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Die Verkündiger „der Wahrheit“

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Mit der Agitation der Zeugen Jehovas hatte ich zum ersten Mal noch in Polen, vor der Auswanderung, zu tun. Eines Sonntagnachmittags kamen sie zu meinem Haus und fingen an, eine „frohe Botschaft“ zu verkünden. Ich überlegte, ob ich sie nicht verjagen sollte, wie es Onkel Władek tat. Sie machten jedoch einen sehr guten Eindruck auf mich, und aus Höflichkeit ließ ich sie sprechen. Ich lud sie nach Hause ein. Ich ließ mich von ihnen zu einem ersten Gespräch überzeugen. Genau das war der gleiche Fehler, den diejenigen machen, die in die Fänge der Sekten geraten. Das kann man auch mit der ersten Heroinspritze vergleichen. Schon dieser Schritt kann bedeuten, dass man sich von seinem bisherigen Leben trennen muss.

Was mich angeht, war ich immun gegen diese Sekte. Diesen Abtrünnigen Widerstand zu leisten gehörte nämlich zur Tradition meiner Familie. Ich wusste aber nicht, dass man den Feind nicht unter das eigene Dach einladen darf. Ehrlich gesagt, waren mir viele Sachen nicht klar, und ich musste viel lernen. Es gibt trotzdem Regeln in unserem Leben, die man nicht verletzen soll, weil man weiß, dass es niemandem zugutekommt. Man verletzt sie aber manchmal bewusst aus purer Neugier. Und neugierige Katzen verbrennen sich die Tatzen.

Im Laufe des Gesprächs merkte ich, dass die Verkünder der „frohen Botschaft“ gute psychologische Kenntnisse hatten. Sie wussten genau, wie man einen Menschen moralisch aufrichten konnte. Die Zeugen Jehovas waren höflich, nett und herzlich. Sie benutzten keine umgangssprachlichen bzw. vulgären Ausdrücke. Ihre Sprache war ausgewogen. Wenn man sich mit solchen Menschen unterhält, erscheint die Welt plötzlich etwas schöner. Es taucht die Hoffnung auf, dass alles von nun an ziemlich gut laufen könne. Ihrerseits gibt es nur eine Voraussetzung: Man darf sich nur mit den Gleichdenkenden umgeben und muss sich von jedem distanzieren, der eine abweichende Meinung vertritt. Man kann sich schon ganz gut vorstellen, was sich dahinter verbirgt. Es geht nämlich darum, den Kandidaten für die „Erlösung“ zu isolieren, damit er ausschließlich unter der Kontrolle der Sekte steht. Es reicht aus, ein einziges Gespräch mit ihnen zu führen, und man gibt ihnen damit einen Spielraum dafür, ein wenig Zweifel in den Menschen entstehen zu lassen. Dass man genau weiß, wer sie sind, und dass man sie nicht ernst nimmt, kann manchmal nicht ausreichen. Auch diejenigen, die gegen jegliche Ideologie besonders widerstandfähig sind, sind sich manchmal nicht bewusst, was für eine Geheimwaffe die Zeugen Jehovas zur Verfügung haben. Man kann mit dieser Sekte in Konflikt geraten, der allmählich zu einer hoffnungslosen Falle wird. Viele tappen gerade in diese ausweglose Falle und locken andere hinein. Vielleicht wussten die Opfer einst, wer die Zeugen Jehovas sind, und dass man auf sie aufpassen soll, aber eines Tages überschätzten sie ihre Kräfte. Sie kamen mit ihnen ins Gespräch, vielleicht um sie einfach zu verspotten. Und es passierte etwas, was sie nicht erwarteten. Sehr schnell sind sie schon so gut wie erledigt, weil sie sich zu einem Glauben überreden ließen, der weder mit der Wahrheit Gottes noch mit einem sinnvollen Alltagsleben etwas zu tun hat.

In Deutschland trat mein Kollege Waldek den Zeugen Jehovas über Nacht bei, weil die Sekte ihm im Gegenzug eine schöne Frau versprach. Aus diesem Grund verkaufte er seine Seele. Ich besuchte mit ihm ein paar Mal die Versammlungen dieser Sekte in dem sogenannten Königreichssaal. Ich machte eine gute Miene zum bösen Spiel. Die Verkünder des Armageddon außerhalb der Erlösung baten mir eine Reihe von schönen Frauen an, damit ich eine von ihnen zu meiner Frau machte. Die Mädels schauten mich mit den vergeblich mit der Nächstenliebe erfüllten großen Augen an. Als ich sie mir anguckte, spürte ich etwas Unbeschreibliches, etwas wie ein Verlangen, irdische Leidenschaften und weibliche Gelüste loszuwerden. Die stets verdrängten Gefühle suchten einen Ausweg. Sie sehnten sich immer nach einem mutigen, großherzigen Ritter, der eine biblische Wahrheit leben und sie von der Gefangenschaft der Seele befreien würde. Ich schaute mir diese Sklavinnen der Ideologie nie genauer an, und war mir nicht sicher, was genau sie dort suchten. Vielleicht würden sich viele Frauen gerne von dieser Sekte befreien, ihnen fehlte aber der Mut die Flucht zu wagen. Ihre schönen Augen konnten ebenso täuschen und eine Falle für Männer wie mich darstellen.

Ich muss trotzdem zugeben, dass mir diese Mädels sehr gut gefielen. Jede von ihnen war sofort greifbar, und ich hätte theoretisch eine schöne, nette, gottesfürchtige und treue Frau heiraten können. Auf diese Art und Weise hätte ich mein streitlustiges Leben etwas stabilisieren können. In dieser Entscheidung sah ich fast nur Vorteile. Ich konnte mir aber auch vorstellen, was für einen riesigen Preis ich dafür bezahlen müsste, und zwar zu Kosten meiner Freiheit. Und meine Freiheit würde ich mir um keinen Preis nehmen lassen. Man kann seine Freiheit nur dann bewusst verkaufen, wenn man auch in der Lage ist, eigene Seele zu verkaufen. Ich war es nicht. Mir war es lieber, überhaupt nicht zu glauben, als ein Heuchler zu sein.

Diese Gesellschaft folgte mir sehr viele Jahre. Ich beschwerte mich aber nicht darüber. Immer wenn ich nichts zu tun hatte, konnte ich auf sie zählen. Während der Gespräche mit den Zeugen Jehovas leerte ich vor ihren Augen unzählige Alkoholflaschen. Sie tranken nie mit und begleiteten mich nur in meiner Sucht. Manchmal bekam ich den Alkohol von ihnen geschenkt. Sie wussten allzu gut, dass er mein Tröster war. Sie hofften stets, dass ich ihrer Gemeinschaft beitrete. Wenn sie endlich mitbekamen, dass ich sie lediglich verführte, gaben sie auf. Einige von ihnen waren aber regelrecht beleidigt, dass sie mit mir so viel Zeit vergeudet hatten.

Durch die Hölle in die Freiheit

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