Читать книгу Durch die Hölle in die Freiheit - Gregor Kocot - Страница 37
„Du wirst noch vor Ihm knien“
ОглавлениеAls ich Polen im Jahre 1993 besuchte, war ich auf dem Markt in Bolesławiec. Meine Aufmerksamkeit lenkte sich auf einen Tisch mit den Broschüren über Jesus Christus. Ich guckte sie kurz an und schaute auf das Gesicht eines Jungen, der am Tisch saß. Ich weiß nicht, ob er diese Broschüren verkaufte oder aushändigte. Das war mir ohnehin nicht sehr wichtig. Ich machte mich lustig über die Bücher und sagte: „Ich sehe, dass du auch einige Bänder über Jesus hast?“ Seine Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Er erhob sich aus dem Stuhl, zeigte mit dem Finger auf mich und sagte mutig: „Du wirst noch vor Ihm knien!“
Ich wusste nicht genau, was er meinte. Ich war zu dem Zeitpunkt fast ein Atheist und hatte keine Ahnung, wieso ich vor etwas knien sollte. Daher wollte ich ihm rundheraus sagen, was ich von seiner Aussage hielt. Ich wollte ihn ordentlich zurechtweisen und mit dem Tisch rütteln, damit er mich nicht vergaß. Leider konnte ich nichts tun. Ich war wie angewurzelt. Ich konnte auch nichts mehr sagen. Ich sah sein ernsthaftes und selbstsicheres Gesicht ohne das geringste Zeichen einer Unsicherheit. Ich wiederum bekam Angst, weil ich den Eindruck hatte, dass ich mit irgendeiner riesigen Kraft zu tun hatte, die ich mit meinem Verstand nicht nachvollziehen konnte. Ich verstand gar nicht, was gerade geschah und ging weiter ohne etwas zu sagen.
Noch am selben Tag dachte ich über diesen Vorfall nach und analysierte alle Details. Ich wusste damals genau, was für ein Mensch ich war. Ich ließ mich weder von den Worten eines Jungen noch von ihm selbst erschrecken. Er war doch kein Arnold Schwarzenegger. In der Regel war ich es, der über jemanden spottete, um sich gut zu amüsieren und hatte vor keinem Krach Angst. Vielleicht sprach ich ihn an um ihm etwas Peinliches zu sagen. Hätte er gekontert, so hätte ich es definitiv nicht verschwiegen und diesen Ort nicht so ruhig verlassen. Wenn ich ihn nicht verprügelte und den Tisch nicht rüttelte, sollte ich ihm zumindest irgendwie pampig antworten, um den Schein zu retten. Er drohte mir doch mit Jesus, und ich erwiderte nicht. Ich fragte gar nicht, was es heißen würde vor Jesus zu knien. Ich konnte nichts tun, weil ich fühlte, als ob irgendeine Hand auf meiner Brust gelegen hätte, um mich davon abzubringen, etwas Schlechtes zu sagen oder zu tun. Mir kamen dann die Jahre meiner Jugend in Erinnerung, wenn ich in die Kirche ging und den Religionsunterricht besuchte. Vielleicht gab mir der von mir abgelehnte Jesus selbst zu verstehen, dass Er tatsächlich existierte und immer noch auf mich wartete?