daraufhin wurden starke Reformen umgesetzt, indem man zum Beispiel die Preise in die Höhe trieb. Jemand musste die Rechnung für die Umstrukturierung zahlen – und bestimmt nicht jene, die frisch an die Macht kamen.

In Polen fühle ich mich wohl, aber auch etwas komisch und unbehaglich, weil ich mich schon an den deutschen Luxus gewöhnt hatte. Ich war schon jetzt ein Pole anderer Art – jemand, der schon mit dem Wohlstand und der Ordnung des Westens in Berührung gekommen ist. Am Ende meines Aufenthalts vermisste ich Deutschland mit seiner Ordnung, Disziplin und vor allem dem Komfort. Egal, was ich von Polen bzw. seinen politischen Verhältnissen hielt, blieb es meine Heimat. Egal, wie es in meinem Vaterland lief – meine Heimat blieb immer in meinem Herzen. Niemand konnte mir das ausreden. Das ging einfach nicht. Wohin mich das Schicksal auch trieb, war, bin und würde ich ein Pole bleiben.

Durch die Hölle in die Freiheit

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