Читать книгу Durch die Hölle in die Freiheit - Gregor Kocot - Страница 35
Gottlosigkeit und Trunksucht
ОглавлениеAls ich im Laufe der Gerichtsverhandlung sagte, dass ich in Deutschland bisher keine Probleme hatte, reagierte der Richter überhaupt nicht darauf. Für ihn hatte es gar keine Bedeutung. Im Mittelpunkt war die Tat, die ich begangen hatte. Er erwiderte nämlich: „Aber jetzt bekommen Sie Probleme, und zwar große“. Ich wusste nicht, was der Richter damit sagen wollte. Ich glaubte, dass die Bußstrafe und der Entzug des Führerscheins, welchen ich in einem Jahr wiederbekommen konnte, noch keine Katastrophe für mich waren. Wie sollte ich also seine Worte verstehen? Was meinte er damit?
Nach einem Jahr unterzog ich mich zum ersten Mal dem Idiotentest, der überprüfen sollte, ob ich ein vertrauenswürdiger Abstinent war, und ob man mich wieder zum Autoverkehr zulassen konnte. Auf die Untersuchungen war ich aber gar nicht vorbereitet, und es bestand kein Grund mir den Führerschein zurückzugeben. Ich hatte einen Dolmetscher, weil ich die schwierigen Tests mit meinem Sprachniveau kaum bewältigen konnte. Komischerweise bemühte ich mich darum, zu den Tests zugelassen zu werden, obwohl ich gar nicht mit dem Trinken aufgehört hatte. Daraufhin fiel ich bei den Tests durch und verlor nur umsonst Zeit und Geld.
Die Wiedererlangung des wegen der Trinkereifahrt entzogenen Führerscheins ist in Deutschland viel kostspieliger als die Ausstellung eines neuen Dokuments. Ich sollte mich in einen ordentlichen Menschen verwandeln und die Wiedererlangung des Lappens beantragen. Leichter gesagt als getan. Ich fing an zu begreifen, was der Richter meinte. Die Probleme, die er ansprach, waren die schrecklichen Kämpfe mit mir selbst auf Leben und Tod. Um einen würdigen Platz auf der Erde zu genießen, musste eine Person wie ich diesen Kampf führen. Zu jener Zeit hatte ich keinen blassen Schimmer von den Problemen, die mich erwarteten. Ich wusste noch gar nicht, dass mich der Verlust des Führerscheins zu einer grausamen Konfrontation mit meinen eigenen Trinkgewohnheiten führen würde. Wie sich später herausstellte, hatte ich gar keine Chancen diese Auseinandersetzung zu gewinnen. Ich hegte lediglich eine trügerische Hoffnung. Ich bemühte mich nicht allzu sehr darum, das Problem in mir loszuwerden, weil ich einfach meinen Führerschein zurückhaben und gleichzeitig Alkohol im großen Stil genießen wollte.
Ich glaubte nicht mehr an Gott und spottete über die heiligen Werte. Um die Kirchen machte ich einen großen Bogen. Stattdessen prügelte ich mich in den Kneipen mit den größten Schlägertypen und Raufbolden und manchmal auch mit ihren Bandenführern. Ich war ein Stammbesucher von Spelunken und den anrüchigsten Saufbuden. Es machte mir Spaß, wenn dort etwas los war und ich im Mittelpunkt der Schlägerei sein konnte. Ich konnte mir kaum vorstellen, den Alkohol in Ruhe zu trinken.
In jener Zeit hatte ich noch eine komische Gewohnheit. Nachts verließ ich meine Wohnung und ging um Mitternacht auf dem Friedhof spazieren. Insbesondere genoss ich das im Vollmond, aber die dunkle Nacht gefiel mir auch gut. Es ging mir wahrscheinlich darum, meinen Geist abzuhärten.
Eines Tages hätte ich beinahe einen größeren und stärkeren Mann umgebracht. Hätten die anderen nicht eingegriffen, hätte ich ihn jetzt auf dem Gewissen. Meine Schwester und mein Schwager kennen diese Geschichte allzu gut, weil sie in der Osterzeit stattfand. Der Mann meiner Schwester, Krzysztof, rettete ihm das Leben, indem er ihn zum Arzt begleitete. Eine ähnliche Situation widerfuhr mir in Katowice noch vor der Auswanderung. Die beiden Kerle hatten eines zusammen, und zwar eine große Lust daran, mich zu verprügeln. Beide kamen aus der Hauptstadt Oberschlesiens. Ich glaube, dass sie mich nie vergessen werden, und nicht nur sie. Dreimal bekam ich selbst Prügel, aber ich war dann so betrunken, dass ich einfach keinen Widerstand leisten konnte. Ich machte mir darum sowieso keine Sorgen. Ich wusste, dass ich in einer Welt lebte, in welcher das Faustrecht galt.
In dieser schlimmen Zeit hatte ich ein taubes Ohr für diejenigen, die zu mir von Gott sprachen. Ich machte mich lustig über sie. Manchmal im Suff scherzte ich sogar über Gott, was selbst die degeneriertesten Schurken zum Entsetzen brachte. Ich konnte nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden. Mir war es schon egal, was auf mich zukommen würde. Es ging mich nichts an, dass ich meine Zeit und mein Geld verschwendete, weil ich in meiner verlogenen Welt viel Spaß hatte. Mir ging es bislang doch nicht so schlecht. Der Verfall meiner Persönlichkeit schritt fort. Allerdings wurde der Kern von mir nicht berührt. Ich war nämlich immer ein ehrlicher Mann, und diese Tugend ließ sich mir nicht entziehen.